HTC Vive: Hilfe, ist das real!
Quelle: SITM

HTC Vive: Hilfe, ist das real!

Mit der Videobrille Vive springt auch HTC auf den Virtual-Reality-Zug auf. "Swiss IT Magazine" hat das Gerät getestet, das 2016 auf den Markt kommen soll. Ein Erfahrungsbericht.
5. November 2015

     

"Sind Sie schreckhaft?", fragt mich der HTC-Mitarbeiter. Ich stehe in einem Nullachtfünfzehn-Hotelzimmer in Zürich, weisse Wände, grünes Sofa, ein PC in der Ecke. Die Herbstsonne scheint herein. "Schreckhaft? Ich denke eher nicht." Falls es mir doch zu viel würde, so der HTC-Mann, dann solle ich einfach Bescheid geben – jederzeit. Klar, denke ich. Als ob. Und strecke meine Hände nach der dicken schwarzen Virtual-Reality-Brille namens Vive aus. Er überreicht sie mir, dieses Skibrillen-artige Riesending, das schwer in den Händen liegt und mit einem Gummi-Kopfband kommt, wie man es von Halterungen für Action-Kameras kennt. Dann zeigt er mir zwei schwarze Controller. Sie erinnern mich an Nintendo-Wii-Controller (die der alten Generation). Hinten gibt es auch einen Knopf zum Drücken. Vorne befindet sich ein rundes Touchpad, auf das man klicken kann.

Ich setze die Brille auf. Das Band schmiegt sich um meinen Kopf und der lederne Augenschutz um meine Augen. Ich öffne die Augen. Und blicke in einen weissen Raum. Nicht der Hotelraum, einfach ein weisser Raum, ohne irgendetwas. "Achtung, nicht über das Kabel stolpern, das jetzt um Sie liegt!", werde ich noch gewarnt. Dann werde ich angewiesen, ein paar Schritte zu gehen bis ich ein blaues Gitternetz erreiche. Etwas unsicher laufe ich in dem virtuellen Raum – ich weiss ja, eigentlich bin ich im Hotelzimmer – und siehe da, es erscheint etwas. "Bis dahin und nicht weiter", kommt der Befehl.


So weit, so gut. Vor mir erscheinen bunte Luftballons. Ob ich die sehe, fragt mich der HTC-Mitarbeiter. Ja, die sehe ich. Er überreiche mir jetzt die Controller, sagt er. Ich greife sie, ohne meine Hände zu sehen, ohne ihn zu sehen, aber die Controller, die sehe ich (wobei sie später aussehen werden wie Hände). Dann bekomme ich dicke Kopfhörer aufgesetzt. Mir ist etwas schwindelig. Ich fühle mich tatsächlich abgeschirmt von der Aussenwelt. Aber so spektakulär ist das alles hier nun auch wieder nicht, denke ich zunächst. So wie ich zunächst auch behauptet habe, nicht schreckhaft zu sein.
Dann beginnen die Sessions, die HTC für mich als Testerin und insgesamt für die HTC Vive Tour vorbereitet hat. "Sie befinden sich jetzt in einer Unterwasserwelt und können Fische verscheuchen", werde ich kurz von der Stimme aus dem Off vorbereitet. Na gut, schauen wir mal, denke ich. Und dann stehe ich plötzlich auf einem Schiffswrack, das ächzt, um mich herum lauter Fische. Ich verscheuche sie mit meinem Controller, meiner Hand. Das klappt, lustig. Ich drehe mich, überall dunkles Meer. Ich blicke hoch, dort oben ist Licht, der Meeresspiegel. Ich bin in meinem Leben noch nie getaucht, aber auch die Geräusche klingen so, wie es unter dem Meeresspiegel klingen könnte.


Mir ist mulmig zumute. Und dann ein lauteres Geräusch. Ich erstarre, sehe eine riesige Flosse. Ein Wal schwimmt auf mich zu. Ich versuche ihn mit dem Controller zu verscheuchen. "Davon lässt sich der Wal nicht beeindrucken", höre ich den HTC-Mitarbeiter weit entfernt, gedämpft durch die dicken Kopfhörer. Der Wal kommt näher. Ich drehe mich mit ihm. Er ist jetzt direkt vor mir, lebensgross, sein Auge blickt mich direkt an. Es ist bernsteinfarben. Ich hoffe: Erstens, dass das hier gleich vorbei ist. Zweitens, dass kein Hai kommt. Ich mache mir bewusst: Das hier ist nicht real, ich stehe in einem karg eingerichteten Hotelzimmer mit einer Brille auf dem Kopf. Das vor mir ist kein echter Wal. Dann überlege ich: Was muss passieren, damit ich mir die Brille vom Kopf reisse? Wie viel Material brauche ich für diesen Testbericht? "Ok, ich bin schreckhaft!", sage ich laut. Und hoffe gewarnt zu werden, bevor etwas Schlimmes passiert.
Eine der Sessions, die folgen, lässt mich etwas durchatmen. Mein Controller wird zum Malinstrument, aus dem ich – je nach Farbe meiner Wahl – Sternchen, einen Regenbogen, oder auch einfach Pinselstriche dreidimensional in den Raum zaubern kann. Ich kann sogar darum herumlaufen. Das gefällt mir. Und dann gibt es noch eine Session, bei der ich mich in einem Büro befinde, mit Geräuschen wie in einem Grossraumbüro. Dort kann ich Papierflieger durch die Luft schiessen – also mit dem Cursor Richtung Objekt, hinten drücken, die Armbewegung machen, wie wenn ich wirklich einen losfliegen lassen würde und dann den Knopf loslassen. Ausserdem kann ich dort Objekte mit einem 3D-Kopierer virtuell vervielfältigen und mit einem Ball spielen. Das mit dem Auffangen habe ich aber noch nicht so raus, sollte aber theoretisch gehen.


Eric Matthes, Country Manager DACH von HTC, hatte mir im Gespräch vor dem Test gesagt, dass Virtual Reality ja durchaus auch interessant im B2B-Geschäft sein könnte. Man denke an Autovorführungen oder Präsentationen von Möbeln oder Inneneinrichtungen… Eine Seite, die mir deutlich mehr zusagt.
Eine andere Session ist dagegen wieder nichts für schwache – also meine – Nerven. Man befindet sich als "Gamer" – oder wie bezeichnet man jemanden, mit VR-Brille auf dem Kopf? – in einem dunklen Haus. Die Aufgabe ist, zunächst ein Licht von einem Mann zu übernehmen, sprich sich zu überwinden, einige Schritte auf ihn zuzumachen, und dann mit Cursor und Klick auf den Rückknopf das Licht zu übernehmen. Dann läuft man durch den Raum, klickt via Cursor auf weisse Flächen, wodurch man den virtuellen Raum zum Beispiel plötzlich aus der Perspektive eines Winzlings sieht oder Skelette zum Vorschein kommen.


Spannend auch – zumindest im Nachhinein: Der Raum hat ein Loch im Boden mit weit auseinander stehenden Gitterstäben darüber. Auch wenn ich rational weiss: Ich kann dort nicht herunterfallen, stelle ich mich doch auf die Zehenspitzen und spähe hinunter, und kann mich nicht überwinden, darüberzugehen. Die drachenartigen Viecher, die mir immer wieder entgegenhüpfen, erinnern mich auf jeden Fall eher an einen Alptraum als an alles andere und so sage ich laut, um den HTC-Mitarbeiter aufmerksam zu machen: "Ok, ich glaube es reicht langsam…"
Eine Session gäbe es noch, antwortet er mir, die sei aber recht taff. Dabei könne man mit dem Controller schiessen. Nein danke, ich habe genug Eindrücke für heute, denke ich. Er führt weiter aus, man müsse dabei Zombies abschiessen, die auf einen zu rennen. Ich unterbreche ihn, bereit, mir diese Brille auf der Stelle vom Kopf zu reissen. Ich habe schon Zombiefilme immer furchtbar gefunden und möchte nun ganz sicher nicht das Gefühl haben, selbst in einem zu stecken. Und da ich mittlerweile zu der Einsicht gekommen bin, dass ich mir noch so oft weiss machen kann, in Wirklichkeit in diesem kargen Hotelzimmer zu stehen, ich grusel mich trotzdem.

Diese virtuelle Realität ist einfach – verdammt real. Na gut, er fände noch etwas anderes für mich, sagt der HTC-Mitarbeiter. Ich atme tief ein. Und befinde mich beim Ausatmen in einer Restaurantküche, an der Wand wird ein Rezept angezeigt, das ich nachkochen soll. Das mit dem Tomatengreifen (hinlaufen, den Controller / die Hand hinbewegen und hinten den Knopf drücken) habe ich schnell raus. Die Zutaten in den Topf auf der Herdplatte werfen, die sich selbst zu einem Gericht formen, dann die Klingel drücken (mit dem Controller sozusagen "draufhauen") und fertig ist das Level.


Ich darf die Brille abnehmen. Tatsächlich, ich befinde mich immer noch im Hotelzimmer. "Hat es Ihnen gefallen?" Ich versuche mich diplomatisch auszudrücken. "Ich bin beeindruckt, würde ich mal sagen." Für mich denke ich: Nie wieder. Wobei eben – etwa eine neue Wohnung schon vor dem Einzug virtuell einrichten zu können, das hätte ja schon seinen Reiz…
Hintergrundinformationen:
Die Virtual-Reality-Brille HTC Vive soll im kommenden Jahr erscheinen. Wann genau und zu welchem Preis, ist noch nicht bekannt. Bis das Gerät massentauglich wird, rechnet Eric Matthes, Country Manager DACH von HTC, damit, dass noch mindestens ein Jahr vergehen wird. Zunächst möchte der Konzern in Richtung Gaming denken, erklärt er im Gespräch, dafür arbeitet man ja auch mit dem Gaming-Hersteller Valve zumsammen. In einem zweiten Schritt möchte HTC aber auch B2B-Geschäftsfelder, den Gesundheitssektor und den Bildungsbereich angehen. Noch zu lösende Probleme sind gemäss Matthes: Nicht jeder hat fünf Quadratmeter freien Platz in seiner Wohnung und nicht jeder den benötigten PC.

Technisch funktioniert die HTC Vive folgendermassen: Das räumliche Erlebnis basiert auf dem, was HTC 360 Grad Room Scaling nennt. Dabei werden an zwei Ecken eines Raumes sogenannte Laser-Basestations positioniert. Diese Basisstationen senden einen Laserstrahl aus, der auf die Sensoren in Controller und Videobrille trifft. Hier findet eine Übersetzung für den Punkt statt, an dem sich der Nutzer aktuell in der virtuellen Welt befindet. Dadurch weiss die Brille sozusagen zu jedem Zeitpunkt, wo sich der Nutzer im Raum befindet, wie er seinen Kopf neigt, die Controller hält oder in welche Richtung er sich allgemein bewegt.


Das Erlebnis wird zusätzlich durch Lagesensoren an der Brille unterstützt. Für die Verarbeitung der Signale sorgt der Rechner, an den die Brille via Kabel angeschlossen ist – dieses Kabel ist bisher nötig, da es noch keinen drahtlosen Standard gibt, der die 4K-Inhalte, die an die Brille in Echtzeit vermittelt werden, verlustfrei transportieren kann. (aks)


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Kommentare
In Real ist es unter Wasser sehr still. Ausser den eigenen Atemgeräuschen und die des Tauchpartners hört man nicht viel. Vielleicht mal einen Papageienfisch, der an einer Koralle knabbert, oder man hat das Glück Delfine (oder Wale) zu hören und natürlich zu sehen :-)
Freitag, 6. November 2015, Dani S.



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