Sutters Bits & Bytes: Alles wird gleich - alles wird gut: Von der Netz- zur Dienstwagenneutralität
Quelle: zVg

Sutters Bits & Bytes: Alles wird gleich - alles wird gut: Von der Netz- zur Dienstwagenneutralität

Von Fritz Sutter

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2014/06

     

Bits & Bytes ist eine unpolitische Kolumne. Heute muss ich aus aktuellem Anlass aber eine Ausnahme machen. Das EU-Parlament will nämlich die abgeschafft geglaubte klassenlose Gesellschaftsordnung wieder einführen. Zur Erklärung müssen wir uns dabei nicht einmal auf so bürokratischen Unsinn wie die Duschkopf-Richtlinie, die Staubsaugerdrosselung oder – ob Sie es glauben oder nicht – die 52-seitige EU-Nuggi-Bändel-Normierung («Schnullerketten-Verordnung» DIN EN 12586) beziehen. Wir können den Gleichheitswahn sogar an zwei typischen Beispielen der uns nahestehenden ICT-Branche aufzeigen. Dabei kommen wir nicht darum herum, etwas polemisch zu werden.
Zur Ausgangslage: Das EU-Parlament hat zum einen die sogenannte Netzneutralität beschlossen. Danach darf es im Internet keinerlei Bevorzugung geben. Schrott, Spam und Wichtiges muss diskriminierungsfrei schnell (oder langsam) übermittelt werden. Zum andern wurde beschlossen, die Roaming-Gebühren in der EU abzuschaffen. Applaus, Applaus, Europawahlen!

Die Brüsseler Vorbilder regten uns an, das Prinzip «alles wird gleich – alles wird gut» auf andere Gebiete zu übertragen. Wie wäre es mit Lohn- und Steuerneutralität? Gleicher Lohn für alle EU-Bürger wie für deren Parlamentarier? Das wären einschliesslich der Zulagen, Pauschalen und Spesentöpfe rund 200’000 Euro jährlich. Oder Steuererleichterungen für alle wie für die EU-Nomenklatura? Und warum nicht auch Jaguar-Dienstwagen für alle, so quasi Dienstwagen-Neutralität?
Die EU-weite Abschaffung der Roaming-Gebühren (wir erinnern uns: alles wird gleich – alles wird gut) gibt inzwischen mehr zu denken und zu reden, als den EU-Baronen lieb ist. Endlich beginnen nämlich sogar EU-Turbos einzusehen, dass die EU nach jahrzehntelangem Regulierungsregime im Telekomsektor nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Die Kollateralschäden wurden zu hoch. Man kann Preise nicht auf Dauer per «order di mufti» senken und gleichzeitig erwarten, dass die Netzbetreiber in ihre Netze investieren. «There is no such Thing as a free Lunch», wie einige EU-Parlamentarier naiverweise glauben.

Was lernen wir daraus? Auch 2014 rangiert die Schweiz im Networked Readiness Index des WEF in allen wichtigen Bereichen in den Top 10 unter 148 Ländern. Ein Wermutstropfen bildet die Kategorie «Zukünftige Bedeutung der ICT für die Regierung». Bei diesem Kriterium liegt die Schweiz nur auf dem 52. Platz, noch hinter Ländern wie Bhutan, Ghana oder den Seychellen. Auch hierzulande backen wir leider eher kleinere Brötchen. Lupe statt Fernrohr. Bakom und Bundesrat befassen sich lieber mit Kabelkanalisationen als mit langfristigen ICT-Visionen. So beschlossen sie kürzlich im Rahmen ihrer Kompetenzen, die Preisberechnung für die Mitbenutzung der Swisscom-Kabelkanalisationen neu zu justieren. Nichts zu klein, um nicht reguliert zu sein. Viel besser wäre es, wenn sie sich für die langfristigen Perspektiven von Informatik und Telekommunikation engagieren würden. Die Zukunft unserer Wirtschaft hängt nicht von Kabelkanalisationsgebühren ab, sondern wird massgeblich von globalen Konzernen wie Google & Co. bestimmt werden.
Doch schon erscheinen die nächsten Pläne des Berner Regulierungsmekkas am Horizont. Die von Berufs wegen Besorgten suchen einmal mehr nach Lösungen für nicht vorhandene Probleme. Während telekommunikativ alles prima läuft (siehe WEF-Rangliste) wird für eine allfällige nächste Fernmeldegesetz-Revision erneut mit einer Regulierung auf Vorrat geliebäugelt – mit Argumenten, so schief wie der Turm von Pisa. Wir werden zu gegebener Zeit darauf zurückkommen müssen.



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