All Questions Answered

Irena Kulka

Der weltberühmte Computerpionier Donald Knuth beantwortete in der Diskussion „All Questions Answered“ eine Stunde lang Fragen aus dem jungen Publikum, das sich am Tag der Schweizer Informatikolympiade (SOI) im Audimax der ETH Zürich einstellte. Eine Aufforderung zum Tiefgang, nicht nur in der Informatikbildung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2012/04

     

Am SOI-Tag, bei dem jährlich die ersten Runde der Schweizerischen Informatikolympiade mit ihren Gewinnern gefeiert wird, konnte ein Publikum von Wettkampfsteilenhmern, Studierenden und Gästen dieses Jahr ein grosses Vorbild als Ehrengast begrüssen – den charismatischen Informatikpionier Donald Knuth, welcher für sein Lebenswerk an den Fundamenten der Informatik, für die Analyse von Algorithmen, für seine Beiträge zur Programmierkunst und sein Buchwerk „The Art of Computer Programming“ 1974 den Turing-Preis und eine beachtliche Anzahl an höchsten Ehrungen der Informatik erhalten hat und heute unbeirrt an diesem übermenschlichen Buchwerk arbeitet, welches den wesentlichen Kern der Informatik gesamthaft umfasst.
Donald Knuth legte den jungen Zuhörerinnen und Zuhörern nahe, „nicht die Lebensentscheidungen anderer zu kopieren, sich bewusst zu sein, dass die eigene Einzigartigeit einem eine Chance enthüllt, weil gewisse Dinge, die man gelernt und erfahren hat, genau das Richtige sind für etwas Besonderes, was man entdecken kann“.
Donald Knuth ist selbst tatsächlich seit den Kinderschuhen in seine Berufung hineingewachsen, seit er mit vier Jahren jüngstes Mitglied der „Bücherwürmer“ der lokalen Bibliothek wurde, seit er an der Highschool stundenlang die Formeln mathematischer Kurven auf Schönheit optimierte und bei einem lokalen Wettbewerb mit seinen 4500 Palindrom-Lösungen die Jury umwarf. Er sah 1956 seinen ersten Computer durch ein Fenster, aber wenig später mit 19 Jahren sah er bereits in dessen Inneres hinein, verstand seine Funktionsweise und baute seinen ersten Compiler. Man spürt bei seinen Ausführungen viel mehr spielerische Freude als irgendeine Art Ringen mit der Wahrheit. Knuth hatte immer schon die Gabe, die Dinge, denen er sich angenommen hat, bis zur Perfektion zu treiben, und hat dies dann mit aller Konsequenz verfolgt.

Die Wissenschaft und die Kunst

Als treibende Kraft steht bei ihm die Schönheit im Vordergrund, in der Musik, in der grafischen Gestaltung seiner Formeln, in seinen Programmen und Gedanken. Die Schönheit die sich findet, wenn etwas auf abstrakte Weise geglättet, verdichtet und überblickt wird. Er hat das Gehirn des Informatik-Künstlers, sieht abstrakte Prozesse und Zusammenhänge in vielen Dimensionen gleichzeitig, sieht die Strukturen in seinen Formeln. Nicht immer geschieht dies jedoch visuell ,wie er sagt. Es ist eher ein intuitives Verständnis der Bedeutung dieser Strukturen, die Poesie zwischen den Zeilen des Programms. Computerwissenschaft hat mit abstrakten Mustern zu tun, wie Mathematik, wie Musik. Sein Gehirn war schon mit 20 mit den „Gedankengängen“ und Prozessen des Computers völlig harmonisiert.

Einfachheit, Kompaktheit der Information, Eleganz, all das das hat mit Empfindungen von Schönheit zu tun. Wenn Informatiker oftmals von Kunst der Programmierung und von Schönheit sprechen und ihre Wissenschaft mit Kunst vergleichen, so hat dies viel mit der Intuition zu tun, Strukturen zu sehen und zu empfinden, und auch kreativ durch sie hindurchzusehen und Neues zu ersinnen. Schönheit in der Informatik hat weniger mit der optischen Schönheit von Graphen und visualisierbaren Mustern zu tun, als vielmehr mit der Schönheit des abstrakten Gefühls und der Stimmigkeit bei Vorstellungen von Strukturen und ihrer Bedeutung.
Bei Donald Knuth hört man es heraus, in dem Hauch, mit dem er das Wort „deep algorithms“ ausspricht. Es ist wohl ein ähnlicher abstrakter innerer Klang von Verzückung, Tiefe und Sehnsucht, den jegliche Art von Schönheit auslöst. Heutige Forscher und insbesondere Informatiker haben für diese Haltung oftmals nur ein Schulternzucken übrig, doch Knuth vermag auf berührende Weise etwas vom Geheimnis der Genialität auf die begeisterungsfähigen jungen Zuhörer und Zuhörerinnen zu übertragen.

Die grossen Fragen

Auf grosse Fragen hat er grosse Antworten: Was er denn Gott fragen würde und weshalb. Er schwankt: „Mich nimmt immer Wunder, welchen Browser wir im Himmel haben werden.“ „Aber ihr wollt doch, dass ich frage ob P= NP ist!“ , die letzten Fragen nach Beweisbarkeit und optimaler Lösbarkeit. „Falls ich eine Antwort bekomme ... Wird das nicht eine neue Frage sein?“ wendet er ein und seufzt hoffnungsvoll in diesem Gespräch mit der Ewigkeit.
Manche Probleme sind selbst für ihn so schwierig, dass er es vorzieht, lediglich zu vermitteln, weshalb ihn gewisse Fragen so faszinieren und interessieren können, dass er damit oftmals Wochen verbringt. Seine irgendwie selbstose Begeisterung, das unermüdliche Entdecken, Bearbeiten, Bezwingen und Formen, diese Art von Hingabe und Glauben an ein in grosszügig entworfenes und doch präzis erarbeitetes Werk, ist am SOI-Tag wohl die wichtigste und ansteckendste Botschaft für viele Jugendlichen und Studierenden im Publikum. Auch durch seine persönliche Ausstrahlung als Mensch, der irgendwie spielerisch, tänzerisch, bescheiden, offen und glücklich erscheint, hat er den Jungen mehr gesagt als es durch rein fachliche Antworten möglich gewesen wäre. Einige schöpfen daraus vielleicht den Mut, selbst in die Tiefe zu gehen.

Ein Mensch, ein Werk

Bis heute arbeitet Knuth als genialer Forscher an der Theorie der Algorithmen, erfindet die optimalen Verfahren in einem verstrickten Haufen von Problemstellungen, deckt gedankliche Fehler auf, sucht verschiedene widersprüchliche Methoden in eine unvoreingenommene losgelöste Sichtweise zu entheben, schafft für die Lösung neue Dimensionen und Perspektiven und schiebt die Front an zwischen dem was lösbar ist und was unlösbar ist. Von Anfang an war er geleitet von der Motivation, keine endgültige, aber eine unparteiische, umfassendere und objektivierte Einsicht in seinem Werk zu ermöglichen.
Seine unglaubliche Leistung scheint Knuth irgendwie leicht und ganz alltäglich von der Hand zu gehen. TeX hat er zunächst nur für sich und seine Sekretärin erfunden, um seine mathematischen Formeln visuell zu verschönern, „The Art of Programming“ fing er kurz mal auf die Anfrage von Addison-Wesley an, und dann wurden 3000 Seiten daraus. Der Knuth-Morris-Pratt Algorithmus für die schnelle Suche von Wörtern in Texten, kam in einer plötzlichen Eingebung aus einem Bereich der Algorithmentheorie, von dem er zuvor gedacht hatte, dass er zu gar nichts nützlich sei.

Komplexe Systeme

Immer wieder befreit er sich auch bei Fragen nach Standards und optimalen Situationen. Er sieht komplexe Systeme mit einem offeneren Blick. Es liege in der Natur der komplexen Dinge, die sich fortschreitend entwickeln, dass sie nicht fix sind, dass sie immer besser werden können. Komplexe Systeme lassen sich immer verbessern. Komplexität entziehe sich der Fixierung auf einen optimalen Zustand, der linearen Abfolge von Meilensteinen oder der Zwangsjacke von Standards. Die Varietät der Dinge, die Denkweisen der Leute, Fortschritt, Unordnung, das sei nötig für die Kreativität. Dennoch brauche es diese Fixpunkte in jeder Phase, um darauf weiter aufzubauen.
Was als Informatikrevolution in unserer Kultur entsteht, sieht er nicht als Abfolge von Erfindungen und Milestones, sondern als unmittelbar emergente Folge dessen, dass die Denkstrukturen intelligenter Leute mit dem Computer plötzlich eine Maschine zur Verfügung hatten um sich sehr direkt abzubilden, auszudrücken und in Produkten zu offenbaren. Dies sollte man den Kindern nicht versagen.
„Die Informatik versucht Dinge zu automatisieren, die nach menschlicher Intuition korrekt erscheinen. Je mehr von diesen „Wahrheiten“ wir formalisieren, desto mehr wird die intuitive Kunst zur Wissenschaft. Doch dann erfindet die Kunst in uns weiter. Bei der der Automatisierung von Beweisen brauchen wir Kreativität, um Dinge zu ersinnen, welche mechanisch entdeckt werden können. Das Formalisieren führt dann mehr und mehr zu einer mechanischen Weise der Entdeckung. Doch dies verschiebt unsere Kreativität weiter und weiter – und das ist aufregend.“ Damit wird auch das, was wir für kreativ halten und das Gefühl von Schönheit in eine neue Welt verschoben. Und das ist in der Informatik sowie im Leben eine ganz schöne Arbeit.





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