Office 2007: Des Kaisers neues Kleid

2007 Office System kommt mit einer komplett neuen Benutzeroberfläche und zahlreichen weiteren neuen Features.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/06

     

Niemand, so eine Binsenwahrheit, benutzt mehr als zehn Prozent der Funktionen in Microsoft Word. Das mag so zutreffen, das Problem dabei ist aber, dass jeder Anwender seine eigenen zehn Prozente benutzt. Diese häufig genutzten Features im Wust der verschachtelten Menüs zu finden, dürfte für regelmässige Nutzer kein Problem sein – umso schwieriger aber wird's, wenn man mal eine Funktion aus den restlichen 90 Prozent benötigt. Wie Microsoft in umfangreichen Studien herausfand, ist nämlich die Mehrzahl der von vielen Office-Anwendern immer wieder gewünschten Funktionen längst vorhanden, wurde aber in den Tiefen der Menüs nicht gefunden.






Höchste Zeit also, den Missstand mit den seit Office 1 stetig gewachsenen Menüs mit dem zwölften Release der Produktivitäts-Suite zu ändern und dem Anwender die gewaltigen Möglichkeiten der Programme endlich auf sinnvolle und intuitive Weise offenzulegen. Und genau das tut Microsoft mit dem nach eigenen Angaben «wichtigsten Office-Release seit über 10 Jahren» auf radikalste Art und Weise: In den vier Hauptanwendungen Word, Excel, Powerpoint und Access bleibt kaum ein Stein auf dem anderen, die Oberfläche und damit die Bedienung wurden radikal umgekrempelt. Was im ersten Moment erschreckt, stellt sich schon bald als sehr durchdacht heraus, und schon nach einigen Tagen Arbeit mit dem neuen Office fragt man sich, wie man eigentlich all die Jahre ohne diese Oberfläche mit Office hat arbeiten können.


Das Band, das alles zusammenhält

Bei der Entwicklung des 2007 Office System (wie «Office 12» in der Endfassung heissen wird) hat Microsoft vier Hauptziele verfolgt:
➤ vereinfachte Bedienung für eine neue Arbeitsweise mit Office-Anwendungen,
➤ Erhöhung der Effizienz bei der Arbeit mit Office,
➤ besserer, schnellerer und intuitiverer Zugang auf die vorhandene Funktionalität und insbesondere auf diejenigen Features, die beim aktuellen Arbeitsschritt benötigt werden,
➤ verbesserte Hilfsmittel zur Erstellung von professionellen, visuell ansprechenden Dokumenten.





All diese Ziele adressierten die Entwickler bereits mit einer einzigen, aber zentralen Neuerung auf der Oberfläche: dem sogenannten «Ribbon». Dieses Band, das sich am oberen Rand der Arbeitsfläche erstreckt, beinhaltet sämtliche Funktionen, arbeitet kontextsensitiv und ersetzt die bisherigen, klassischen Menüs. Die Features sind dabei nach Aufgaben geordnet und setzen so bereits einen Basis-Workflow. So finden sich beispielsweise in Word die Ribbons Write, in dem alle für die grundlegende Formatierung nötigen Befehle zu finden sind, Insert, über das sich Tabellen, Illustrationen, Links und weiteres in den Text einfügen lässt, Page Layout, das dem Einrichten der Seite dient, References für die Erstellung von Inhalts- und Stichwortverzeichnissen, Mailings für den Massenmailversand, Review für alle Überarbeitungsfunktionen sowie View für alle Befehle im Zusammenhang mit der Bildschirm­ansicht. An die klassische Ansicht mit Menüs und Toolbars erinnert bloss noch das umgestaltete Dateimenü, in dem die Befehle für das Erstellen, Öffnen, Speichern, Abschliessen und Drucken von Dokumenten zu finden sind, sowie eine frei konfigurierbare Toolbar mit standardmässig vier Einträgen.






Auf den ersten Blick ist das alles sehr gewöhnungsbedürftig, und hier liegt auch die Krux des Ganzen: Werden die Unternehmen bereit sein, die getätigten Investitionen für die Office-Ausbildung ihrer Mitarbeiter zu vergessen und nochmals von vorne anzufangen? Microsoft ist davon überzeugt, eine optionale Rückkehr auf die herkömmliche Bedienweise ist explizit nicht vorgesehen. Weiter stellt man sich in Redmond auf den Standpunkt, dass die Funktionalität ja dieselbe, die Investitionen mithin also nicht verloren seien; die Lernkurve sei flach und die neue Oberfläche helfe schnell, viel Zeit einzusparen. Bis zu 50 Prozent weniger Klicks als mit der alten Oberfläche seien schliesslich nötig, um dieselben Aufgaben zu lösen. Dem können unsere Tester nur beipflichten: Das Interface ist intuitiv aufgebaut, die Funktionen finden sich da, wo man sie erwartet, und man hat sich schnell daran gewöhnt – auch wenn die Wege zu gewissen Features eher länger geworden sind.





Nicht verschwunden sind mit dem Ribbon übrigens die herkömmlichen Dialogboxen. Überall da, wo nicht alle Funktionen im Ribbon Platz gefunden haben, lässt sich über einen kleinen Pfeil die bekannte Dialogbox aufrufen, die dann sämtliche passenden Befehle zur Verfügung stellt.
Viele der Befehle in den verschiedenen Office-Anwendungen beziehen sich ausserdem auf die Arbeit mit bestimmten Objekten wie Tabellen, Textboxen, Bildern oder Rahmen und funktionieren auch nur mit diesen. Diese auf einen bestimmten Kontext bezogenen Befehle wurden in separaten Tool-Containern zusammengefasst, die im Ribbon nur dann angezeigt werden, wenn ein entsprechendes Objekt frisch erstellt oder erneut ausgewählt wird.


Bearbeitung leichtgemacht

Das Ribbon allein ist allerdings erst die halbe Miete. Seinen wirklichen Nutzen erreicht es erst mit den darin untergebrachten Features: der Live-Vorschau, den Galerien und den Super-Tooltips.
Eine der praktischsten Neuerungen in Office 2007 ist die Live-Vorschau (die übrigens bei weitem nicht so revolutionär ist, wie Microsoft gerne behauptet: Corels WordPerfect beherrschte dies schon im letzten Jahrhundert). Damit wird die Auswirkung einer Formatierung auf einen Text oder eine Zelle bereits angezeigt, wenn der Anwender mit der Maus über den Befehl im Ribbon fährt – man sieht so auf den ersten Blick, ob das Gewünschte mit der entsprechenden Auswahl erreicht wird und kann bei Nichtgefallen problemlos die nächste Option versuchen. Damit wird der für die meisten Office-Anwender typische, frustrierende Kreislauf Menüsuche – Befehlsauswahl – Rückgängig – Neue Suche effektiv durchbrochen.





Leider funktioniert die Live-Vorschau derzeit nur über das Ribbon. Werden dieselben Befehle in der MiniBar («Floaty») oder in einer Dialogbox gewählt, werden sie nicht vorab angezeigt. Auch unterliegen offenbar nicht alle Kommandos (insbesondere in
den kontextsensitiven Tool-Containern) der Live-Vorschau, was für den Anwender etwas verwirrend ist. Beides kann sich bis zur finalen Version allerdings noch ändern.
Unter Galerien versteht Microsoft im Office-Kontext vorbereitete Formatierungen beispielsweise für Text, Tabellen oder Zelleninhalte in Excel, die direkt im Ribbon dargestellt oder per Drop-Down erreichbar sind. Diese Formatvorlagen beinhalten eine ganze Reihe von Befehlen und ermöglichen, deren Resultat auf einen Blick zu sehen – die Funktionalität wird visuell gemacht und ist damit wesentlich schneller erfassbar. Selbstverständlich lassen sich die mitgelieferten Stile und Vorlagen auch durch eigene Definitionen erweitern. Und das Beste daran: Auch die Galerien ermöglichen die Live-Vorschau, ihre Auswirkungen werden also angezeigt, noch bevor sie angewandt wurden.






Ein Mittelding zwischen den gewohnten Tooltips und der Online-Hilfe hat Microsoft mit den Super-Tooltips geschaffen. Diese erklären mehr oder weniger detailliert, wozu eine Funktion dient. Super-Tooltips dienen aber auch dazu, Lösungswege aufzuzeigen: Wenn etwa eine Funktion nicht verfügbar ist, zeigt der Super-Tooltip an, weshalb – das Dokument könnte beispielsweise in einem alten Format gespeichert sein, das die gewünschte Funktion nicht unterstützt, also schlägt der Super-Tooltip vor, das Dokument im nativen 2007-Format zu speichern, um die Funktion nützen zu können. Auch die Super-Tooltips sind nur im Ribbon verfügbar.





Eine weitere praktische Neuerung ist der sogenannte Floaty oder die MiniBar, über die sich häufige Formatierungen schnell ausführen lassen. Der Floaty erscheint automatisch, sobald ein Textblock ausgewählt wird, und bleibt zunächst halbtransparent und inaktiv. Erst wenn der Anwender mit der Maus darüberfährt, werden die Befehle aktiviert und können ausgeführt werden – wird die Maus dagegen von der Mini-Toolbar weggeführt, verschwindet sie ebenso schnell, wie sie erschienen ist. Der Floaty ist damit im Gegensatz zu früheren Office-Features, die oft nach Gutdünken auftauchten und kaum mehr wegzuklicken waren, erfrischend unaufdringlich – wer die Tools nicht nutzen will, ignoriert sie einfach. Der Floaty ist in Word, Excel, Powerpoint sowie Outlook (mit Word als Editor) verfügbar und wird auch im Kontextmenü der rechten Maustaste angezeigt.





Im Unterschied zu früheren Office-Versionen spielt nun auch die Statuszeile am unteren Fensterrand eine aktivere Rolle. Im rechten Bereich ist hier nun die Seiten-Zoomfunktion zu finden, die eine neuerdings stufenlose Vergrösserung bis zu 500 Prozent respektive eine Verkleinerung bis 10 Prozent ermöglicht. Daneben finden sich die bisher links neben der Scrolleiste angesiedelten Ansichtsoptionen. Den Rest der Statuszeile nehmen wie bisher Informationen über das geöffnete Dokument ein, darunter beispielsweise die Seitenzahl oder die aktuelle Sprache. Wo in bisherigen Versionen allerdings ein Doppelklick auf die Anzeige nötig war, um zu weiterführenden Dialogboxen zu gelangen, reicht nun ein einfacher Klick.


Neues Dateimenü

Eine zentrale Rolle kommt dem neuen Dateimenü zu, das als einziges den herkömmlichen Menü-Look beibehält und auch dieselben Befehle wie früher beherbergt. Allerdings wurde es mit zwei wesentlichen Erweiterungen versehen, den Untermenüs «Finish» und «Share» nämlich. Letzteres beinhaltet teils bekannte Mechanismen für die Verteilung der Dokumente an Mail- und Fax-Empfänger, bringt aber auch Optionen für die Speicherung von Daten auf Dokument-Management-Servern oder für die Publikation in sogenannten Document Workspaces im Netz.




Von grösserem Interesse scheinen dagegen die neuen Funktionen im Untermenü «Finish»: Hier lassen sich etwa die Rechte für das Dokument granular einschränken, digitale Signaturen einfügen oder die Kompatibilität der benutzten Funktionen mit früheren Office-Versionen überprüfen. Zentral ist hier aber der Document Inspector – dieser durchsucht das Dokument nach versteckten Metadaten wie Kommentaren und Anmerkungen, Korrekturen, persönlichen Informationen, verborgenem Text und ähnlichem. In einem zweiten Schritt lassen sich derartige Daten entfernen. Leider listet der Inspector derzeit bloss auf, wo er solche möglicherweise kompromittierende Informationen gefunden hat und lässt die globale Entfernung zu – praktischer wäre es dagegen, wenn detaillierte Listen angezeigt würden und auch die Entfernung ausgewählter Daten möglich wäre.






Im neuen Dateimenü findet sich schliesslich auch der Zugang zu den globalen Optionen der einzelnen Anwendungen, die in den Vorversionen zum grössten Teil im Menü «Extras» untergebracht waren.


Offenes XML-Dateiformat

Mit dem 2007 Office System führt Microsoft nicht nur eine neue Oberfläche, sondern auch ein neues Dateiformat ein, das standardmässig für Word, Excel und PowerPoint aktiviert sein wird. Erstmals arbeitet Microsoft dabei mit einem offenen XML-Format, das mit einer speziellen Lizenz veröffentlicht wurde und vom europäischen Standardisierungsgremium ECMA zum Standard erhoben werden soll – der entsprechende Prozess wurde im vergangenen Dezember eingeleitet.
Das Open XML genannte Format besteht im Prinzip aus einem Container und den darin verpackten Elementen des Dokuments samt Formatierungsanweisungen, Stylesheets etc. Der Container ist dabei einfach ein umbenanntes ZIP-Archiv, was gegenüber den herkömmlichen binären Formaten gewaltig Platz spart. Microsoft spricht von 50 bis 70 Prozent, bei reinen Textdokumenten kann die Platzersparnis mitunter sogar 80 Prozent betragen, da sich Text gut komprimieren lässt.
Diese im ZIP-Container verpackten XML-Dateien bieten noch weitere Vorteile: So können sie beispielsweise transparent betrachtet und manipuliert werden. Wer dem Document Inspector nicht traut, kann direkt in den XML-Files nach verborgenen Metadaten suchen gehen... Wichtiger ist aber, dass sich die XML-Dateien von anderen Anwendungen und Services manipulieren lassen. Beispielsweise könnten so neue Anwendungen für die Suche in Dateien entstehen, Daten könnten automatisch in andere Dokumente übernommen werden, Stylesheets lassen sich automatisiert austauschen und so eine neue Corporate Identity auch rückwirkend schnell und einfach durchsetzen etc.



Dazu kommt, dass die neuen Office-Dateien robuster sind: Wurde ein altes Format korrumpiert, war die komplette Datei defekt und nicht mehr brauchbar. Im neuen Format können dagegen Teile wie etwa das Stylesheet oder Verweise defekt sein, der eigentliche Inhalt ist möglicherweise aber weiterhin zugänglich.
Neben den neuen Open-XML-Formaten unterstützen alle Office-Anwendungen auch die herkömmlichen Formate weiter, und zwar sowohl zum Öffnen von Dateien als auch zum Speichern. Ob alte Office-Versionen mit Plug-ins ausgerüstet werden, die die neuen Formate verstehen, ist derzeit noch offen; es gibt aber inoffizielle Aussagen von Microsoft-Managern, wonach es Konverter bis zurück auf Office 2000 geben soll.
Eine weitere Neuerung im Speicherbereich: Nachdem mittlerweile so ziemlich jede Anwendung Adobes PDF in irgendeiner Form unterstützt, hat sich nun endlich auch Microsoft dazu durchgerungen, einen PDF-Export in Word, Excel und PowerPoint zu integrieren. In der aktuellen Fassung glänzt dieser zwar nicht gerade durch viele Optionen, für die schnelle PDF-Speicherung taugt der Exportfilter aber allemal.


Wenig Neues in den Hauptapplikationen

In den klassischen Hauptanwendungen der Office-Suite – Word, Excel, PowerPoint und Access – gibt es abgesehen von der neuen Oberfläche recht wenige Neuerungen. Anders ist das beispielsweise bei Outlook, das mit einer ebenfalls überarbeiteten Oberfläche, aber ohne das Ribbon daherkommt. Hier ist das Interface nun viergeteilt und zeigt eine To-Do-Bar, in der unter einem Kalender Verabredungen und Aufgaben aufgelistet sind, mitsamt einem kleinen Applet, das dem Hinzufügen weiterer Aufgaben dient.
Die wichtigste Neuerung in Outlook ist aber die stark verbesserte Suchfunktion. Das entsprechende Eingabefenster ist stets sichtbar und erlaubt die Suche nicht nur in einzelnen Ordnern, sondern auch im ganzen Programm und sogar in Attachments. Dennoch arbeitet das Feature äusserst schnell und akkurat. Und das Beste: Die Fundstellen eines Suchbegriffs werden bereits in der Resultatliste farbig hervorgehoben, so dass im Kontext sofort ersichtlich ist, ob der Treffer relevant ist.
Alles in allem ist Microsoft mit dem 2007 Office System sicher ein gutes Werk gelungen – es scheint kaum übertrieben, hier vom grössten und wichtigsten Office-Update seit Jahren zu sprechen. Die neue Oberfläche ist intuitiv und erleichtert nach kurzer Eingewöhnungszeit die Arbeit deutlich.
Ihre ganze Macht entfaltet die Suite allerdings erst mit dem darunterliegenden, um den Sharepoint Server 2007 aufgebauten Server-System, auf das auch der Name hinweist. Dieses System soll laut Microsoft ganz neue Wege der Kollaboration in Firmen ermöglichen. Auf die Server-Seite von 2007 Office System und ihre Möglichkeiten werden wir in einem künftigen Artikel eingehen.




Office Versionen im Überblick




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