Verkehrte Welt: Boom-Spielzeug 100-Dollar-Laptop


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/14

     

So können sich die Dinge ändern: Als Nicholas Negroponte im Januar 2005 am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos das erste Mal von seinem Projekt sprach, einen Billigstrechner für Entwicklungsländer zu entwickeln, stiess er neben Begeisterung auch auf Skepsis. Einen Preis von 100 Dollar pro Stück peile er an, gab
Negroponte damals bekannt, was dem Projekt flugs den Namen «100-Dollar-Laptop» einbrachte, und bereits in gut 12 bis 18 Monaten sollten die ersten Geräte erhältlich sein. 14-Zoll-Monitor, AMD-CPUs, Linux als Betriebssystem und überhaupt mit allem ausgestattet, was man für Internet-Zugang und Lernzwecke braucht – das klang durchaus interessant, aber auch einigermassen verrückt und angesichts des angepeilten Preises sogar ziemlich unmöglich.


Seither geisterte der 100-Dollar-Laptop immer wieder durch die Medien. Hauptsächlich deshalb, weil es wiederholt Verzögerungen gab und das ambitionierte Projekt sich immer weiter verteuerte. So wurden die ersten Geräte schliesslich Ende letzten Jahres ausgeliefert, der Preis liegt bei rund 200 US-Dollar pro Gerät, und weil vom «100-Dollar-Laptop» nicht mehr die Rede sein kann, heisst das Projekt schon seit einiger Zeit «One Laptop per Child» (OLPC) und das Notebook selber XO-Laptop.



In die Schlagzeilen kam das Projekt aber auch aufgrund der ständigen Querelen zwischen den OLPC-Initiatoren und Intel, die mit dem «Classmate PC» flugs ein Konkurrenzprojekt gestartet hatte. Und während man auf den OLPC weiter wartete, wurde der Classmate PC bereits ausgeliefert, wenn auch in geringen Stückzahlen und zu einem höheren Preis.
Kein Wunder bastelten im Windschatten der beiden grossen Streithähne und von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt auch andere Hersteller an einem billigen Laptop, allen voran der taiwanesische Hersteller Asustek (hierzulande als Asus firmierend), der pikanterweise für Intel die Classmates fabriziert. Das Resultat dieser Bemühungen ist bekannt: Im Oktober kam der «Eee PC» auf den Markt, zu einem Preis ab rund 170 Dollar. Andere Anbieter zogen nach, und mittlerweile gibt es kaum noch einen bekannten Notebook-Hersteller, der nicht auch «Netbooks» im Sortiment hätte, wie die kleinen, leichten Billig-Kisten gemeinhin genannt werden.


Laut jüngsten Prognosen von Gartner werden allein im Jahr 2008 weltweit über fünf Millionen Billig-Notebooks über die Ladentische gehen, für 2012 erwarten die Auguren aufgrund von Verbesserungen bei Design, Leistung und Ausstattung sogar 50 Millionen verkaufte Geräte. Und da zeigt sich wieder einmal, was aus einer eigentlich guten und gutgemeinten Idee für die Weiterentwicklung von Drittwelt- und Schwellenländer werden kann – Negroponte wurde nicht müde zu betonen, dass es sich beim OLPC um ein Ausbildungs-, nicht um ein Laptop-Projekt handle. Heute ist das früher wegen seiner schwachbrüstigen Hardware durchaus auch belächelte Billig-Notebook ein Luxusprodukt für verwöhnte Westler, das sich die ursprüngliche Zielgruppe trotz sinkender Preise kaum jemals wird leisten können. Verkehrte Welt.


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