Ein Rahmenwerk für die Vernetzung


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/18

     

E-Healthcare ist in der Schweiz Stückwerk, ähnlich wie E-Government: In beiden Bereichen fehlen verbindliche übergeordnete Strukturen. Hier wie da erschwert der Föderalismus die Schaffung von durchgängigen Lösungen. Im Gesundheitswesen ist die Problematik vielleicht noch akzentuierter, weil die Verwaltung aus historischen Gründen in der Autoritätshierarchie klar unterhalb der die Dienstleistungen erbringenden Medizin rangiert. Dabei ist heute allen Beteiligten klar, dass strukturierte und durchgängig elektronische Prozesse nicht nur den administrativen Aufwand senken, sondern den Verantwortlichen auch Zahlenmaterial und Steuerungsinstrumente in die Hände geben würden, um gezielt Verbesserungen im Sinne eines modernen Managements vornehmen zu können.


Einfach und komplex

«Wenn man die grobe Prozesslandkarte des Gesundheitswesens an der Wand neben einer solchen aus der Industrie aufhängt und zehn Meter zurücktritt, bis man die Fachbegriffe nicht mehr lesen kann, sind die beiden kaum zu unterscheiden», veranschaulicht Peter Rohner, an der Universität St. Gallen für das in diesem Frühsommer gegründete Kompetenzzentrum Health Network Engineering (CC HNE) zuständig, die Ausgangslage aus Sicht eines Wirtschaftsinformatikers. Das CC HNE hat sich zum Ziel gesetzt, die Erkenntnisse aus dem ICT-Einsatz in der Industrie in Zusammenarbeit
mit Spitälern, Krankenkassen, Intermediären und kantonalen Gesundheitsdirektionen auf das Gesundheitswesen zu übertragen.





Somit wäre theoretisch alles klar: Man nimmt die Architekturen, die in der Industrie in den vergangenen 20 Jahren aufgebaut wurden, bildet das Gesundheitswesen darin ab – und fertig ist das effiziente E-Healthcare. Bloss so einfach ist die Realität nicht. Aus den Erfahrungen mit der Umsetzung von Informatikprojekten im Unternehmensumfeld hat man beispielsweise auch gelernt, dass Systeme, die den Anwendern an der Front keinen konkreten Nutzen bringen oder gar gegen deren Willen eingeführt werden, in einem kostspieligen Leerlauf enden. Rohner führt das Beispiel von CRM (Customer Relationship Management) an. Die Kundenbeziehungssysteme konnten erst erfolgreich eingeführt werden, als man den betroffenen Verkäufern und Callcenter-Mitarbeitern klare Vorteile bieten konnte, wenn sie aktiv mit ihnen arbeiteten. Genauso muss man jetzt etwa den Ärzten zeigen, dass sie durch
E-Healthcare Vorteile gewinnen und beispielsweise von administrativen Aufgaben befreit werden und so wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen, medizinischen Aufgaben erhalten.





Das Gesundheitsnetzwerk


Das Sparpotential

Zentraler Antrieb für alle Bemühungen in Sachen E-Healthcare ist aber das Sparpotential, das der optimale ICT-Einsatz verspricht. Hier ist man auf Schätzungen angewiesen. Eine Studie des US-Think-Tanks Rand Corporation hat für die Vereinigten Staaten alleine in der Administration mögliche Einsparungen im einstelligen Prozentbereich der gesamten Gesundheitsausgaben errechnet. Für die Schweiz entspräche dies bei jährlichen Ausgaben von etwa
50 Milliarden rund einer Milliarde Franken. In der Realität dürfte das Potential aber noch wesentlich grösser sein. Gemäss Erhebungen wendet beispielsweise ein durchschnittlicher Arzt etwa 30 Prozent seiner Arbeitszeit für administrative Tätigkeiten auf. Bei anderen Pflegepersonen dürfte die Verteilung ähnlich sein. Überschlagsmässig kommt man so bei Gesamtkosten von rund 32 Milliarden Franken für den stationären und ambulanten Bereich auf ein theoretisches Sparpotential von fast 10 Milliarden Franken. Selbstverständlich kann dieses theoretische Potential in der Praxis auch im besten Fall nur zum Teil ausgeschöpft werden. Offensichtlich liessen sich aber durch durchgängige und effizientere Abläufe und das Verhindern von Doppelspurigkeiten mehrere Milliarden Franken im Jahr einsparen.


Netzwerk aus der Kundenperspektive

Das CC HNE versucht nun, die Gesundheitsinformatik mit dem aus anderen Bereichen bekannten
St. Galler Business-Engineering-Ansatz zu strukturieren. Dazu gehen die Wirtschaftinformatiker das Thema aus der Sicht der Kunden, in diesem Fall der Patienten, an. Aus den aus dieser Perspektive erstellten Prozesskarten werden dann mögliche sinnvolle Kooperationen sichtbar. Rohner gibt zu bedenken, dass die konsequente «Kundensicht» zu überraschenden Gemeinsamkeiten und damit auch zu anderen Zusammenarbeitsgrundlagen führen kann. So ist die Krankenkasse für das Spital auf einmal nicht mehr nur eine Preisdrückerin, sondern eben auch eine Partnerin, die mithelfen kann, dass die Patienten in eine bestimmte Klinik kommen. Das Kompetenzzentrum will so zusammen mit den unterschiedlichen Akteuren im Gesundheitswesen ein eigentliches Netzwerk für mögliche Zusammenarbeiten entwerfen.





Das CC HNE will aber nicht nur ein Kooperationsnetzwerk entwerfen, sondern eine eigentliche Plattform für das Schweizer Gesundheitswesen. Bis Ende 2006 soll die grundlegende Architektur stehen. Bis dann will man auch herausarbeiten, welche Dienste für einen möglichst effizienten ICT-Einsatz sinnvollerweise allen Teilnehmern zentral zur Verfügung gestellt werden sollten. Rohner denkt dabei an eine nationale PKI (Public Key Infrastructure) zur sicheren Authentifizierung, wie sie beispielsweise von verschiedenen Seiten auch für das E-Government gewünscht wird. Daneben sind auch Verzeichnis- und Kartendienste, ein Finanz-Clearing sowie Metadaten-Directories, aber auch zentrale Datenbanken beispielsweise für digitale Röntgenbilder mögliche Kandidaten für solche zentralen Services.






Als dritten Schwerpunkt beim Aufbau einer Schweizer E-Healthcare-Plattform nennt Rohner die Etablierung von organisationsübergreifenden Datenstrukturen, analog zum derzeit laufenden Lohndatenprojekt von Seco, Suva, Ausgleichskassen, Steuerämtern und Versicherern im E-Government-Bereich. Hier ist ein übergeordnetes Gremium nötig, um die heute noch weitgehend nicht koordinierten Aktivitäten in den einzelnen Bereichen zu bündeln. Wie auch in allen anderen Bereichen, soll dabei das Rad nicht zum hundertsten Mal neu erfunden werden, sondern bestehende Komponenten sinnvoll zusammengefügt werden, wie Rohner die Grundphilosophie des Vorgehens umschreibt.
Die Wirtschaftsinformatiker haben für ihre geplante Aufgabe einen gewichtigen Nachteil: Sie kommen von aussen und sprechen nicht «medizinisch». Dies erschwert die Kommunikation. Gerade im Gesundheitswesen hat heute das Fachliche immer noch einen zu hohen Stellenwert. Andererseits ist diese Aussensicht auch ein Vorteil. Schliesslich hat das Institut für Wirtschaftinformatik der Universität St. Gallen einen langen Leistungsausweis in Sachen Umsetzung von Informationsmanagementlösungen in unterschiedlichsten Branchen. Das dafür notwendige Moderieren zwischen verschiedenen Interessengruppen ist, laut Rohner, eine ihrer Kernkompetenzen.




Schweizer Standardisierungsgremien E-Healthcare


Die Treiber und Bremser

Damit die Plattform nicht nur auf dem Papier zustande kommt, muss auch der entsprechende Wille bei den entscheidenden Akteuren vorhanden sein. Mit dem Tarmed und der kommenden Versichertenkarte hat der Bund über das Versicherungsgesetz zwei Instrumente geschaffen, die die durchgängige Elektronisierung des Gesundheitswesens vorantreiben. Zusätzlich fördern aber auch Qualitätsmanagementsysteme, wie sie in jüngster Zeit an praktisch allen Spitälern eingeführt wurden, das Prozessdenken. Gerade auch die Ärzteschaft hat durch die Einführung dieser Systeme gemerkt, dass strukturierte Prozesse die Qualität der medizinischen Leistungen tatsächlich verbessern. Dadurch konnten viele grundsätzliche psychologische Aversionen abgebaut werden.
Zu den Bremsern der Entwicklung zählen neben dem Föderalismus, dem Datenschutz, den historisch gewachsenen Strukturen und den Verständigungsschwierigkeiten zwischen Informatikern und Medizinern auch die Hersteller der bisherigen Insellösungen. Für sie und ihre Partner bedeuten die heute vorhandenen Brüche im digitalen Datenfluss bares Geld. Der Druck, die Situation zu ändern, muss darum von der Nachfrageseite kommen, von den Spitälern, den Ärzten, den Krankenkassen und den Gesundheitsdirektionen.




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