Editorial

Usability, die niemand wirklich will

Für die Hersteller geht die Rechnung auf: Je mehr Energie in das Erlernen eines Programms gesteckt werden muss, desto grösser ist die Migrationshürde.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/16

     

Handytastaturen, Digitalkamera-Menüs, Website-Nutzerführung, PDA- und PC-Anwenderschnittstellen - tagtäglich vertrödeln wir Minuten und Stunden mit unsinnigen Umwegen, ungelenkem Getippe und in logischen Einbahnstrassen.



Momentan rege ich mich zwar jedesmal heftigst auf, wenn ich für die einfachsten Funktionen einer Digicam erst ein 50 Seiten dickes, allem Anschein nach maschinell aus dem Chinesischen übersetztes Handbuch in verständliche Zusammenhänge setzen muss. Den Anspruch, dass ein Bedienungsmenü eigentlich selbsterklärend sein müsste, habe ich längst aufgegeben. Aber letztendlich hält mich eine noch so chaotische Anleitung weder vom Kauf noch von der Benutzung ab. Auf den passionierten Tech-Liebhaber üben in germanisiertem Japanisch verfasste Büchlein nämlich eine hypnotisierende Wirkung aus. Der Jäger-und-Sammler-Trieb oder ein anderer Instinkt aus der Zeit, als wir die Bäume verliessen, übernimmt die Steuerung, und die Stunden verschwimmen in einem Try-and-Error-Stakkato, bis das liebe Ding endlich tut, was die Verpackung verspricht.




Usability ist seit dem Beginn der technischen Revolution allenfalls ein Thema für wissenschaftliche Kongresse, wie kürzlich an der ETH Zürich (siehe Seite 10). Und da waren die Klagen der Usability-Päpste die exakt gleichen wie seit jeher. Der Benutzbarkeit werde nicht die nötige Beachtung geschenkt. Statt sie von Beginn der Geräteentwicklung integral miteinzubeziehen, werden sie erst am Schluss oberflächlich über das unstrukturierte Bedienungschaos gepinselt.



Was die Usability-Anhänger bei ihren frustrierten Aufrufen immer vergessen: Für die Hersteller geht die Rechnung genauso auf wie für den leidenschaftlich tüftelnden Techie. Je mehr Energie der Nutzer in das Erlernen eines Gerätes oder Programms stecken muss, desto grösser wird die Migrationshürde. Schlechte Bedienbarkeit bindet Kunden. Eine durchdachte aber bisher ungewohnte Benutzerschnittstelle bedeutet den sicheren wirtschaftlichen Misserfolg.




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