Am Ende arbeiten wir alle als Chinesen für Dell


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/10

     

In einer Woche öffnet die Orbit-iEX ihre Tore. Revolutionäres wird es kaum zu sehen geben, dafür viele pragmatische Lösungen für den KMU-Alltag. Das ist auch gut so, denn schliesslich ist die Leistungsschau der Schweizer Informatik auch keine Cebit und schon gar keine Zukunftsmesse. Traurig stimmt mich aber, dass sich Innovation und Freude an der Technik ganz allgemein leise, aber immer merklicher aus den noch vor wenigen Jahren vor Ideen nur so sprühenden Informations- und Kommunikationstechnologien verabschieden. Dell und China heissen die neuen Götter am Managementhimmel. Das Kopieren wird in Form von «Best Practices» zur grössten Tugend
erhoben – es sei denn, es handelt sich um MP3s, DVDs oder Standard-Software-Pakete.




Freuen wird dies die klugen Köpfe des wirtschaftsliberalen Think Tanks Avenir Suisse, der uns Schweizern in Buchform vorhält, dass wir zu technikverliebt und darum IT-mässig ineffizient
seien. Gut, dann folgen wir also diesen weitsichtigen Propheten und werden wir Chinesen – ohne um Himmelswillen zu vergessen, dass das Kopieren von Geschäftsprozessen und Produkten
mittels Standard-Software nichts mit dem gemeinen Raubkopieren von Software oder Musik zu tun hat. Ich frage mich dann bloss, ob wir auch in ähnlich verschmutzten Städten in gesichtslosen Wohnsilos von den gleichen Hungerlöhnen werden leben müssen wie die Chinesen, um konkurrenzfähig zu sein.





Unser «Unique Selling Point» als Schweizer ist die Individualität, die Freude am Neuen, an der Technik, am Risiko – die Innovation also. Die konsequente Standardisierung und Optimierung mag für internationale Grosskonzerne das richtige Erfolgsrezept sein. Aber diese fühlen sich sowieso keinem Land und keiner Gesellschaft verbunden und verschieben ihre Aktivitäten je nach der
jeweils realisierbaren Gewinnmarge. Die meisten Schweizer KMU leben demgegenüber davon, dass sie etwas anders und vor allem besser machen als die weltweite Konkurrenz. Das heisst nicht, dass wir das Rad immer wieder neu erfinden müssen. Natürlich gibt es viele Geschäftsprozesse, die sich standardisieren lassen und die man darum auch mit Software von der Stange möglichst ohne Veränderungen abwickeln soll. Aber Innovation, Risiko und Freude an der Technik – am
richtigen Ort ausgelebt – sind auch bei der Anwendung der Informationstechnologien nötig, wenn wir nicht über kurz oder lang alle als Chinesen für Dell arbeiten wollen.




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