China wird zum Standard

China nutzt seine wachsende Marktmacht, um eigene Standards zu setzen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/14

     

China ist nicht mehr nur blosses Produktionsland, sondern setzt immer häufiger technische Standards. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Berater von Deloitte & Touche. Hintergrund dieser Entwicklung ist der rasante Aufstieg vor allem der chinesischen Küstenregionen vom Entwicklungsland-Zustand zu modernen Industrie- und Dienstleistungszentren. In Sachen Urheberrechtsschutz zeigt die chinesische Führung allerdings wenig Interesse, sich den internationalen Gepflogenheiten anzupassen. Eine jüngst durchgeführte Polizeiaktion ist viel eher eine Ohrfeige für die USA.
Die Marktforscher von IDC rechnen vor, dass China bis 2010 zum drittgrössten IT-Abnehmermarkt wird und in absehbarer Zeit die USA gar von der Spitze verdrängen dürfte. Mit dem schnell wachsenden Heimmarkt im Rücken erhalten auch die chinesischen Technologiestandards (siehe Kasten) eine entsprechend steigende Wichtigkeit. Deloitte & Touche rät darum westlichen Herstellern, sich mit chinesischen Partnern zu verbünden, wenn sie nicht aus eigener Kraft in China eine beherrschende und damit standardsetzende Stellung erreichen können. Denn die Politik der chinesischen Führung scheint klar: Mit eigenen Standards will sich das Land von Lizenzzahlungen an westliche Hersteller befreien und so einen grösseren Teil der Gewinnmargen behalten.





Vielleicht will die Führung mit eigenen Standards aber auch den wachsenden Differenzen mit dem Westen über die Durchsetzung von Urheberrechten aus dem Weg gehen. Denn in China wird alles, ob Viagra, DVDs, Software, Uhren oder «Antiquitäten», hemmungslos kopiert. Grosse Teile der Industrie leben gar vom entgeltlosen Kopieren. Und dies scheint auch noch eine Weile so zu bleiben. «China Daily», die englischsprachige Verlautbarungspostille der regierenden kommunistischen Partei, hat den Tarif Ende Juli klar durchgegeben: Die erste Zusammenarbeit zwischen US-Sicherheitsorganen und chinesischer Polizei in Sachen Copyright-Verletzung wurde mit der Verhaftung von zwei Amerikanern in Shanghai gefeiert, wahrscheinlich den einzigen Ausländern, die in die blühende chinesische Kopierindustrie involviert sind. Die Botschaft ist klar: China hat kein Interesse, das Raubkopieren für den Heimmarkt einzudämmen. Die Originalprodukte können Chinesen trotz allem Aufschwung schlicht nicht bezahlen.


Chinesische Standards, die zunehmend wichtiger werden


• Betriebssysteme und Applikationen: China entwickelt einen eigenen Linux-Standard, auf dem Applikationen aufgebaut werden sollen, die für die eigene Bevölkerung bezahlbar sind.


• Optische Discs: Ein DVD-Nachfolgestandard namens EVD (Enhanced Versatile Disc) soll die chinesischen DVD-Player-Hersteller von den sehr hohen DVD-Lizenzgebühren befreien.


• RFID: China arbeitet an einem eigenen Standard für Funketiketten. Es ist nicht klar, ob dieser mit dem internationalen Standard kompatibel sein wird.


• UMTS: China verfügt über einen eigenen, international anerkannten 3G-Standard. Als dereinst grösster Markt für Mobilkommunikation dürfte es den Standard für den kommenden Mobilfunk der vierten Generation (4G) zu grossen Teilen bestimmen.


• Audio/Video-Coding: China arbeitet an einem eigenen MPEG-2-Nachfolger namens AVS, der die internationalen Standards MPEG-4 und H.264 konkurrieren wird.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Zwerge traf Schneewittchen im Wald?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER