Gutmütige Grosskatze

Mit Dashboard, Automator und Spotlight bietet Apples neueste Betriebssystem-Inkarnation nicht nur viel fürs Auge.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/11

     

Nach Cheetah, Puma, Jaguar und Panther steht nun mit Tiger alias MacOS X 10.4 wieder ein Upgrade für Apples unixoides Desktop- und Serverbetriebssystem bereit. Mit über 200 neuen Funktionen soll es den Anwendern die Arbeit mit iBook, Mac Mini, PowerMac und Co. einfacher und effizienter machen.
Den ersten Ausblick auf die neuen Funktionen von MacOS X 10.4 gab Steve Jobs bereits an der letztjährigen World Wide Developer Conference in San Francisco. Schon damals waren das Dashboard, der Automator und Spotlight die Aufhänger von Apples neuster Raubkatze – und sie sind auch jetzt die unbestrittenen Stars. Doch unter der Haube hat sich ebenfalls einiges getan.


Schreibtisch-Detektiv

Nach der gewohnt problemlosen Installation präsentiert sich MacOS X im bekannten Look. Neu ist nur die kleine blaue Lupe oben rechts neben der Uhr. Nach einem Klick darauf öffnet sich Spotlight, Apples Desktop-Suchmaschine für den Tiger. Sie durchsucht, vergleichbar mit Google Desktop Search, die lokale Festplatte und angeschlossene Datenträger nach Dateien, E-Mails und Programmen, dabei schafft es Spotlight, innert ein bis zwei Sekunden mehrere tausend Treffer auszuspucken. Die Präsentation samt Sortierung nach diversen Eigenschaften wie Datum, Name oder Dateiart ist intuitiv und erlaubt auch das Handling grösserer Resultat-Mengen, was vor allem dann wichtig ist, wenn Spotlight Zugriff auf die
E-Mails hat. Programme wie Sy-
stemeinstellungen werden ebenfalls einbezogen, was Spotlight auch zu einer Art Ersatz für Programme wie Launchbar macht. Ordner und Dateitypen, die nicht von Spotlight berücksichtigt werden sollen, können über die Systemeinstellungen definiert werden, wobei sie weiterhin in den Indizes berücksichtigt werden. Die Indexierung
lässt sich mit dem Kommandozeilen-Werkzeug mdutil endgültig abschalten. Neben mdutil sind noch weitere Tools verfügbar, mit deren Hilfe sich Spotlight auch auf der Shell steuern und nutzen lässt.






Ein weiteres nettes Gadget, das
vor allem für Desktop-Chaoten
eine grosse Erleichterung sein dürfte, sind die virtuellen Ordner,
die man auch in Mail.app findet.
Sie sammeln Dateien, die einer bestimmten Spotlight-Suchabfrage entsprechen.


Automator: Fleissiges Heinzelmännchen

Eine weitere Arbeitserleichterung ist der Automator. Die Software respektive die Aktionen stellen hauptsächlich eine Art grafisches Front-end für AppleScript dar, allerdings können Aktionen auch in ObjC und Cocoa geschrieben werden – Apples kostenlose Entwicklungsumgebung XCode 2.0 bringt die dafür nötigen Funktionen mit. Für den Alltagsgebrauch dürfte dies aber kaum nötig sein, da die Software bereits Dutzende von Aktionen für jede Applikation von Haus aus mitbringt und Dritthersteller ihre Software automatisch mit passenden Aktionen ausstatten. Arbeitsabläufe werden erstellt, indem man die Aktionen in der gewünschten Reihenfolge im rechten Programmfenster anordnet. Dabei zeigt jede Aktion an, welche Art von Daten sie erwartet und an die nächste Aktion weitergeben kann. Der erste Screenshot im Kasten nebenan zeigt einen einfachen Automator-Ablauf, der den gesamten E-Mail-Bestand von Mail.app in einem Zip-Archiv sammelt, dieses mit dem aktuellen Datum versieht und auf einem Netzwerkserver speichert. Eigentlich eine triviale Aufgabe und schneller sowie effizienter mit einem Shellscript zu realisieren – aber nur, wenn man programmieren kann. Einziger Wermutstropfen: Während vor allem die Hersteller kleiner Utilities schon kurz nach dem Tiger-Launch erste Aktionen mitbrachten, sitzt man bei Microsoft Office wie bereits bei Spotlight und Entourage auf dem trockenen.


Praktische Toolbox

Die dritte Funktion, die Apple geschickt in das Zentrum des medialen Interesses gerückt hat, ist das Dashboard. Fährt man mit der Maus über eine aktive Ecke oder drückt einen vordefinierten Shortcut, wird der Bildschirm abgedunkelt, und es werden kleine Tools sowie Gimmicks geladen, die dem Anwender einen schnellen Zugriff auf einfache, aber häufig benötigte Funktionen bereitstellen. Beispielsweise ermöglichen sie einen schnellen Blick auf das aktuelle Wetter – eine essentielle Funktion für alle Nachtschattengewächse, die sich vorzugsweise in Büros ohne Fenster aufhalten. Neben der Wettervorhersage bringt Tiger unter anderem Front-ends zum Adressbuch, iCal oder iTunes mit. Weitere Widgets sind unter anderem von der Apple-Homepage zu beziehen.


Klein, aber fein

Unter den nicht ganz so spektakulären Funktionen finden sich auch noch einige, die das Leben einfacher machen. So verfügt der Finder jetzt über einen Brenn-Ordner, dessen Inhalt mit einem Klick auf ein optisches Medium gebrannt werden kann. Safari lässt sich nun als RSS-Reader verwenden, wobei Safari normale Bookmarks und Feeds mischt. Zudem verfügt Safari über den Modus «Privates Surfen», bei dem unter anderem kein Verlauf angelegt und keine Formulareingaben gespeichert werden. Mail.app hat neben den bereits erwähnten virtuellen Ordnern und der Spotlight-Suche ein dezentes Face-Lifting verpasst bekommen. iChat3 greift nun wie Quicktime 7 auf den H.264-Codec, einer der Standards für HD-DVD, für Videokonferenzen zurück und kann nun auch mit Jabber-Anwendern sprechen. Rendezvous heisst nun Bonjour, und Benutzerprofile können mit einer Kindersicherung versehen werden, so dass die Kleinen keinen Zugriff aufs Internet oder bestimmte Applikationen erhalten.


Stabiler Zugang

Vielleicht nicht ganz so spektakulär für den durchschnittlichen Anwender, dafür umso interessanter für Software-Entwickler und Power-User sind die Änderungen im Innern von Tiger. So bringt Tiger als erste Version von OS X stabile und offiziell spezifizierte Kernel-Programming-Interfaces mit, die zudem versioniert werden. Dies bringt sowohl Apple als auch den Entwicklern von Kernel-Extensions und letzlich sogar den Anwendern grosse Vorteile.






Denn nun kann
Apple grössere Änderungen am Kernel vornehmen, ohne fürchten zu müssen, dass Kernel-Extensions, die beispielsweise für VPN-Clients benötigt werden, wegen eines Updates nicht mehr funktionieren. Entwickler können sich darauf verlassen, dass ihre Software auch nach einem Major-Upgrade noch funktioniert, womit sich der Wartungsaufwand verringert. Und Anwender können sich darüber freuen, dass beispielsweise der Cisco VPN-Client beim Umstieg von Tiger auf die nächste Version von MacOS X im Gegensatz zum Umstieg von Panther auf Tiger funktionieren wird.


Freie Fahrt für alle

Weiter ist der globale Kernel-Lock durch ein feiner granuliertes Locking-System ersetzt worden, das jeweils nur ein Subsystem für einen Prozess sperrt. Konnten bis zu Panther nur jeweils ein bis zwei Prozesse im Kernel-Mode laufen, ist die Anzahl der Prozesse, die gleichzeitig abgearbeitet werden können, durch die feinere Abstimmung massiv erhöht worden. Dies ist vor allem in Hinblick auf Dual-Core-Prozessoren ein sehr wichtiger Schritt, da nun auch Prozesse im Kernel-Mode die grössere Anzahl parallel abarbeitbarer Threads ausnutzen können, was schliesslich trotz des Overhead für die Verwaltung der Locks für eine höhere Performance sorgt.






Bezüglich 64-Bit ist Tiger ebenfalls einen Schritt weitergegangen. Sämtliche Prozesse können nun den 64-Bit-Adressraum sehen und mit 64-Bit-Pointern ansteuern. Dazu müssen allerdings sämtliche Libraries, auf die das Programm zugreift, mit 64-Bit-Pointern ausgestattet sein. Dies ist bislang nur die libSystem, die unter anderem für I/O- und mathematische Operationen sowie Inter-Prozess-Kommunikation genutzt wird. Programme, die mit einem GUI ausgestattet sind, bleiben somit aussen vor. Für derartige Programme ist vorgesehen, dass das GUI weiterhin im 32-Bit-Adressraum verbleibt, während die Arbeit an einen zweiten Prozess übergeben wird, der nur auf die libSystem zurückgreift.
Weiter beherrscht Tiger nun ACLs, die über die erweiterten Attribute von HFS+ realisiert werden. Das HFS+-Format wird somit von der Änderung nicht tangiert, und zur Nutzung der ACLs ist somit keine Neuformatierung der Datenträger notwendig.


Brachiale Geschwindigkeit

Mit CoreImage verfügt Tiger über ein Framework, welches die Verarbeitung von Bildmanipulationen massiv beschleunigen kann. Die Plug-ins, die bei Apple Image Units heissen, stellen im Moment mehrere Dutzend Filter zur Bildmanipulation zur Verfügung, die etwas an die Filter von Photoshop und Co. erinnern. Die Bilddaten können durch eine beliebige Anzahl von Filtern geschickt werden, wobei aber noch keine Berechnungen durchgeführt werden. Die nötigen Berechnungsschritte werden nur vorgemerkt und am Schluss von einem Just-in-Time-Compiler in einen sehr effizienten Code umgewandelt. Dieser wird dann bei alten Macs an die CPU und ihre AltiVec-Einheit übergeben, bei neueren Macs mit leistungsfähigen Grafikkarten aber von der GPU ausgeführt, was nicht nur den Hauptprozessor entlastet, sondern auch ungeheuer schnell ist. Effekte wie die Wassertropfen beim Dashboard können quasi in Echtzeit berechnet werden.
Neben CoreImage wurde nun auch das Windowing-System Quartz in die Grafikkarte verschoben und dabei in Quartz 2D Extreme umbenannt. Auch hier konnte eine massive Performance-Verbesserung erreicht werden.


Schmusetiger

Die Benutzung von MacOS X 10.4 gestaltete sich vom ersten Tag an äusserst angenehm. Im Vergleich zu den Vorversionen geht der Tiger mindestens subjektiv flinker zu Werke, Geschwindigkeitsvergleiche zu früheren Versionen sind diesbezüglich nicht ganz so eindeutig. Immerhin ist Tiger selbst auf so betagten Geräten wie einem iBook G3 600 MHz nicht langsamer als der Vorgänger, was heutzutage schon eine grosse Leistung ist. Vor grösseren Überraschungen wie bei 10.3, als Benutzer von Datenverlust auf externen Festplatten und anderen Horrorstückchen berichteten, bleibt man als Anwender mit Tiger verschont. Einzig den SMB-Support im Finder hat Apple wie schon bei der ersten Ausgabe von Panther in den Sand gesetzt. Während mount_smbfs und der Automount-Daemon SMB-Shares problemlos einbinden, weigerte sich der Finder standhaft, eine Verbindung zu unserem File-Server aufzunehmen und eine Auswahlliste von verfügbaren Shares anzuzeigen – daran änderte auch das erste Update auf 10.4.1 nichts.






Vereinzelte Abstürze von Safari und Mail.app wurden mit 10.4.1 von Apple aus der Welt geräumt. Sowohl der Automator als auch Dashboard und Spotlight wussten während des Tests durchaus zu gefallen, wobei der Automator im Gegensatz zu einem Bash-Script bei sehr grossen Datenmengen doch ziemlich langsam zu Werke geht. Das Dashboard wurde von Apple sehr ressourcenschonend implementiert, was man vom Konkurrenten Konfabulator nicht sagen kann. Die wohl grösste Arbeitserleichterung stellt Spotlight dar, das einem dabei hilft, auch die grössten Datenmengen einigermassen im Griff zu haben. Schade ist, dass Daten aus Microsofts Entourage noch ein weisser Fleck auf der Spotlight-Landkarte sind. Abhilfe hat Microsoft diesbezüglich für den Herbst in Form eines kostenlosen Service-Packs in Aussicht gestellt. Gleiches gilt für den Automator.


Mühelose Migration

Dadurch, dass Apple bereits früh Software-Entwicklern Testversionen von Tiger zur Verfügung gestellt hat, waren die meisten Applikationen bereits von Tigers Geburtsstunde an lauffähig. Einzig einige Applikationen, die von Kernel-Extensions abhängig sind, konnten nicht zum Arbeiten überredet werden. Prominentestes Opfer war Ciscos VPN-Client, der sich mittlerweile aber auch mit Tiger versteht. Äusserst vielversprechend sind ausserdem die Änderungen am Kernel und die neuen Visualisierungstechnologien um CoreImage und Quartz 2D Extreme, deren volles Potential man erst in den nächsten Monaten und Jahren erleben dürfte. Was den Reiz von Tiger ausmacht, sind weniger die einzelnen Änderungen, als deren Kombination. Und so muss man Apple neidlos zugestehen, dass mit MacOS X 10.4 ein ganz grosser Wurf gelungen ist.




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