Editorial

Apple zeigt Vista 2.0


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/14

     

Die nächste Betriebssystemversion präsentiert Apple sinngemäss zuerst der Entwicklergemeinde, bevor sie einige Monate danach dem kommunen Publikum zugute kommt. So geschah es auch am vergangenen siebten August: Steve Jobs führte den über 4000 Teilnehmern der Apple Worldwide Developers Conference WWDC in San Francisco höchstselbst die zehn wichtigsten Verbesserungen von Mac OS X 10.5 «Leopard» vor. Ich will hier nicht weiter auf die Details eingehen - mehr dazu lesen Sie weiter hinten im Heft.



Ganz kann ich mich aber doch nicht zurückhalten. Eine der Hauptneuerungen ist nämlich schlicht sensationell. Sie heisst «Time Machine», erstellt automatisch ein kontinuierliches Backup und erlaubt den Rückgriff auf frühere Zustände auf äusserst bequeme Weise. Utilities fürs laufende Backup gibt es zwar schon lang. Direkt ins System integriert, und dann noch Apple-typisch auch tatsächlich benutzerfreundlich, gab es solcherlei Funktionalität bis dato aber nicht. Allein dieses Feature wird dem Mac-User den Umstieg auf die neue OS-Version zur zwingenden Notwendigkeit machen und die Windows-Gemeinde vor Neid erblassen lassen. Sowohl Jobs in der Keynote als auch verschiedene grossformatige Poster machten sich denn auch wiederholt mit Sprüchen wie «Introducing Vista 2.0» oder «Redmond has a cat too - a copycat» über den grossen Konkurrenten lustig.




Mehr als einen ersten Einblick in die Top Ten gab es für die Keynote-Teilnehmer nicht: Um der Konkurrenz nicht schon jetzt alles zu verraten, meinte Jobs, halte man das eine oder andere noch unter dem Siegel «Top Secret». Es ist nicht auszuschliessen, dass Apple mit dem Release von «Leopard» noch weitere fundamentale Änderungen einführt. Die eigentlichen Konferenzteilnehmer wissen vielleicht schon mehr: Die Sessions und Hands-on-Labs der WWDC waren einzig den Entwicklern vorbehalten, die dazu ein Nondisclosure-Agreement unterschreiben mussten. Die eigens aus der ganzen Welt eingeflogenen Journalisten durften sich bloss die Keynote zu Gemüte führen und kamen später noch in den Genuss eines punkto Fragemöglichkeiten streng kontrollierten Briefings. In der Zwischenzeit konnte man ohne Begleitung durch einen Apple-Mitarbeiter nicht mal aufs Klo - man hätte sich auf dem Weg ja sonst in eine Konferenzsession einschleichen können...



Sensationelle Neuerungen hin, übertriebene Geheimhaltung her: Die Hauptfrage ist wohl, ob die Anstrengungen fruchten. Sie tun es offensichtlich. Mehr nebenbei vorgetragen, liessen ein paar Zahlen nämlich aufhorchen. Seit der Einführung des Intel-basierten MacBook Pro im Januar hat sich in den USA Apples Marktanteil bei Notebooks von 6 auf 12 Prozent verdoppelt. Und über die Hälfte der Kunden in den unternehmenseigenen Apple-Stores hatten vorher keinen Mac - entweder waren es Erstkäufer, oder sie kamen von der Windows-Schiene her.
Apple geniesst bei Consumern und Kreativprofis also rasanten Erfolg. Im Hinblick aufs Business-Segment ist dies allerdings wenig bedeutend. Für einen umfassenden Einzug in die Geschäftsinformatik fehlen Apple die passende Applikationslandschaft und vor allem eine standesgemässe Serviceorganisation. Es ist zudem zweifelhaft, ob das Unternehmen die enormen Anstrengungen für eine stärkere Präsenz in der Corporate-Welt überhaupt in Angriff nehmen will, schliesslich lebt man in den angestammten Gefilden ausserordentlich gut. Wir werden es also trotz Leopard und Intel kaum erleben, dass in den Büros dieser Welt plötzlich alle PCs durch Macs ersetzt werden.

(ubi)


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