RFID schiebt Buchhandel an

Die niederländische Buchhandelsgruppe BGN leistet mit ihrer SOA-basierten Funketiketten-Lösung weltweite Pionierarbeit.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/17

     

Der Konkurrenzkampf im Buchhandel nimmt ständig an Härte zu vor allem auch aufgrund der immer beliebteren Online-Angebote. Wenn Bücherfreunde ihre Literatur mittels weniger Mausklicks bestellen können, müssen die traditionellen Händler deshalb ihre Geschäftsprozesse so weit wie möglich rationalisieren und automatisieren. Die niederländische Buchhandelskette BGN (Boekhandels Groep Nederland) hat in dieser Hinsicht Pionierarbeit geleistet.


RFID-Pionier im Buchhandel

Als weltweit erstes Unternehmen hat sie die Abläufe in der logistischen Lieferkette weitgehend automatisiert. Das wurde möglich, weil jedes einzelne Buch mit einem winzigen RFID-Chip (Radio Frequency Identification) versehen wird, der alle wichtigen Daten über das Objekt enthält. Per Funk können die Daten aus dem elektronischen Etikett berührungslos und ohne Sichtkontakt ausgelesen werden.
Trifft eine Lieferung aus dem Grosshandel in den Läden ein, werden alle Bücher in den noch verschlossenen Paketen mit einem speziellen Scanner auf einmal erfasst. In den Kartons befinden sich jeweils 30 bis 35 Bücher. Der Inhalt wird dann automatisch mit der Lieferankündigung verglichen. Der gesamte Vorgang dauert so nur wenige Sekunden.
Zuvor musste das Personal die Verpackung öffnen und den Inhalt manuell prüfen - bei bis zu 2000 täglich gelieferten Büchern ein erheblicher Zeit- und Kostenfaktor. Bislang konnten RFID-Anwendungen nur ganze Paletten oder Kartons erfassen, nicht aber in einem Lesevorgang auch die einzelnen darin verpackten Artikel. Bei BGN dagegen funktioniert nun weltweit erstmals die Pulk-Erfassung. Das bedeutet nicht nur eine Revolution im Buchhandel, sondern auch Neuland für den Einsatz der RFID-Funketiketten im allgemeinen. Profitieren können davon potentiell sämtliche Branchen.
«Bis anhin musste im Wareneingang jeder Karton einzeln geprüft werden. Eine solche Aktion dauerte fünf bis sechs Minuten. Durch die RFID-Funketiketten an den Büchern und die automatische Prüfung hat sich der diesbezügliche Zeitaufwand nunmehr auf weniger als zehn Sekunden reduziert», erklärt Jan Vink, IT-Direktor bei BGN, die Effizienzsteigerung durch die neue Technologie.


Effiziente Supply-Chain auf SOA-Grundlage

Auf der Basis einer SOA-Infrastruktur (Service Oriented Architecture) ermöglichen die Item-Level-RFID-Tags Funketiketten für jedes einzelne Objekt) eine hocheffiziente Lagersteuerung und eine völlige Transparenz der Warenbewegungen vom Zentrallager des Grosshändlers bis zu den Buchläden. Daraus resultieren deutlich niedrigere Prozesskosten in der gesamten Supply-Chain.
In der ersten Phase ist die BGN-Niederlassung in Almere (Smartstore Selexyz Scheltema) angeschlossen worden, im September wurde ein weiterer sogenannter Smartstore in Maastricht (Selexyz Dekker) eingerichtet.



Realisiert wurde die Anwendung von Progress Software, die sich auf Applikationsinfrastruktur-Software für alle Aspekte der Entwicklung, Implementierung, Integration und Verwaltung von Geschäftsanwendungen spezialisiert hat. Zum Einsatz in der Retail-Lösung bei BGN kommen vier Progress-Produketlinien: Progress OpenEdge als Plattform, die alle Transaktionen in den Buchläden vollzieht, Apama ESP zur Verarbeitung der RFID-Daten in Echtzeit, Sonic ESB als Integrationsinfrastruktur und Progress EasyAsk als Applikation, die Anfragen und Suchläufe auch in der niederländischen Alltagssprache erlaubt.
Eine mit Progress OpenEdge erstellte Applikation verwaltet alle Informationen, um Bücher im zentralen Warenlager des Distributors zu lokalisieren, auf dem Weg zu den Buchläden zu verfolgen sowie ihr Eintreffen im Geschäft und die Plazierung im Regal zu verzeichnen. Der Sonic ESB (Enterprise Service Bus) stellt die notwendige SOA-Infrastruktur bereit, die skalierbare und zuverlässige Verbindungen zwischen allen Komponenten im Waren- und Informationsfluss vom Lager zu den einzelnen BGN-Filialen garantiert. Die gesamte SOA lässt sich von einem zentralen Rechenzentrum aus administrieren und steuern.



Mit Progress EasyAsk wiederum können sowohl Mitarbeiter in den Läden als auch Kunden per Selbstbedienung an PCs in Niederländisch Suchanfragen nach Büchern starten: Sind die Bücher im Geschäft an Lager? Gibt es das gesuchte Werk in einem anderen BGN-Smartstore? Muss es beim Distributor bestellt werden? Über Sonic ESB wird der Auftrag dann bei Bedarf über das BGN-Order-System an den Distributor weitergeleitet.


Sämtliche Bücher jederzeit im Griff

Bei allen Lieferungen, egal wie umfangreich, erhält jedes einzelne Buch einen RFID-Tag. Anschliessend wird die Lieferung zusammengestellt, verpackt und an die Läden ausgeliefert. Zusätzlich dazu gibt es Advanced Shipping Notices (ASNs; Lieferavis/Lieferankündigungen) in elektronischer Form.
Nach der Ankunft in den Filialen werden die Kartons mit den Büchern per Massenerfassung in einem «RFID-Tunnel» gescannt und der Inhalt der Kartons mit den ASNs abgeglichen.




Auf diese Weise lässt sich auf Anhieb automatisch feststellen, ob die gelieferte Ware tatsächlich in allen Details wie Preisangaben und Mengen mit den Bestellungen übereinstimmt. Die Datenerfassung und der Abgleich in Echtzeit mit den ASNs erfolgt technisch in Form eines RFID Event Processing Service durch die Progress Apama ESP-Plattform.
«Wir haben jetzt einen Prozess implementiert, der vollständig automatisch abläuft und sich zeitnah überwachen und steuern lässt. Das erspart viel Zeit und Geld beim Abgleich der Lieferscheine mit dem Wareneingang in den Buchläden», erklärt BGN-Chef Matthijs van der Lely. «Die Massenerfassung der RFID-Tags an jedem Buch schafft die Grundlage für äusserst effiziente Prozesse, was nicht nur Kosten spart, sondern auch unsere Profitabilität erhöht. Zudem gelingt es uns, deutlich schneller auf Kundenanfragen zu reagieren», so van der Lely.





Die SOA-basierte RFID-Lösung hat auch massive Auswirkungen auf die Inventur-Abläufe bei BGN. Laut IT-Direktor Vink kann eine Filiale damit in weniger als zwei Stunden eine solche durchführen. «Bislang musste man für eine Inventur das Geschäft schliessen und 20 bis 25 Mitarbeiter dafür einsetzen. Die Funketiketten an den Büchern bringen uns nun bei der Inventur eine Ersparnis von 260’000 Euro im Jahr», erklärt Vink.




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