Editorial

Handyradar fürs tägliche Leben


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/21

     

Ich werde oft als Referent zu Konferenzen eingeladen, an denen die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen moderner Technik diskutiert werden. Weil ich ein Buch über die Zukunft der drahtlosen Kommunikation geschrieben habe, werde ich immer wieder nach dem Haupteinfluss gefragt, den das allgegenwärtige Handy auf unser Verhalten bewirkt. Apropos «allgegenwärtig»: Acht von zehn Europäern besitzen ein Handy oder ein gleichwertiges Mobilgerät, und in vielen Ländern gibt es heute mehr Handy-Abos als Einwohner. Also: Ich glaube, dass der Haupteinfluss auf unser Verhalten in einem komplett veränderten Begriff von «Erreichbarkeit» besteht – und in einer entscheidenden Veränderung der Art und Weise, wie wir unsere Zeit organisieren.





Ein Beispiel: Ich verabrede mich via Handy mit einem Freund auf überübermorgen Nachmittag. Gleichzeitig einigen wir uns darauf, am Morgen selbigen Tags den Termin nochmals zu checken und den genauen Ort und die Zeit festzulegen. Dieses Vorgehen impliziert dreierlei: Erstens sind wir uns einig darüber, dass wir beide an besagtem Tag höchstwahrscheinlich in der Stadt sind. Zweitens markieren wir in unseren Agenden ein vorläufiges, flexibles Zeitfenster, das es erlaubt, uns eine Stunde früher, zwei Stunden später oder überhaupt nicht zu treffen – je nachdem, was in der Zwischenzeit passiert. Drittens wissen wir natürlich beide, dass das Treffen entweder zustande kommt – oder eben nicht.






Ein solches Vorgehen bei Abmachungen wird immer häufiger. Unsere Einstellung gegenüber der Organisation von Zeit – und unserer beruflichen und sozialen Interaktionen – ändert sich rasch. Der Hauptgrund dafür liegt im massiv erhöhten Gebrauch von Handys, in der daraus resultierenden permanenten Erreichbarkeit und im entsprechend ungehinderten Informationsaustausch. Für eine wachsende Zahl von Leuten in der ersten Welt, aber auch zunehmend in den Entwicklungsländern, wird das Handy zum Radar des täglichen Lebens – zusammen mit E-Mail, Instant Messaging und allen Techniken, die zum Ökosystem einer «Immer-online-Kommunikation» verschmelzen.
Das heisst natürlich nicht, dass wir unfähig würden, einfache Abmachungen zu treffen wie «Wir sehen uns im Café X am Bellevue um 15.00 Uhr» – und uns auch daran zu halten. Klar ist aber, dass die Organisation von Zeit und deren soziale Implikationen fliessender und volatiler geworden ist. Auch komplexer, weil die Technik uns mobiler macht und es jedem Element erlaubt, auf alle anderen einzuwirken. Das «Ganze» kann dadurch «unendlich» umorganisiert und umgeformt werden – und das praktisch in Echtzeit.





Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Mangel an Konzentration und Fokussierung, ist in Tat und Wahrheit eine radikale Veränderung des Konzepts der Erreichbarkeit. In der Ära der Festnetztelefonie war nicht eine Person erreichbar, sondern der Ort, an dem sich das Telefon befand. Wenn die Person nicht dort war, wurde es – gelinde gesagt – schwierig, ein Treffen zu verschieben. Heute, im Handy-Zeitalter, wissen wir, dass wir die Details für ein Meeting konkretisieren können, wann immer wir wollen. Wir wissen auch bei der ersten groben Abmachung, dass wir dann, wenn es konkret wird, über mehr Informationen (andere Verpflichtungen, Stau, Wetter, Notfall etc.) verfügen, die es uns erlauben werden, schnell einen definitiven Entscheid zu fällen.




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