Was die Linux-Alternative mit Windows verbindet

Auch Linux kann sich der Realität eines kommerziellen und fordernden Softwaremarktes nicht entziehen. Dieser zeigt allmählich seine Wirkung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2000/38

     

Die Aussichten für Linux scheinen überaus rosig zu sein. Wird der Marktforschung geglaubt, so werden Linux und Windows 2000 den Markt der Unternehmen unter sich aufteilen. Die Einnahmen aus dem Verkauf von Linux sollen dabei in den nächsten vier Jahren im Schnitt um über 180 Prozent zulegen.



Unter den Hardwareherstellern scheint die Freude an Linux am grössten zu sein. Sie setzen das alternative Betriebssystem vor allem dort ein, wo sie zwar eine Systemsoftware für ihr Produkt brauchen, dieses aber nicht ins Korsett von Windows stecken wollen. Linux bietet Flexibilität: Sie können sich ihre Variante davon so zusammenstellen, wie sie wollen. Und die Kosten sind vernachlässigbar. Gerade für integrierte Anwendungen, Internet-Apparate oder dedizierte Netzwerk- und Serversysteme erscheint Linux als ideale Basis. Für die Benutzer spielt es letztlich oft keine Rolle, welche Systemsoftware in ihren Geräten steckt - Hauptsache, sie funktionieren. Das ist just auch jener Bereich, in dem sich Windows bisher kaum hat etablieren können.




Doch auch das Gegenteil lässt sich beobachten: Wo Windows seine Hochburgen hat, kommt Linux kaum voran. So ist gegenwärtig wie schon vor einem Jahr nicht an einen Desktop-Einsatz an breiter Front zu denken. Trotz allem feiern die Linux-Anhänger ihren Erfolg. Zu Recht: Ihr System hat innert weniger Jahre im Markt eine zentrale Stellung erobern können. Doch auch Linux kann sich der Realität eines kommerziellen und fordernden Softwaremarktes nicht entziehen. Dieser zeigt allmählich seine Wirkung.


Wie einst bei Windows

So war Differenzierung in der Anfangsphase kaum ein Thema. Das Publikum setzte sich ohnehin aus Bastlern zusammen, die sich ihre Programmsammlungen selbst zusammenstellten, wie sie sie haben wollten. Die einzelnen Anbieter beschränkten sich auf das Produzieren von passenden CDs, das Schreiben von Installationsprogrammen, auf Handbücher und Zusatzservices. Soweit war die Linux-Welt noch in Ordnung.



Doch inzwischen genügt das nicht mehr. Marktführer Red Hat brach das Tabu mit Version 7.0 seiner Distribution: Red Hat legte "ihrem" Linux erstmals einen Compiler bei, dessen Erzeugnisse nur noch unter der Linux-Plattform von Red Hat laufen. Die Firma begründete diesen Alleingang mit der Notwendigkeit von "Innovation". Kompatibilität sei für Open-Source-Projekte zwar wichtig, doch müsse es auch erlaubt sein, andere Wege zu gehen, hiess es.




Diese Argumentation kann Red Hat nicht verübelt werden. Neu ist sie aber nicht: Bei Microsoft begründete man Alleingänge und proprietäre Erweiterungen von Programmen immer auf dieselbe Weise.



Zwar riefen Open-Source-Aktivisten inzwischen dazu auf, doch die nächste offizielle GCC-Version 3.0 abzuwarten. Doch die Entwicklung macht deutlich: Je stärker Linux in den Strudel des Kommerz gerät, desto weniger wird auf die einstigen Werte des Open-Source-Modells Rücksicht genommen.




Rückbesinnung

Es ist denkbar, dass die Linux-Gemeinde sich so sehr in den Griff bekommt, dass Extratouren einzelner Anbieter wie von Red Hat sich nicht durchsetzen werden und die gemeinsamen Interessen weiterhin an erster Stelle stehen.



Wahrscheinlich ist das aber nicht, denn dafür ist das Open-Source-Modell letztlich zuwenig effizient. Nicht, dass es an Programmierern fehlen würde, die rasch reagieren können, wenn ein Sicherheitsleck zu stopfen oder eine andere Funktion umzusetzen wäre. Was es wirklich braucht, wäre eine straffe Hand, die die wichtigen Projekte aus der Bastler-Ecke in eine geordnete Weiterentwicklung führt und auch die nötigen Prioritäten setzt.




Die leidige Entwicklung des Kernels 2.4 macht das Defizit deutlich: Die Software hätte schon letztes Jahr auf dem Markt sein können, wäre sie nicht ständig durch Beiträge von irgendwelchen Leute wieder erweitert worden. Nun wird die Fertigstellung bis nächstes Jahr brauchen. Linux-Erfinder Linus Torvalds räumt denn auch unumwunden ein, dass die technische Seite das einzige sei, was ihn interessiere. Soll Linux in einem kommerziellen Softwaremarkt Bestand haben, genügt das aber nicht mehr. Dann erstaunt es aber auch nicht mehr, wenn Firmen wie Red Hat, die mit Linux ihr Geld verdienen wollen, das Zepter noch stärker in die Hand nehmen und ihre eigenen, geschützten Lösungen schaffen - so wie Microsoft mit Windows.



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