Mammutprojekt Fahrplanwechsel

Das Jahrhundertprojekt Bahn 2000 startet in wenigen Tagen. Ausgeklügelte IT-Systeme unterstützten die Entwicklung des neuen Fahrplanes.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/22

     

Am 12. Dezember startet die Bahn 2000. Das Projekt, das vor genau 20 Jahren seinen Anfang nahm, ist zweifellos eine der grössten Planungs-Herausforderungen in der Geschichte der Eisenbahn, denn mit dem neuen Fahrplan wird die Schweiz das am dichtesten befahrene Eisenbahnnetz der Welt erhalten. Mann der ersten Stunde ist Werner Wildener, der kurz vor Weihnachten 1984 in ein kleines Team berufen wurde, dessen Auftrag lautete, ein neues Fahrplansystem unter dem Namen Bahn 2000 zu entwickeln. Was auf einem weissen Blatt Papier begann, hat sich zu einem immensen technischen Konstrukt entwickelt, das ohne entsprechend hochentwickelte Software nur schwer zu realisieren gewesen wäre. Die in Zusammenarbeit mit den ETHs Zürich und Lausanne entwickelten Tools ermöglichten es unter anderem, dass 15 Prozent mehr Fernverkehrszüge und 20 Prozent mehr Güter- und Regionalzüge eingeplant werden konnten, als ursprünglich vorgesehen. Heute müssen 3000 Netzkilometer, 700 Zielbahnhöfe und 9500 täglich verkehrende IC-, Schnell-, Regional- und Güterzüge koordiniert werden. Die Teams um Werner Wildener bestehen aus insgesamt 60 Personen, die aus ihren Standorten in Zürich, Lausanne und Luzern die Anschlüsse für die ihnen zugeteilten Gebiete konstruieren. Das System Opus fügt schliesslich die Teilplanungen zusammen. Dabei kann jeweils derselbe Zug in Echtzeit von verschiedenen Städten aus geplant werden.


Knotensystem als Basis

Natürlich hat die eigentliche Fahrplankonzeption keine 20 Jahre gedauert. Trotzdem wurde bereits 1984 mit den Vorbereitungen begonnen, weil in der Schweiz zuerst der Fahrplan entworfen wird. Aufgrund dessen wird dann die ganze Infrastruktur bestimmt, wie etwa die Länge der Neubaustrecken oder zusätzliche Gleise. «Das Geniale daran war, dass der Fahrplan völlig neu aufgebaut werden sollte», erinnert sich Wildener gerne.
Als Basis für die Planung diente das sogenannte Knotensystem. Das bedeutet, dass man sich auf die Anschlüsse in den Hauptknoten der Schweiz (Zürich, Bern, Basel) konzentriert. «Die Idee ist aus der Fahrplansymmetrie heraus entstanden», erklärt Wildener. Der Taktfahrplan ist symmetrisch aufgebaut. Das heisst, dass die Züge, die im Stundentakt verkehren, sich jede halbe Stunde mit dem Gegenzug kreuzen. Die Kreuzungspunkte verdoppeln sich, wenn die Züge viertelstündlich fahren. Die knifflige Aufgabe war es nun, die Kreuzungspunkte aller Zubringerstrecken so zu legen, dass die Hauptzüge zur vollen Stunde von den Hauptknoten losfahren können. Hinzu kommt, dass die finanziellen Mittel, die man für die nötigen Infrastrukturanpassungen zur Verfügung hatte (Budget: 7,4 Milliarden; effektive Kosten: 5,9 Milliarden Franken) gezielt darauf ausgerichtet werden mussten.


Ausgefeilte Detailplanung

Um mit der Detailplanung beginnen zu können, musste das ganze Konstrukt zunächst visualisiert werden. Diese an Schnittmuster erinnernden Pläne wurden mit Hilfe eines Konstruktionstools namens Syfa (Systemfahrplan) erstellt, das als eigentliche Basis der Datenstrukturen dient. Alle erforderlichen Daten sind darin enthalten. Das «Schnittmuster», das aus vielen dünnen und noch dünneren Strichen besteht, ist in der Realität ein Zeit-/Weg-Diagramm. Jeder Strich ist ein Zug. Dabei werden die Fahrzeiten an den Betriebspunkten auf die Zehntelminute definiert. Die so entstandenen Entwürfe sind die Basis respektive die Datenbank für alles, was mit den Fahrplänen zusammenhängt. Die Software hat keine automatische Konflikterkennung, wie sie beispielsweise in Deutschland eingesetzt wird. «Wenn man eine automatische Konflikterkennung mit einem EDV-System macht», so Wildener «müssen Pufferzeiten definiert werden. Und die Pufferzeiten sind meistens Standards. Standards wiederum bedeuten, dass man sehr breite Puffer definieren muss, die nachher überall ihre Gültigkeit haben.» In einem solchen Fahrplan gäbe es Tausende von Konfliktpunkten und man könne nicht jeden einzelnen bemessen. «Ich wollte das nicht, weil ich das Gefühl hatte, dass wir auch in den Standard-Pufferzeiten noch fahren könnten», erklärt Wildener. Stattdessen erhalten die Teamchefs Risk-Budgets für die Fahrplanstabilität. Der Teamchef entscheidet selbst, ob er einen Zug, der planmässig an der Grenze liegt, noch fahren lassen will oder nicht, wenn das Risiko anschliessend wieder abgefedert werden kann. Dabei hilft das Tool Open Time Table (OTT). Die Software bildet nicht nur die geplanten Züge ab, sondern dient als eigentliches Überwachungstool. Sie zeichnet, einem Radar ähnlich, jeden Zug auf, der real verkehrt. OTT hilft so, den Fahrplan zu kalibrieren. Das heisst, Abweichungen wieder auszugleichen. Ein weiteres Instrument ist Open Track. Damit kann der ganze Fahrplan sekundengenau simuliert werden. Ganz glücklich ist Wildener mit diesem Tool allerdings nicht: «Es hat den Nachteil, dass es immer nur den Soll-Fahrplan abbildet. Und wenn man so dicht fährt wie wir, ist es absolut wichtig, dass man sehr genau beurteilen kann, wie sich der Fahrplan verhält, wenn man neue Züge einsetzen würde.»


Erfolgreiche Simulation

Werner Wildener ist davon überzeugt, dass am 12.12. alles reibungslos anläuft. Der Fahrplan wurde eingehend mit dem Simulationstool Fasta (Fahrplanstabilität) getestet. Da es in der Praxis aber zusätzliche Verspätungen infolge von Wettereinflüssen und Passagierverhalten gibt, wurden die bekannten Verspätungen aus dem OTT-System in Fasta eingespeist. Das Ergebnis war, dass der Fahrplan mit den einkalkulierten drei Minuten Verspätung funktionierte.
Das OTT-System ermöglicht es auch, innert einem Tag nach dem Wechsel zu analysieren, wie die einzelnen Züge in der ganzen Schweiz verkehrt sind und wo die Ursachen für Verspätungen liegen. «Über die Weihnachtszeit, wo weniger Güterzüge verkehren, haben wir dann genügend Zeit, um nötige Optimierungen vorzunehmen», sagt ein optimistischer Wildener.




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