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"Wir sehen uns als Plattform-Company"

Mit dem Business Framework stösst Microsoft in Richtung Applikationen vor und verärgert einige ISVs. InfoWeek fühlt dem KMU-Verantwortlichen der Redmonder auf den Zahn.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/20

     

Microsoft plant den voll integrierten Business-Stack, der nicht nur Betriebssystemfunktionalitäten, sondern mit dem Microsoft Business Framework (MBF) neuerdings auch applikatorische Elemente enthalten wird. Diese Ausweitung des Angebots wirft Fragen auf, weil dadurch nicht nur unabhängige Softwareanbieter (ISV) quasi von unten bedrängt werden, sondern auch die Anwenderunternehmen sich auf noch mehr Microsoft einstellen müssen. Für Orlando Ayala, weltweit zuständig für das gewichtige KMU-Geschäft und die Microsoft Business Services (rund 10 Milliarden Dollar Umsatz), gibt es aber kein Zurück.



InfoWeek: Wenn Microsoft ihren sogenannten Stack weiter in Richtung Applikationen ausbaut, dann heisst das: Es wird Unternehmen geben, die nur noch einen Softwarelieferanten kennen - Microsoft. Wie erklären Sie den Kunden, dass diese, nennen wir es Monokultur, etwas Gutes ist?



Orlando Ayala: Die Kunden werden entscheiden, ob sie das gut oder schlecht finden. Wir werden daran gemessen, ob es uns gelingt, Produkte zu verkaufen, die einen Mehrwert schaffen. Wenn ich einen Small Business Server in 15 Minuten zum Laufen bringe, kann sich der Kunde fragen: Macht mir das ein anderer schneller? So läuft das Geschäft. Ich stelle immer wieder fest: Die Kunden interessiert Technologie kaum. Was sie wirklich interessiert, ist ihr Business. Dann kommt hinzu, dass wir stark auf XML setzen - und das bedeutet, dass es trotz hoch integriertem Stack möglich ist, Software von Dritten einzubinden. Von Monokultur kann also keine Rede sein. Wird sind offen und lassen die Integration Dritter zu. Wenn ich also von einem voll integrierten Stack rede, meine ich auch, dass Teile davon nicht das Microsoft-Label tragen müssen.



Aber es ist schon eine neue Dimension: KMU werden immer mehr Umsatz an Microsoft abgeben.

Es ist erstaunlich, aber KMU sind nicht sehr wählerisch, wem sie ihr Geld geben. Nehmen Sie die Telekommunikation als Beispiel. Ich könnte dort sämtliche Services von unterschiedlichen Anbietern beziehen. Aber die KMU wollen einen einzigen Ansprechpartner und eine einzige Rechnung, und zwar fürs Festnetz, das Handy und die Internet-Anbindung. Wenn der Anbieter seinen Job gut macht, hat ein KMU überhaupt kein Problem, nur mit ihm zusammenzuarbeiten.



Die Business-Applikationen sind ein sehr lokales Geschäft. Nicht nur muss die Software in viele Sprachen übersetzt werden, sie muss auch den örtlichen Geschäftsgepflogenheiten angepasst werden. Besteht nicht die Gefahr, dass Microsoft da den Überblick verliert?

Bei Microsoft haben wir eine Person, die alle Entwicklungen quer durch alle Geschäftseinheiten überwacht - vom Dateisystem bis zu den Applikationen, und diese Person heisst Bill Gates. Es ist sein Job, dafür zu schauen, dass die Plattformintegration stimmt.



Gates mag ein Genie sein, aber übernimmt er sich damit nicht? Immerhin gilt es Hunderte von verschiedenen Businessapplikations-Versionen.

Gates' Aufgabe ist es weniger, sich um die einzelne Applikation zu kümmern, als vielmehr um die Plattform als solche. Dort muss die Koordination stimmen. Die Integrität der Plattform, des Stacks, um das geht's.



Ist das jetzt Infrastruktur oder schon Applikation? Das ist bei Microsoft nie ganz klar. Als was definiert sich Microsoft im Businessumfeld eigentlich?

Wir sehen uns als Plattform-Company. Die Kernfrage aber lautet: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Anwendung und Plattform? Wenn man sie beim Betriebssystem zieht, okay, dann wären wir eine Applikationsfirma. Bei uns gehört aber das Microsoft Business Framework (MBF) ebenso dazu. Mit dem MBF bieten wir branchenneutrale Module an, die von unabhängigen Softwareanbietern genutzt werden können und auf Basis derer sie ihre vertikal ausgerichteten Applikationen schreiben können. Die Gelder, die ISVs in die Software stecken, werden dadurch in Richtung Branchenlösungen verschoben, wo sie für ihre Investitionen nach wie vor eine hohe Wertschöpfung erzielen können. In ihrem Vorgehen ist Microsoft übrigens nicht allein: Es gibt noch ganz andere Firmen, die ihre Plattformen mit Funktionalität "aufbohren".



Trotzdem, viele ISVs sind ab dieser Entwicklung beunruhigt. Geben Sie eine Garantie ab, dass Microsoft die Finger von Branchenlösungen lässt?

Microsoft wird lokale ISVs in ihrem Kerngeschäft, der Lokalisierung und dem Customizing von Software, nie und nimmer konkurrenzieren.



Aber es ist klar, dass Microsoft sich mit der Absicht, ins Business-Applikationsgeschäft einzusteigen, nicht nur Freunde geschaffen hat.

Wenn das passiert ist, haben wir unsere Botschaft nicht klar rübergebracht. Aber ich gebe zu: Vor drei Monaten noch herrschte Krieg. Dann sassen wir mit den ISVs zusammen, diskutierten intensiv über unsere Roadmap und machten deutlich, wo wir hinwollen. Aber es ist klar: Es gibt noch viel zu tun.



Aber Sie müssen auch damit leben, dass es ISVs gibt, die Microsoft lange die Treue gehalten haben und die sich nun SAP in die Arme werfen oder die Applikationen auf die J2EE-Plattform hieven.

Es wäre naiv zu glauben, dass ausnahmslos alle ISVs immer mit uns zusammen sein werden. Es wird IVSs geben, die nicht mit uns marschieren werden. Damit müssen wir leben. Wir verfolgen das relativ emotionslos. Aber leider verläuft die Diskussion häufig völlig emotionsgeladen. Ich bin der Meinung: Schauen wir doch einfach den Business-Case an und kümmern wir uns um den Kundennutzen, denn auf ihn kommt es an - und nichts anderes.



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