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David Rosenthal: Erfolgsgeheimins - Keine Perfektion bitte!

Oft sind es in der Technik die (auf den ersten Blick) hässlichen Entlein, die zu guter Letzt den Markt im Sturm erobern.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/44

     

Auch in der IT-Branche lassen sich Erfolge nicht erkaufen. Geht es um neue Standards, so haben viele Anbieter aber noch immer die Ansicht, dass genügend Stimmen der Unterstützung und viel Marketing ausreichen, damit sich eine neue technische Entwicklung im Markt durchsetzen kann. Das ist falsch: Oft sind es auch in der Technik die (auf den ersten Blick) hässlichen Entlein, die zu guter Letzt den Markt im Sturm erobern. Ein solches Beispiel ist 802.11b. Schon der Name dieses Standards für drahtlose Ethernet-Netzwerke ist ein Graus für jeden Marketingstrategen. UMTS klingt zwar nicht viel besser, doch hat dieses Akronym wenigstens einen Wiedererkennungswert, wenn es bloss oft genug wiederholt wird. Marketingmässig besser noch ist Bluetooth, die dritte Drahtlos-Technik, die uns die vereinte Branche derzeit beliebt zu machen versucht.


802.11b - Star am Wireless-Himmel

Doch am erfolgreichsten ist 802.11b. Diese Technik erlaubt zwar die Übertragung von nur maximal 11 Mbps, ein Zehntel dessen, was heutige Netzwerke in den Betrieben üblicherweise zu bieten haben. Das Verfahren konnte sich aber in den letzten Jahren still und leise zum heimlichen Star der Wireless-Szene durchsetzen. Und der Siegeszug wird anhalten, so ähnlich wie im Mobilfunkbereich jener von SMS - ein weiteres "hässliches Entlein" der Branche.



Das wirft die Frage auf, was 802.11b denn hat, was UMTS und Bluetooth nicht bieten können. Eine Antwort mag sein, dass der Technik der Erwartungsdruck fehlt. Das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor: Wird eine neue Technologie hochgejubelt, dann werden an sie höhere Anforderungen hinsichtlich ihrer Massentauglichkeit gestellt. Sie wird auch genauer und kritischer unter die Lupe genommen: Klappt es zum Beispiel mit der Kompatibilität nicht so recht, so ist die Enttäuschung (und Häme) entsprechend grösser. Auch wird typischerweise von Beginn weg eine Leistung erwartet, die die Technik erst in einer späteren Entwicklungsstufe wirklich bringen können wird. Alle Welt erwartet zum Beispiel bei UMTS die Möglichkeit, auf dem Handy richtige Filme schauen zu können. Das wird in den nächsten Jahren aber im praktischen Alltag nicht möglich sein, schon der Bandbreite wegen.




Nichts ist perfekt

Die zweite Antwort auf die Frage nach dem Rezept erfolgreicher Technologien ist deren Unvollkommenheit. Das mag paradox klingen, ergibt bei näherer Betrachtung aber durchaus Sinn. Viele der wirklich erfolgreichen Standards (und De-facto-Standards) waren in der IT-Branche bisher jene, die sich auf eine oder wenige "Innovationen" beschränkt haben.



Das war auch bei 802.11b so. Die Macher des Standards für drahtlose Netzwerke versuchten gar nicht erst, perfekt zu sein, sondern lieferten Neues in einer verdaubaren Menge. Er bietet keine überragende Geschwindigkeit, kein wirklich überzeugendes Sicherheitskonzept, kein betriebsübergreifendes Roaming, keine grosse Funkreichweite und kein Billing. Der Standard erlaubt es bloss, ganz normale Netzwerkverbindungen auf kurze Distanz auch per Funk herzustellen. Warum aber schaffte es 802.11b, sich zu einem De-facto-Standard durchzusetzen?




Ich glaube, es gelang gerade wegen diesen Nachteilen. Wäre der Standard in all diesen Punkten perfekt, wäre er nicht nur sehr viel teurer geworden, er wäre auch noch nicht verfügbar und er wäre viel zu kompliziert in der Anwendung. Die Erfahrung des Internets zeigt denn auch: Lücken in der Technik halten die Benutzer nicht ab. Werden diese Lücken zum Problem, wird sich eine Lösung dafür zu gegebener Zeit schon finden lassen, lautet die Devise. Dies mag zwar sehr viel mehr Geld kosten, als wenn all diese Probleme von Beginn weg berücksichtigt worden wären. Doch wäre das Internet anfangs so sicher gewesen, wie es heute alle haben wollen, hätte es sich innert dieser kurzen Zeit durchsetzen können? Wohl kaum. Einfach einwählen und lossurfen wäre dann nicht mehr möglich gewesen. Die Leute hätten sich mit ihrem Pass oder ihrer ID zuerst registrieren müssen, um sich beispielsweise ihre digitale Signatur beglaubigen zu lassen. Wären auch alle Inhalte schon kopiergeschützt gewesen, so wären viele Urheber zwar in ihren Rechten geschützt geblieben, doch wäre das Internet in einer wichtigen Anfangsphase wohl um manche Angebote ärmer geblieben.



Ich will damit Rechtsverletzungen und Sicherheitslücken nicht rechtfertigen. Doch sie hatten für die Sache auch positive Nebenwirkungen. So haben sie zum Erfolg der Sache beigetragen, genau so wie bei 802.11b.



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