Wege zur Spital-IT der Zukunft

Der Umgang mit Informationen ist im Spitalbetrieb eine Herausforderung. Für die Überwindung der noch immer weit verbreiteten Papierkultur lohnt es sich, neue Ansätze zum Informations- und Kommunikationsmanagement zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, wie sie zu Optimierungen in den jeweiligen Anwendungshorizonten beitragen können.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/16

     

Laut einer Berechnung des Deutschen Instituts für medizinische Dokumentation und Information (DMI) sind ein bis zwei Fünftel aller sogenannt medizinischen Leistungen gar keine solchen im engeren Sinne, sondern bloss Datenerfassungs- und Kommunikationsleistungen. Jedem, der ein Spital besucht, fällt auf, dass neben ausgeklügelten medizinaltechnischen Apparaturen und hocheffizienten Diagnoselabors die uralte Kulturtechnik der Handschrift ihren Platz zu behaupten weiss. Die notorische «typische Handbewegung» der Gesundheitsberufe ist mitnichten der präzise Schnitt mit dem Skalpell, sondern vielmehr das Zücken des Kugelschreibers für das Verfassen der Anamnese, eines Rezepts oder das Beschriften von Behältnissen.





Schon heute aber versprechen Innovationen in der Spital-IT die mehr oder weniger nahtlose Überführung der angestammten Kultur vom Papier in elektronische oder gar automatisierte Informationslösungen. Oft zeigt sich, dass ein pragmatischer Ansatz kombiniert mit dem Blick auf spätere Integration in ein Gesamtsystem der erfolgversprechendste Weg ist. Ein Beispiel dafür ist eine Warenwirtschaftslösung der Spital Thurgau AG. Sie sah sich mit einem der häufigsten Probleme in Operationsbetrieben von Kliniken konfrontiert: der korrekten und bestandesgeführten Bewirtschaftung des OP-Lagers während des laufenden OP-Betriebs. Die auf Papier geführte Warenkontrolle hielt dessen Dynamik nicht stand, was insbesondere bei der Lagerung von Implantaten mit Verfalldatum, die nach einer durchgängigen Chargenkontrolle verlangte, auch mit negativen Kostenfolgen verbunden war. Die Einführung einer Geschäftslösung nahmen die Verantwortlichen zum Anlass, eine auf Barcodeleser abgestützte Lösung für die Warenkontrolle zu realisieren. Diese erlauben, die Warenkontrolle vollelektronisch durchzuführen und die ein- oder ausgebuchten Artikel in regelmässigen Abständen –immer wenn das Gerät in die Dockingstation gesteckt wird – mit dem Warenwirtschaftssystem abzugleichen. Die Kontrolle über den Lagerumschlag ist seither total, die Materialverluste durch Ablauf des Verfalldatums sind gleich null. Gleichzeitig ist der Aufwand für die Lagerbewirtschaftung signifikant gesunken. Bemerkenswert ist auch, dass die Mitarbeitenden die Barcodeleser äusserst schnell akzeptiert haben und niemand mehr der Papierkultur nachtrauert.


Systematisch mehr Qualität

Ebenfalls auf einen hohen Informatisierungsgrad setzt das Kantonsspital St.Gallen für sein seit 2001 bestehendes Meldesystem für kritische Zwischenfälle (Critical Incident Reporting System, CIRS), dem eine zentrale Rolle im Qualitätsmanagement der Spitalorganisation zukommt. Technische Limitationen führten dazu, dass dieses mit den steigenden Ansprüchen nicht mehr Schritt hielt. Gleichzeitig drängte sich Handlungsbedarf bezüglich weiterer Meldesysteme auf, die ebenfalls das Qualitätsmanagement unterstützen oder Meldungen zuhanden der Swissmedic oder anderer Aufsichtsorgane generieren. Diese haben die St.Galler Verantwortlichen in ein umfassendes Meldeportal einbinden lassen, das alle Meldesysteme vereinheitlicht und über einen einzigen Zugangspunkt browsergestützt zugänglich macht. Zusätzlich stellt die Lösung eine effiziente Verwaltung der Meldesysteme sicher und optimiert durch leistungsfähige Analyse- und Statistikwerkzeuge wesentlich die Ermittlung und Umsetzung qualitätssichernder Massnahmen.


Integration ist schon heute möglich

Man kann dagegenhalten, dass solche Projekte auch nur immer Insellösungen darstellen und die Systembrüche auch nicht aufheben würden. Doch mit dem richtigen, pragmatischen Ansatz kann die Integration der Primärsysteme (und damit ihrer unterschiedlichen Datenformate) durchaus gelingen. So können die technische Homogenisierung über alle Einsatzbereiche hinweg umgangen und die Daten aus der Apotheke, Arzt-PC, Krankenversicherung, Spitalsystem und anderer Gesundheitsorganisationen und vom Patienten (dereinst: der Patientenkarte) integriert und auf einer XML- respektive Webservice-basierten Plattform zusammengeführt werden (siehe Grafik).


Barmbek hat alles im Blick

Um einiges weiter geht ein Projekt, das Microsoft und Intel zusammen mit der Klinikkette Asklepios in einem auf vier Jahre angelegten Versuch testen: dem Future Hospital im deutschen Barmbek. Asklepios, Intel und Microsoft wollen über den insgesamt 27 Teilprojekte umfassenden Versuch herausfinden, welcher Ansatz in der durchgängig computerisierten Klinik die gesetzten Ziele am besten erreichen kann: ein angenehmerer Aufenthalt, eine effizientere Organisation sowie optimale medizinische Versorgung.
Wem sein Arzt am PC schon einmal eine digitale Röntgenaufnahme eines einzelnen Rückenwirbels vorgeführt hat und sie mit einem konventionellen Röntgenbild verglich, weiss um die Möglichkeiten der Computerisierung in der Medizin. Mobile Computer – via WLAN klinikweit vernetzt – sind in Barmbek allgegenwärtig, aber auch stationäre Einrichtungen wie der riesige Flachbildschirm an der Wand in der Notaufnahme. Auf diesem so genannten Medical Dashboard werden alle Räume der Notaufnahme als Grundriss dargestellt und der grosse Teil der Abläufe in der Notaufnahme gesteuert. Grosses Potential sieht man für diesen Bereich auch in der RFID-Technologie, dank der sich dereinst der aktuelle Standort mobiler medizinischer Einrichtungen auf dem Dashboard anzeigen liesse. Ebenfalls auf RFID setzt man in der hauseigenen Blutbank. Sämtliche Blutkonserven werden dort mit einem Transponder ver­-sehen, so dass sie zu mehreren in Kartons verpackt berührungslos ins System eingelesen werden können.


Medikamente online

Die Abgabe von Medikamenten ordnen die Ärzte im Future Hospital ebenfalls via PC. Die Order gelangt automatisch in die zentrale Krankenhausapotheke, wo die Tablettenkollektion für den nächsten Tag zusammengestellt, verpackt und an die Pflegestationen geliefert werden. Auch die Führung des Pflegepersonals stützt sich auf digitale Helfer. So werden etwa Aufträge zur Verlegung eines Patienten in ein anderes Zimmer direkt auf den PDA der zuständigen Pflegefachperson übermittelt.
Die grössten Vorteile der Vernetzung zeigen sich aber in der Dia­-gnostik. Dank der verzögerungsfreien Übermittlungsfähigkeit der Daten gelangen etwa Röntgenbilder eben zum Spezialisten zur Beurteilung und nicht umgekehrt. Die Expertenmeinung kann also auch dann eingeholt werden, wenn die physische Präsenz des Experten gar nicht gegeben ist. Dass dies auch die Frist erheblich verkürzt, in der eine Diagnose vorliegt, versteht sich von selbst.


Höhere Wirtschaftlichkeit

Die Erwartungen in Barmbek sind hoch: Die Geschäftsleitung der Klinik­kette rechnet damit, dass sich die Projektkosten innerhalb der vier Jahre Laufzeit mehr als amortisieren werden. Allein der Einsatz mobiler Computer soll die Betriebs­kosten um mindestens 20 Prozent senken. Welche Vorteile für Patienten, Mitarbeitende sowie die medizinische Qualität die vernetzte Klinik erzielen kann, wird das Projekt noch weisen.




Die CMDB als Grundlage für das IT-Management


Der Autor

Philipp Negele ist Healthcare Industry Manager bei Microsoft


eHealthcare.ch 06

Am 28. und 29. September findet im GZI Forschungszentrum im luzernischen Nottwil der 6. Kongress eHealthcare.ch statt. In zahlreichen Referaten, Symposien, Workshops und Foren mit über 140 Referentinnen und Referenten treffen sich rund 1500 nationale und internationale Fachleute, um sich über die neuesten Entwicklungen der ICT in Medizin und Gesundheitswesen auszutauschen. Einen Schwerpunkt bildet dieses Jahr das Thema eHealth-Infrastruktur und Gesundheitskarte, in dem verschiedene europäische Projekte vorgestellt werden. Weitere Highlights sind Themen wie Gesundheitslogistik, Spitalinformatik, Archivierung, Monitoring und die Einsatzmöglichkeiten zukunftsorientierter Technologien wie VoIP oder RFID im Gesundheitswesen. Begleitend zum Kongress wird eine Fachausstellung mit den bedeutendsten Technologiepartnern auf dem eHealthcare-Gebiet durchgeführt.
Details zu Programm, Terminen und Ausstellern finden Interessierte unter www.ehealthcare.ch.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER