David Rosenthal: Hardware/Software-Karussell: Ende einer Symbiose

Die Softwarehersteller müssen bei der Entwicklung von neuen Versionen ihrer Produkte umdenken: Ein sparsamer Umgang mit den vorhandenen Rechnerressourcen, freilich bei gleichzeitiger Steigerung der Attraktivität.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/38

     

Es war ein Teufelskreis, dem Unternehmen und Privatbenutzer scheinbar machtlos ausgeliefert waren: Firmen wie Microsoft brachten ständig neue Versionen ihrer Programme auf den Markt, die noch mehr als zuvor zu bieten hatten, aber ebenso noch mehr Speicher und Prozessorleistung benötigten. Dann brachten die Chip-, Festplatten- und PC-Hersteller ihrerseits neue Hardware auf den Markt, die den nötigen Leistungsschub für die neue, anspruchsvollere Software lieferte. Das wiederum erlaubte es den Anbietern der Programme, für die nächsten Versionen ihrer Produkte noch mehr Ressourcen zu gebrauchen. Wir erinnern uns: Als Windows 95 auf den Markt kam, mussten die meisten, die das neue Windows nutzen wollten, faktisch einen neuen Computer kaufen - und haben das auch getan.


Für Investitionen gesorgt

Von dieser Symbiose lebte die Branche über lange Zeit gut. Sie sorgte für laufende Investitionen in allerlei Produkte: Neue Hardware führte zu neuer Software, die wiederum zu neuer Hardware führte. So erstaunt es nicht, dass etliche PC-Hersteller grosse Hoffnungen in Windows XP mitsamt dem dazugehörenden Kick zur Wiederbelebung ihrer Umsätze gesteckt hatten. Wäre XP erst einmal da, würden die Leute wieder neue PCs kaufen.



Inzwischen sind sich manche da nicht mehr so sicher. Ein Marktforschungsinstitut rechnet heute damit, dass das neue Betriebssystem in den Unternehmen frühestens 2003 eine dominierende Stellung einnehmen wird, in privaten Haushalten sogar erst 2004. Der Verkaufsstart verlief dementsprechend ruhig. Es gab keine Kunden, die wie bei Windows 95 die Händler schon um Mitternacht belagerten. Und auch in vielen Unternehmen ist ein Abwarten zu spüren.





Umdenken ist angesagt

Das hat nicht nur mit der umstrittenen Produktaktivierung oder Einführung von neuen Lizenzmodellen durch Microsoft zu tun. Die Investitionsbereitschaft vieler Kunden in die Informatik hat ganz grundsätzlich abgenommen, und zwar nicht erst seit dem 11. September. Viele Unternehmen wie Privatanwender sind nicht mehr bereit, das ständige Wechselspiel von Hard- und Softwarebeschaffungen mitzumachen. Und vorbei ist die Zeit, in denen der neueste und schnellste Prozessor gerade gut genug war. Technisch, da sind sich alle einig, liesse sich ein Grossteil der PCs ohne weiteres zehn Jahre nutzen. Ich selbst habe meinen allerersten Server, einen 486er mit 66 MHz Taktfrequenz heute noch rund um die Uhr im aktiven Betrieb (mit Windows NT 3.51), auch wenn er inzwischen einige sehr viel leistungsfähigere Geschwister erhalten hat.



Die Konsequenzen werden bereits deutlich. Microsoft betont inzwischen mit Nachdruck, dass es keinen neuen PC braucht, um Windows XP einsetzen zu können. Händler in den USA bieten die Windows XP Home Edition derweil mit einer 128-MB-Speichererweiterung als kostenlose Zugabe an, damit die Kundschaft nicht in zusätzliche Hardware investieren muss.




Microsoft behauptet zwar, für den XP-Einsatz genüge jeder PC, der seit Weihnachten 1999 gekauft wurde, was ich für recht optimistisch halte. Meines Erachtens braucht's für Windows XP einen Pentium III mit 600 bis 800 MHz, was immer noch weit unter dem ist, was Neugeräte heute anzubieten hätten.




Software-Produktion gefordert

Für die Softwarehersteller wird dies bedeuten, dass sie bei der Entwicklung von neuen Versionen ihrer Produkte wieder das praktizieren müssen, was vor fünf bis zehn Jahren noch Pflicht war: Ein sparsamer Umgang mit den vorhandenen Rechnerressourcen, freilich bei gleichzeitiger Steigerung der Attraktivität der Produkte. Es kann nicht mehr jeder beliebige Platz auf der Festplatte beansprucht werden, nicht mehr die schnellste Grafikkarte oder der allerneuste Prozessor vorausgesetzt werden. Befolgen die Programmierer das nicht, riskieren sie, dass sie ihre Software an einem grossen Teil des Marktes vorbeiproduzieren.




Microsoft hat auf diese Entwicklung reagiert: Technisch bietet das XP-Betriebssystem gegenüber Windows 2000 nicht viele Neuerungen; es wird auf Bewährtes aufgebaut. Es sind das neue Look-and-Feel und die weitreichende Integration von diversen Internet-basierenden Services, die das Produkt - insbesondere im Heimbereich - attraktiv machen sollen. Damit werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Die Verknüpfung von Betriebssystem und Services ermöglicht eine direkte Kundenbeziehung zwischen Softwarehersteller und Anwender, und sie bricht aus dem Korsett der beschränkten Infrastruktur des Benutzers aus. Geht es um die Nutzung des neuen "Passport"-Services, des Instant Messagings oder der MSN-Dienste von Microsoft, ist die verfügbare Menge an RAM, Prozessortakt oder Festplattenspeicher nebensächlich. Vielleicht kommt es freilich irgendwann auch nicht mehr darauf an, welches Betriebssystem der Benutzer einsetzt.



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