BPM befreit das Freizügigkeitskonto

Die Stiftung Auffangeinrichtung BVG verwaltet die Freizügigkeitskonten mit einer BPM-basierten Lösung, entwickelt in Rekordzeit und mit messbaren Erfolgen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/07

     

Die Stiftung Auffangeinrichtung BVG ist in vier Geschäftsfeldern rund um die berufliche Vorsorge tätig: Sie fungiert einerseits als Vorsorgeeinrichtung gemäss dem Gesetz für die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) und ist in der Arbeitslosenversicherung und der Wiederanschlusskontrolle aktiv. Auf der anderen Seite führt und verwaltet die Auffangeinrichtung rund 630’000 Freizügigkeitskonten – und ist damit in diesem Bereich mit Abstand die grösste Organisation der Schweiz, gefolgt von der UBS und der CS. Rechtlich gesehen arbeitet die Auffangeinrichtung als Stiftung, getragen vom Bund, den Arbeitgeberverbänden und den Arbeitnehmerorganisationen.



Insourcing stösst BPM-Projekt an

Bis 2008 wurden die Geschäfte der Auffangeinrichtung im Mandatsverhältnis durch Partner erledigt. Für die Vorsorge und die Freizügigkeitskonten war die Versicherungsgesellschaft Swiss Life zuständig. Aus verschiedenen Gründen entschloss sich die Stiftung nach einer Neuausschreibung im Jahr 2007, die Geschäfte künftig nicht mehr mit externen Partnern, sondern im eigenen Haus abzuwickeln. Vor allem für die Verwaltung der Freizügigkeitskonten war unter diesen Voraussetzungen ein neues IT-System unabdingbar.


Die Leitung des ambitiösen Projekts – der Zeitrahmen für die Umsetzung war auf neun Monate festgesetzt – übernahm Max Meili, der 2008 zur Geschäftsleitung der Auffangstiftung stiess. Mit dem Projekt verfolgte die Auffangeinrichtung zwei Ziele: Die Effizienz der Verwaltungsabläufe sollte gesteigert und gleichzeitig die Qualität der Dienstleistung verbessert werden.


«Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung stehen sich eigentlich diametral entgegen», stellt Meili fest. «Wir wollen das Geschäft mit möglichst geringen Verwaltungskosten betreiben – das Geld, mit dem wir arbeiten, gehört ja schliesslich den Versicherten.» Den Mitarbeiterstab kann die Auffangstiftung aus diesem Grund nicht beliebig ausdehnen, auch wenn dies die naheliegendste Massnahme zur Qualitätsverbesserung wäre.


Für Max Meili, der sich seit Jahren in verschiedenen Positionen mit den Themen Workflow- und Business-Prozess-Management auseinandersetzt, ist es klar: «Mit herkömmlichen Verwaltungsapplikationen lassen sich die beiden Ziele Effizienzsteigerung und Qualitätsverbesserung nicht unter einen Hut bringen.» Meili hatte bei der Schweizerischen Kreditanstalt bereits 1995 ein erstes Prozessmanagementsystem in Betrieb genommen. «Schon damals erkannte ich, dass BPM der richtige Weg ist.»


Für das neue System zur Verwaltung der Freizügigkeitskonti galt dementsprechend von Anfang an eine Maxime: Jede Tätigkeit in der Administration findet im Rahmen eines Geschäftsprozesses statt. Nur durch eine stringente Standardisierung aller Abläufe lassen sich Effizienz und Qualität gleichzeitig erhöhen.


Umsetzung in Rekordzeit

Den Entscheid für eine BPM-gestützte Lösung fällte die Auffangeinrichtung Ende Januar 2008. Nach einigen Vorbereitungsarbeiten begann die eigentliche Arbeit am Projekt «Apollo» dann im Mai. Eine Evaluation der Softwareplattform, die als Grundlage dienen sollte, fand nicht statt: «Es war klar, dass wir die Lösung mit den gleichen Produkten aufbauen, die ich schon aus meinen früheren BPM-Projekten kannte – alles andere wäre angesichts der gegebenen Projektdauer gar nicht möglich gewesen.» Zum Einsatz kam die Tibco-Plattform mit den Produkten Business Studio (Prozessmodellierung), iProcess (Prozess-Engine) und Business Works (SOA-Schicht mit Schnittstellen zu iProcess, Business-Services und zum Buchhaltungssystem).


Die Definition der Geschäftsprozesse fand nach den grundlegenden Entwicklungsarbeiten im Oktober statt. «Es ging alles sehr rasch über die Bühne, obwohl einige nahrhafte Prozesse darunter waren. Ein Todesfall zum Beispiel bringt recht komplexe Abläufe mit sich», weiss Meili zu berichten. Aus der Modellierungsarbeit resultierten 17 Prozesse, die alle Aktivitäten bei der Verwaltung der Freizügigkeitskonten abdecken.


Nach ausgiebigen Tests folgte im Januar 2009 die Migration von der bisherigen Lösung mit externen Partnern auf die hausinterne Plattform. «Es ging nicht nur um den Wechsel des IT-Systems, sondern auch um die Geschäftsübergabe von einer juristischen Person zu einer anderen. Dies bedingte sowohl bei der Auffangstiftung als auch beim bisherigen Partner Swiss Life einiges an Revisionstätigkeit.» Auch unter diesen erschwerten Bedingungen konnte der Termin für die Produktionsaufnahme eingehalten werden: Die neue Plattform nahm am 26. Januar 2009 den Betrieb auf.



Workflows und Oberfläche aus einem Guss

Für die Sachbearbeiter, die das System nutzen, präsentiert sich die Freizügigkeitslösung in Form eines dreigeteilten Rich Client: Eine Index-Ansicht zeigt den Posteingang des angemeldeten Mitarbeiters – die per Briefpost eintreffenden Dokumente werden eingescannt, via OCR in maschinenlesbare Form gebracht und nach festgelegten Verteilungsregeln in die elektronischen Eingangskörbe abgelegt.


Der Sachbearbeiter sichtet das Dokument und ruft den entsprechenden Prozess auf: Die zweite Ansicht zeigt die passende Maske zur Datenerfassung an. Als dritte Ebene steht zusätzlich eine Explorer-View zur Verfügung, mit der sich der gesamte Datenbestand absuchen und durchblättern lässt – nützlich zum Beispiel, wenn ein Kunde anruft und Auskunft über sein Konto wünscht. Der Sachbearbeiter kann dabei jederzeit zu einem andern Kunden wechseln, ohne den Fall zu verlassen, den er gerade bearbeitet.


Die Prozesse werden samt der Oberfläche für die Datenerfassung und den ausgehenden Dokumenten, die als Resultat allenfalls verschickt werden müssen, im Prozessmodellierungstool Business Studio definiert. Dies geschieht rein grafisch auf einer hohen Abstraktions-ebene, die auch von den Fachabteilungen verstanden wird.


«Wir haben die Prozesse in gemeinsamen Teams aus IT und Fachabteilungen modelliert. In Konzepten, die ausschliesslich von den Fachabteilungen erstellt werden, bedingen meist viele Schritte noch implizites Wissen. Mit unserer Methode war es dagegen möglich, die Prozesse so lange zu verfeinern, bis auf beiden Seiten – Technik und Fachabteilungen – keine Fragen mehr offen waren.»


Als wichtigen Vorteil der genutzten Plattform sieht Meili auch die Geschwindigkeit, mit der sich die Prozesse nach der Definition im Betrieb nutzen lassen: «Man kann extrem schnell arbeiten – auch Änderungen lassen sich in wenigen Minuten erfassen und per Hot-Deploy in die Produktion übernehmen, ohne das System herunterzufahren.»


Überzeugende Resultate

Mit dem Apollo-Projekt verfolgt die Auffangeinrichtung hochgesteckte Ziele. Bei Projektkosten von insgesamt drei Millionen Franken sollen die Kosten für die Verwaltung der Freizügigkeitskonten von früher 6,2 auf 3,8 Millionen pro Jahr sinken. Dies entspricht einer Reduktion um 40 Prozent, sieht man von den zusätzlichen Projektabschreibungskosten von 0,7 Millionen ab. «So weit sind wir knapp vier Monate nach dem Produktionsstart natürlich noch nicht – wir rechnen aber damit, dass wir den Break-Even schon 2010 erreichen», prognostiziert Meili. «Rechnet man die Projektkosten ein, die vor allem 2008 und zu einem geringeren Anteil auch im laufenden Jahr angefallen sind, sieht man, dass wir wirklich effizienter arbeiten.»


Auch Qualitätsverbesserungen sind bereits festzustellen. Bisher kam es bei der Neueröffnung eines Freizügigkeitskontos oft vor, dass die ehemalige Vorsorgeeinrichtung unvollständige Angaben lieferte. «Vielfach wurde ein Konto nur mit Name, Vorname und AHV-Nummer eröffnet. Das ist eine Zeitbombe – irgendwann muss man diese Person ja ausfindig machen, und das kostet umso mehr, je später man die zusätzlich benötigten Angaben einholt.» Mit dem neuen Kontoeröffnungsprozess fordert die Auffangeinrichtung die fehlenden Angaben jeweils sofort durch ein automatisch generiertes Schreiben ein – und falls innert 20 Tagen keine Antwort eintrifft, wird nochmals erinnert.


Bei jeder Kontoeröffnung wird neu eine Bestätigung an die ehemalige Pensionskasse und an den Kunden verschickt. «So weiss der Kunde wenigstens, dass er bei uns Geld hat. Wir betreiben also insgesamt einen grösseren Aufwand als früher, arbeiten aber gleichzeitig effizienter.» Das sei nur mit Business Process Management möglich, wiederholt Meili sein Credo.


Die Standardisierung der Abläufe ermöglicht überdies eine stets gleichbleibend hohe Dienstleistungsqualität. «Das ist ein weiterer Grund, wieso sich so ein Projekt rasch hundertfach bezahlt macht. Ein Beispiel ist die stark verbesserte Auskunftsbereitschaft: Jetzt kann jeder berechtigte Sachbearbeiter jederzeit Auskunft über jeden Fall geben. Auf lange Sicht lässt sich so auch das Vertrauen in die berufliche Vorsorge stärken.»


Die neue Plattform bietet zudem gute Instrumente zur Überwachung und Steuerung des Geschäfts. «Wir können jederzeit per Mausklick ermitteln, wie viele Kontoeröffnungen wir in einem bestimmten Zeitraum abgewickelt haben, wie lange die durchschnittliche, die kürzeste und die längste Bearbeitungszeit für einen Fall war und wissen damit, wo Engpässe vorliegen und wo es freie Kapazitäten gibt.»


Ausserdem, postuliert Meili abschliessend, könne die Auffangeinrichtung dank dem konsequenten Geschäftsprozessmanagement am Markt als Vorbild für ähnliche Dienstleistungsorganisationen auftreten, die ebenfalls von einer Geschäftsprozessmanagement-Lösung profitieren könnten.



Das Projekt In Kürze

Projekt: Verwaltungslösung für rund 630'000 Freizügigkeitskonten


Eingesetzte Produkte: Tibco iProcess Suite, Tibco Businessworks


Projektdauer: 9 Monate für Vorbereitung, Identifizierung und Modellierung von 17 Prozessen, Tests und Migration


Projektkosten: 3 Millionen Franken


Projektziele: Erhöhung von Effizienz und Qualität, Reduktion der Verwaltungskosten um 40 Prozent

(ubi)


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