Virtualisierung als Chance und Risiko

Sowohl Desktop- als auch Applikationsvirtualisierung befinden sich auf dem Vormarsch. Bei der Automatisierung und dem integrierten Management hapert es allerdings.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/06

     

Krise bedeutet nicht für alle etwas Negatives. Es gibt auch Produkte, die von den Turbulenzen profitieren oder gar solche, die vor der Krise gut liefen und jetzt noch etwas besser. Die Anbieter von Virtualisierungs-Software können sich jedenfalls nicht beklagen. Wie das Marktforschungsunternehmen Gartner zu wissen glaubt, soll das Marktvolumen im Jahr 2009 allein in der Region Euro-pa, Afrika und Naher Osten (Emea) auf 512 Millionen Euro ansteigen. Das entspräche einem satten Plus von 55 Prozent, verglichen mit den 330 Millionen Euro Umsatz im vergangenen Jahr. Dabei spielt der westeuropäische Raum klar die Rolle des Zugpferdes: Insgesamt entfallen 2009 451 Millionen Euro des Emea-Umsatzes auf das «alte» Europa. Osteuropa und Afrika tragen lediglich 33 respektive 28 Millionen Euro bei. In Anbetracht ihrer Grösse verwundert es nicht, dass die Märkte von England, Deutschland und Frankreich den Löwenanteil zum Gesamtumsatz beisteuern, interessant ist jedoch, dass die Schweiz gemessen an der Bevölkerungszahl mit einem Anteil von vier Prozent weit vorne mitmischt.



Krise bringt den Markt voran

Der Virtualisierungsmarkt profitiert nicht zuletzt auch davon, dass sich die Vorteile der Technologie je nach Wetterlage mit unterschiedlichen Argumenten vermarkten lassen. Vor der Wirtschaftskrise wirkten zwar die rasant steigenden Energiepreise als Treiber für den Markt, doch beworben wurde die Effizienzsteigerung durch Virtualisierung aufgrund des Aufkommens des Modewortes «Green IT» oft hauptsächlich mit Umweltschutz-Argumenten. Die Krise hat jetzt dazu geführt, dass die finanziellen Aspekte in den Vordergrund gerückt sind. Heinz Waller, Specialist Sales für Virtualisierung beim Dienstleister PC-Ware Systems drückt es folgendermassen aus: «Mehr Leistung für weniger Aufwand und weniger Kos-ten ist eine Rechnung, die sich immer fantastisch anhört. Vor allem in schwierigen Zeiten ist dies ein unschlagbares Argument.» Auch bei T-Systems Schweiz erwartet man von der gegenwärtigen Wirtschaftslage positive Auswirkungen auf den Virtualisierungsmarkt. Nicht nur deshalb, weil die Technologie an sich beim Kostensenken hilft, sondern auch, weil sie Dienstleistern ermöglicht, den Kunden dynamische Services anzubieten und auf einfache Art und Weise Ressourcen je nach aktuellem Bedarf bereitzustellen. Damit bezahle der Kunde nur die Ressourcen, die er auch tatsächlich braucht, so Barbara Melzl, PR-Managerin bei T-Systems Schweiz.


Wichtig für das Fortschreiten des Marktes ist aber auch die mittlerweile weite Verbreitung der Virtualisierungstechnologie, zumindest in Teilbereichen. «Momentan sind die Begriffe ‹Cloud Computing›, ‹Software-Virtualisierung› und ‹Desktop-Virtualiserung› noch weitest-gehend unbekannt. Die Server-Virtualisierung ist bekannter, da es diese Technologie schon länger gibt und sie grossflächiger im Einsatz ist», sagt Rico Rogantini von Rotronic. Dass das Wissen vieler Kunden vor allem auf dem Inhalt von Marketing-Unterlagen basiert, bestätigt auch Rolf Weber, Geschäftsleitungsmitglied des Dienstleisters Up-Great. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass der Kenntnisstand und der Grad der Umsetzung oft auch mit der Grösse des Unternehmens zusammenhängt. So kommt beispielsweise eine Studie des Beratungs- und Marktforschungsunternehmens Sieber & Partners zum Schluss, dass die Servervirtualisierung bei rund 70 Prozent der Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden bereits eingesetzt werde. An zweiter Stelle folgt die Speichervirtualisierung mit einem Anteil von etwa 45 Prozent und die Netzwerkvirtualisierung mit gut 35 Prozent.


Kein Wunder, dass gerade die Desktop-Virtualisierung als eines der grossen Trend-Themen im laufenden Jahr gehandelt wird. Gartner rechnet in diesem Bereich in der Emea-Region mit einer Umsatzsteigerung von 336 Prozent, wobei dieser Markt 2008 auch erst ein Volumen von 12 Millionen Euro erreichte und in diesem Jahr auf etwas mehr als 56 Millionen Euro zu liegen kommen soll. In ähnlichem Masse erst am Anfang steht auch die Applikationsvirtualisierung. Hier bestehen oft noch Kompatibilitätsprobleme mit der bestehenden Softwarelandschaft. «In heterogenen Umgebungen können meist nur rund 70 Prozent aller Applikationen virtualisiert werden», weiss Rolf Weber. Wer auf die «Leading Partner» VMware und Citrix setze, müsse bedenken, dass die heutzutage gelieferte Technologie erst rund 80 Prozent der Bedürfnisse abdecke. «Für viele spezielle Applikationen sind noch immer Nischenanbieter oder Eigenentwicklungen notwendig.»


Markt für Management-Software überfüllt

Dass sich die Virtualisierung schliesslich in allen Bereichen durchsetzen wird, glauben im Grossen und Ganzen alle der von Infoweek befragten Dienstleister. Bis es so weit ist, kommen aber die Vorteile der Technologie noch nicht in allen Bereichen voll zum Tragen. «Insbesondere im Bereich der Automatisierung und des integrierten Managements weist die Virtualisierung heute noch Lücken auf», sagt Barbara Melzl. Diese Tatsache, in Kombination mit dem rasanten Wachstum, könnte laut dem Marktforscher IDC auch den gepriesenen Spareffekt gefährden. Das Unternehmen hat die Anwendung der Virtualisierungstechnologien in der Praxis untersucht und kommt zum Schluss, dass in einigen Bereichen zwar tatsächlich viel Geld gespart werden könne, im Gegenzug aber den Administratoren auch Mehrarbeit bescheren. «Heute werden je physischem Server rund fünf virtuelle Maschinen aufgesetzt», so IDC-Analystin Michelle Bailey. «Diese Zahl könnte bis 2012 auf acht Maschinen je Server steigen.» Die Administrationstools könnten mit diesem Wachstum derzeit aber nicht Schritt halten. Virtualisierung biete Unternehmen die Chance, ihre IT-Infrastruktur zu optimieren, Effizienz und Verfügbarkeit zu steigern sowie das Disaster Recovery zu verbessern, so Christian Zamecnik, Senior Managing Consultant bei IBM Schweiz. «Um das zu ermöglichen, gilt es aber, die virtualisierte Umgebung gut zu verwalten und definierte Betriebsprozesse zu leben.»


Die aktuellen Defizite beim Management von virtualisierten Infrastrukturen dürften durch die Marktsituation nicht eben abgeschwächt werden. Wie Gartner sagt, tummeln sich auf dem Markt mit entsprechender Software heute mehr als 100 Anbieter mit unterschiedlichen Lösungen. Hier sei eine deutliche Konsolidierung zu erwarten, wobei grosse Infrastrukturanbieter wie BMC, CA, HP und IBM dabei eine zentrale Rolle spielen dürften. Auch der Marktführer VMware hat das Problem erkannt und hat beim kürzlich lancierten Nachfolger seiner Virtual Infrastructure auch Wert auf Management-Aspekte gelegt. So müssen virtuelle Maschinen beispielsweise nicht mehr einzeln konfiguriert werden. Der Anwender muss lediglich die für eine Applikation erforderlichen Service Level Agreements (SLA) einstellen, worauf die Software für deren Einhaltung sorgen soll. Demnach kann sich die Maschine bei Bedarf zusätzliche Rechen- oder Speicherkapazitäten holen.



Mobilität bringt Client-Markt voran

Am stärksten wachsen wird laut Gartner in den kommenden vier Jahren der HVD-Markt (Hosted Virtual Desktop). Hier rechnet Gartner bis 2013 mit einem jährlichen Wachstum von gut 90 Prozent, wobei dann 1,9 Milliarden Dollar damit umgesetzt würden. Bei gehosteten virtuellen Desktops handelt es sich um Nutzerumgebungen mit Betriebssys-tem und Anwendungen, die nicht auf dem jeweiligen Client, sondern als virtueller Desktop auf einem Server betrieben werden. Die Anwender können beispielsweise über einen Webbrowser darauf zugreifen, wobei der Client lediglich als Ausgabegerät dient. Somit bleiben die Daten auf den Unternehmensservern und die Desktops können zentral verwaltet und betrieben werden. Allerdings stellte sich bislang das Problem, dass solche Desktops einen Client mit Internetzugang benötigten. «Die Virtualisierung der Clients wird jedoch in Zukunft dank der Möglichkeit des ‹Auscheckens› noch attraktiver», ist Heinz Waller von PC-Ware Systems überzeugt. Damit werde die Nutzung der Clients auch offline möglich und unterstütze damit das Bedürfnis der Unternehmen nach mehr Mobilität. Allerdings, so Gartner, sei dieser Markt noch überfüllt mit kleineren Anbietern und daher unübersichtlich. Auch hier sei eine Bereinigung notwendig. Der Marktforscher rechnet damit, dass nach VMware und Citrix bald Microsoft mit einem eigenen Produkt in den Markt einsteigen dürfte.


Die Aussagen der Dienstleister und die Analysen der Marktforscher zeigen, dass die Virtualisierung zwar viele Vorteile hat, die Einführung aber durchaus wohlüberlegt sein muss. Grundsätzlich bringe die Technologie viele Vorteile und nütze allen, die ihre Hardware und ihr Personal effizienter einsetzen und gleichzeitig die Betriebsabläufe optimieren möchten, sagt Christian Zamecnik von IBM. Allerdings ist vorab eine genaue Analyse der bestehenden Infrastruktur notwendig. Danach gelte es zu überlegen, was und wieviel virtualisiert werden soll, wie es um die Kompatibilität mit der bestehenden Infrastruktur und der eingesetzten Software steht und welche Bedürfnisse das Unternehmen an seine IT-Infrastruktur stellt, mahnt Rico Rogantini von Rotronic. Werden diese Fragen seriös geklärt, gefährde die Virtualisierung in erster Linie die Hardware-Branche und das interne Personal. «Am Ende besteht das grösste Risiko darin, den Anschluss an die Zukunft zu verpassen, wenn man sich gegen die Virtualisierungstechnologie sperrt», fügt Heinz Waller von PC-Ware Systems hinzu.



In Kürze

· Die finanziellen Vorteile der Virtualisierung rücken angesichts der Krise in den Vordergrund.


· Die Dienstleister sind sich einig: Desktop- und Applikationsvirtualisierung sind die grossen Trends.


· Im Bereich Automatisierung und beim integrierten Management gibt es noch Schwachstellen, die behoben werden müssen.




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