CIO-Interview: «Software-Entwicklung ist ein Handwerk»
Quelle: Crealogix

CIO-Interview: «Software-Entwicklung ist ein Handwerk»

Martin Bordt ist schon seit vielen Jahren am Puls der IT. Bei Crealogix ist er unter anderem für die Organi­sation der Entwicklung und des Betriebs zuständig.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2021/06

     

Swiss IT Magazine»: Crealogix entwickelt seit 1996 Fintech-Lösungen für die Finanzbranche. Wo steht das Unternehmen heute?
Martin Bordt:
Crealogix wird heuer 25 Jahre alt. Für Fintech-Verhältnisse ist es also eine relativ alte Firma, die ihre Grundlage im Internet-Boom der Jahrtausendwende hat. Die Crealogix Gruppe, wie man sie heute kennt, ist ein Verbund von mehreren Firmen. Nebst dem Hauptsitz in der Schweiz haben wir auch Firmensitze in Deutschland, Österreich, Grossbritannien, Spanien, Saudi-Arabien und Singapur. Am Anfang stand die Vision, Software für den Finanzmarkt zu entwickeln. Zunächst waren dies Individuallösungen für die Kunden, aus denen dann verschiedene Produkte entstanden sind. Heute ist Crealogix ein Unternehmen, das mit einem fokussierten Produktportfolio am Markt ist, mit der Zielsetzung, die Bankenwelt zu digitalisieren. Das Thema Digitalisierung ist nicht zuletzt auch wegen der Coronapandemie bei vielen Finanzinstituten zu einer Priorität geworden. Die Banken möchten End-to-End-Prozesse haben, die man digital durchlaufen lassen kann. Das ist ein hochkomplexes Thema, auch aufgrund der vielen Regularien, die beachtet werden müssen.


Wie digital ist Crealogix als Unternehmen selbst?
Software-Entwicklung ist ein Handwerk. Dafür braucht man kluge Leute, welche die Anforderungen der Kunden verstehen und diese umsetzen können. Von Digitalisierung zu sprechen ist in diesem Kontext schwierig, denn letzten Endes entstehen die Ideen in den Köpfen von Menschen. Sie können diese strukturieren und umsetzen. Natürlich haben wir hierfür Werkzeuge, die sich auch weiterentwickeln. Heute sind diese viel komplexer und haben viel mehr Funktionen als noch vor dreissig Jahren, als ich noch in der Software-Entwicklung tätig war, aber im Grundsatz ist das Handwerk noch immer dasselbe. Ohne den Menschen, der vor einem Rechner sitzt, entsteht also noch keine Zeile Code – selbst wenn es heute bereits die Möglichkeit gibt, Code automatisiert zu generieren. In der internen Abwicklung, so zum Beispiel in der Finanzbuchhaltung, sind wir hingegen nach wie vor dabei, die Prozesse zu digitalisieren und zu automatisieren.
Wenn Sie von Handwerk sprechen: Wie funktioniert die Entwicklung in einem auf der ganzen Welt verteilten Fintech-Unternehmen?
Ich bin seit fast genau einem Jahr bei Crealogix, und in dieser Zeit haben wir einiges neu ausgerichtet. Lange Zeit waren wir über die Standorte verteilte Teams, die für regionale Kunden individuelle Lösungen entwickelt haben. So waren wir organisiert und so haben wir gearbeitet. Dies hat uns vielleicht auch ausgezeichnet. Aber mit solchen Einzelanfertigungen konnten wir nicht den globalen Markt bedienen. Deshalb haben wir unsere Strategie geändert und wollen fortan das Know-how, das verteilt an den einzelnen Standorten vorhanden ist, sozusagen auf eine gemeinsame – in Analogie zur Automobil-Industrie – Fertigungsstrasse bringen. Diese Expertise ist teils sehr funktional. So sind beispielsweise die Engländer sehr stark im Wealth Management, in Deutschland hingegen liegt das Know-how eher in den Bereichen Portal und Retail und in Spanien auf der Front-End-Seite sowie bei den Apps. Indem wir dieses auf der Welt verteilte Know-how kanalisieren, sind wie in der Lage, unsere Lösungen viel schneller und sehr agil zu entwickeln.

Hat diese neue Arbeitsweise auch einen Einfluss auf die Organisation der IT?
Ja, gewiss. Früher war an allen Standorten eine lokale IT vorhanden, welche die Entwicklerteams unterstützt hat. Heute arbeiten wir alle in einer Entwicklungsumgebung, weshalb lokal auch nicht mehr viel IT benötigt wird. Auch hier haben wir die Kompetenzen, die lokal vorhanden waren, in mehrere Teams gebündelt, die aus internationalen Spezialisten bestehen. Es gibt ein kleines Team, das sich mit dem Business Alignment beschäftigt und mit der Frage, was das Business benötigt oder wo man was optimieren kann. Es geht hier also um den Dialog zwischen dem Business und der Entwicklung. Dann haben wir ein Engineering Team, mit Kollegen aus Deutschland und der Schweiz, das IT-Lösungen entwickelt. Und schliesslich gibt es noch eine Betriebseinheit, deren Leiter in England sitzt. Sie ist für den eigentlichen Betrieb unserer IT zuständig. Die Verantwortlichkeiten in der IT sind in der Organisation verteilt, aber wir haben eine Organisation, die zusammenhält und dasselbe Ziel verfolgt. Erstaunt hat mich dabei, wie schnell sich die Mitarbeitenden an diese neue Form der Zusammenarbeit gewöhnt haben.



Wie Sie vorhin sagten, braucht es für die Entwicklung von FinTech-Lösungen kluge Leute mit Spezialwissen. Wo finden Sie diese?
Es ist nicht einfach, die richtigen Leute zu finden, und in der aktuellen Situation ist es doppelt so schwer. Ich hatte schon Fälle, in denen ich Spezialisten persönlich kannte, die für eine bestimmte Stelle geeignet gewesen wären, doch sie scheuten sich aufgrund der Pandemie vor einem Wechsel. Die Leute werden risikoaverser. Die Pandemie macht auch den Einstieg in eine neue Stelle nicht einfach. Ich weiss das aus eigener Erfahrung. Die eigene Organisation aus dem Home Office heraus kennenzulernen ist schwierig. Die ganze Situation ist also für die Rekrutierung von Talenten nicht gerade förderlich. Wir versuchen zwar, die Arbeitskräfte wenn möglich lokal zu bekommen, doch derzeit ist es schwierig, so dass wir versuchen, gezielt über Direktansprache geeignete Kandidaten zu finden.


Hatte die Coronapandemie bisher auch weitere Auswirkungen auf Ihre Arbeit als Leiter der IT?
Wir sind bis jetzt als Firma generell gut durch die Pandemie gekommen. Wir hatten aber auch den Vorteil, dass bei uns bereits vor dem Ausbruch des Coronavirus fast alle ein Notebook hatten. Die Zahl der Mitarbeitenden, die angesichts des Lockdowns und der Home-Office-Pflicht noch mit einem solchen Gerät ausgestattet werden mussten, hielt sich deshalb in Grenzen und wir konnten das sehr schnell regeln. Einige Hürden gab es aber schon, so zum Beispiel an einem Standort in Deutschland, wo noch eine klassische Telefonanlage in Betrieb war, sodass die Anrufe dort ins Leere liefen, weil die Mitarbeitenden zuhause waren. Aber auch dieses Problem konnten wir relativ schnell lösen. Gleichzeitig haben wir im Zuge der Veränderungen im letzten Jahr aber auch Dinge wie die digitale Unterschrift eingeführt, zum Beispiel für die interne Freigabe der Überstunden. Das würde jetzt, da alle Mitarbeitenden im Home Office sind, mit der Post viel zu lange dauern. Im Grossen und Ganzen sind die Leute also ins Home Office gegangen und konnten dort eins zu eins wie bisher weiterarbeiten.

Wie sieht denn die IT-Infrastruktur aus, die bei Crealogix eingesetzt wird?
Unser Ziel ist es, eine einheitliche, virtuelle Entwicklungswelt zu haben. Wenn ich das durchdekliniere, dann ist an einem physischen Standort nicht mehr viel IT-Infrastruktur vorhanden. Es gibt da ein Netzwerk, physische Arbeitsplätze und Drucker. Das war’s dann auch schon. Heute ist es allerdings so, dass lokal noch sehr viel verbaut ist. Da stehen Server rum und eine eigene Infrastruktur. Das ist historisch bedingt, weil viele Standorte eigenständige Unternehmen waren, die Crealogix über die Zeit aufgekauft hat. Seit einem Jahr arbeiten wir nun daran, diese Umgebungen sukzessive aufzulösen und entsprechend in die Cloud zu transformieren. Auf der anderen Seite haben wir aber auch viele Kunden und Produkte, die noch aus der Zeit vor der Transformationsphase stammen. Und diese pflegen und betreuen wir auch weiterhin.


Wenn Sie von Cloud sprechen, wie nutzt Crealogix diese Technologie? Wir sprechen ja von einer stark regulierten Branche.
Zu dieser Frage gibt es zwei Aspekte: Zum einen betreiben wir IT für unsere Kunden, und wir betreiben IT für uns als Unternehmen. In beiden Fällen sind wir reguliert, aber auf unterschiedliche Weise. Klassisches Beispiel: die Datenhaltung. Wir können die Cloud zwar auch für unsere Kunden nutzen, aber wir müssen einige Aspekte beachten. Wir müssen letztlich im Einzelfall abwägen, was möglich ist. Für einen Schweizer Kunden muss unter Umständen eine Cloud-In­stanz in der Schweiz gewählt werden. Wir müssen also immer wissen, wo die Daten liegen und wo sie verarbeitet werden, und wir müssen sicherstellen, dass keine Unbefugten auf die Daten zugreifen können. Heute geschieht dies noch viel on Premises, aber der Trend geht klar dahin, dass in Zukunft auch die Banken ihre Daten in der Cloud haben werden, auch weil die Cloud-Anbieter viel daransetzen, mit den Regularien, denen die Finanzbranche unterworfen ist, konform zu gehen. Unsere eigene IT wiederum läuft in der Cloud eines Hyperscalers.

Das Unternehmen zieht demnächst in Zürichs neues Quartier Greencity. Was bedeutet der Umzug für die IT?
Greencity ist, ich erlaube es mir zu sagen, eine sehr schöne Bürofläche. Sie ist mit modernen Arbeitsstrukturen ausgestattet, beispielsweise mit Shared Desks und Lounge- und Meeting-Flächen, in denen man hervorragend kollaborieren kann. Aber auf der Seite IT ist auch dort nicht viel, um ganz ehrlich zu sein. Es ist eine Wohlfühl-Arbeitsfläche, und letztlich kommt dort jeder Mitarbeitende mit einem Laptop rein und sucht sich einen Arbeitsplatz oder geht in einen Besprechungsraum. Ansonsten ist aber technisch nicht viel verbaut. Neu haben wir in Greencity ein Media Team. Das ist sehr spannend, weil es eine andere Art der Kommunikation und der Zusammenarbeit ist, sprich weniger Powerpoint, dafür mehr audiovisuelle Inhalte. Dementsprechend gibt es auch an jedem Standort einen Media-Raum mit Green Screen, Kameras und Mikrofonen. Ziel ist, sowohl die Mitarbeitenden intern näher zusammenzubringen als auch die Interaktion mit den Kunden zu verbessern.

Arbeitet Crealogix auch mit externen IT-Dienstleistern zusammen?
Ja, und zwar auf verschiedenen Ebenen. In der Software-Entwicklung arbeiten wir mit Partnerunternehmen beispielsweise in Serbien oder Polen zusammen, mit denen wir Kooperationsverträge geschlossen haben. Dort sitzen dedizierte Leute, die helfen, unsere Lösungen zu entwickeln, und die für uns fast wie Mitarbeitende sind. Und auch bei Projekten nutzen wir Partner, zum Beispiel, um unsere Lösungen bei Kunden zu implementieren. Diese Partnerschaften sind dynamischer Natur. Manchmal benötigen wir Prozess-Know-how, ein andermal Inte­grations-Know-how. Schliesslich arbeiten wir auch mit Partnern zusammen, wenn es darum geht, unsere interne IT zu betreiben. Vor rund einem Jahr haben wir damit begonnen, gewisse Tätigkeiten auszulagern, so zum Beispiel das Monitoring oder das Patch Management. Wir fokussieren uns auf das Mehrwertgeschäft, also auf das Software Engineering, während wir für den Betrieb der IT auf externe Dienstleister setzen.


Und wie gestaltet sich die Interaktion zwischen der IT und der Geschäfts­führung?
Meine Stelle wurde vor einem Jahr geschaffen, weil das Management die Bedeutung der IT sowie die Herausforderungen in der IT im Kontext der Transformation des Unternehmens erkannt hat. Ich bin also in regem Kontakt mit unserem CEO und dem CFO. Dennoch ist bei Crealogix – wie in fast jedem Unternehmen – der CIO nicht Teil der Geschäftsführung. Die IT hat in unserer Firma aber zweifellos eine zentrale Rolle inne.

Könnten Sie kurz skizzieren, welche die grössten Herausforderungen sind, vor denen Sie als Leiter der Gruppen-­­IT derzeit stehen?
Einerseits ist dies die Harmonisierung der einzelnen Standorte. Das ist aktuell das grösste Projekt, das ansteht. Dabei geht es um die Ablösung unserer Server-Infrastruktur und die Migration der Back-End-Systeme in die Azure-Cloud. Das zweite Thema ist die Virtualisierung der Arbeitsplätze, damit alle Entwickler auf einer virtuellen Pipeline arbeiten können. Hier kommen Virtual Desktops zum Einsatz. Und schliesslich ist ein drittes, grosses Thema die Sicherheit. Darunter fällt etwa die Cloud-Migration, die wir unter anderem auch deshalb in Angriff nehmen, um unsere IT, Daten und Assets aus der Software-Entwicklung vor unkontrolliertem Zugriff zu schützen Durch die Virtual Desktop Infrastructure wird der Browser zum Filter zwischen den Nutzern und unseren Daten, sodass wir viel genauer steuern können, wer welche Daten einsehen kann. Letztlich geht es also um den Schutz unseres geistigen Eigentums.

Sie haben schon viele berufliche Erfahrungen in verschiedenen Branchen sammeln können. Was reizt Sie an Ihrem derzeitigen Job besonders?
Ich kenne die Finanzwelt schon von früher, genauso wie die Compliance-Thematik. Spannend ist meine jetzige Rolle vor allem auch deshalb, weil ich in der Zwischenzeit die Möglichkeit hatte, in anderen Branchen zu arbeiten. Meiner Erfahrung nach wird man schnell branchenblind und denkt, was man gerade tut sei toll und innovativ, bis man in eine andere Branche hineinschaut und sieht, dass die das schon seit Jahren so machen. Es gibt oft interessante Prozesse und Punkte, die sich von einer Branche in die andere übertragen lassen. Solche Querverbindungen zu ziehen, finde ich sehr spannend. Es ist ähnlich wie mit den Lego-Steinen. Man sammelt über die Zeit viele unterschiedliche Steine beziehungsweise Erfahrungen und lernt dann, diese auf neue Weise wieder zusammenzufügen, um etwas komplett Neues zu kreieren.


Könnten Sie uns zum Schluss verraten, welche Pläne Sie mit der IT von Crealogix für die nächsten Jahre haben?
Zuerst müssen wir die IT-Konsolidierung abschliessen, in der wir gerade drin sind. Das wird noch ein gutes Jahr dauern. Gleichzeitig gibt es einige Technologie-Aspekte, die wir im Auge behalten. Wir möchten beispielsweise die Automation weiterentwickeln, um die Entwicklungszyklen zu verkürzen.

Martin Bordt

Martin Bordt ist in Stuttgart geboren und aufgewachsen. Nach dem Abschluss seines Studiums war er während 23 Jahren für IBM tätig, ist dann über das Projektmanagement mit dem Bankenumfeld in Berührung gekommen und hat lange Zeit Banken in Deutschland beraten. 2007 wechselte er zu CSC und nach vier Jahren zu Dekra, wo er für die internationalen Gesellschaften verantwortlich war. Nach weiteren vier Jahren ging er als Selbständiger zu einer Frank­furter Privatbank, wo er zum ersten Mal mit Crealogix in Kontakt kam. Nach einem weiteren Abstecher zu einer Halbleiterfirma in den Niederlanden wurde er zum CIO der Airline Cargolux ernannt. Schliesslich wechselte er im Mai 2020 zu Crealogix, wo er als Vice President Group IT amtet.

Zum Unternehmen

Crealogix ist ein international tätiges Schweizer Software-Unternehmen mit Sitz in Zürich, das 1996 gegründet wurde und Fintech-Lösungen für Banken entwickelt und implementiert. Heute unterhält die Crealogix Gruppe weitere Standorte in Deutschland, Österreich, Grossbritannien, Spanien, Saudi-Arabien und Singapur. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 660 Mitarbeitende, davon sind 15 für die interne IT zuständig. (luc)


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