Agile Coaches auswählen und ausbilden

Von Katja von Bergen und Beat Schori

Welche Mitarbeiter soll man zu Agile Coaches ausbilden? Unternehmen sind oft unsicher, denn Agile Coaches brauchen neben Methoden-Know-how auch ein agiles Mindset und eine agile Haltung.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2019/07

     

Viele Unternehmen haben die Erfahrung gemacht: Für die agile Transformation einer Organisation genügt es nicht, agile Methoden einzuführen und die Strukturen zu verändern. Vielmehr ist auch ein agiles Mindset nötig, damit die Kultur im Unternehmen in Bewegung kommt und sich die Strategie mit Leben füllt.

Dieses Mindset lässt sich nicht per Dekret verordnen. Es entwickelt sich in einem Change-Prozess, bei dem die Mitarbeiter und Führungskräfte meist eine aktive Unterstützung brauchen – zum Beispiel durch Agile Coaches. Darüber sind sich die Unternehmen inzwischen weitgehend einig; unklar ist jedoch oft noch, welche genau die Rolle der Agile Coaches ist und welches Kompetenz- und Persönlichkeitsprofil diese brauchen.


Deshalb werden nicht selten Projektmanager, Scrum Master oder Organisationsentwickler ohne eine spezielle Vorbereitung zu Agile Coaches ernannt. Doch Leidenschaft fürs Thema und Methodenkenntnis allein genügen in der Regel nicht, um die Rolle als Agile Coach adäquat wahrzunehmen.

Auswahl der Agile Coaches erfolgt oft ohne System

Deshalb senden immer mehr Unternehmen ihre angehenden Agile Coaches auf Fortbildungen, die ihnen das erforderliche Know-how und Können vermitteln sollen. Doch wie werden die Teilnehmer ausgewählt? Oft hat man den Eindruck: nach dem Zufallsprinzip. Da erscheint den Entscheidern zum Beispiel ein Mitarbeiter als die logische Wahl, weil er bereits Scrum Master und im Bereich Organisationsentwicklung tätig ist. Wieder ein anderer hat noch "etwas gut" für ein erfolgreiches Projekt und interessiert sich für das Thema Agilität. Also bekommt er die Fortbildung als Incentive.

Agile Coaches brauchen ein agiles Mindset

Bei der Auswahl wird oft auch nicht ausreichend bedacht, dass eine Agile-­Coach-Ausbildung den Teilnehmern ausser der erforderlichen Methoden-Kompetenz auch das Mindset vermitteln muss, das Agile Coaches für ihre Arbeit brauchen – denn dieses entscheidet letztlich darüber, was die Agile Coaches ihren Kollegen vermitteln und ob die Methoden adäquat eingesetzt werden.


Deshalb sollte eine Faustregel beim Konzipieren einer Agile-Coach-Ausbildung sein: 20 Prozent Technik/Methodik und rund 80 Prozent Haltung. Denn das Mindset, das zu einer agilen Haltung führt, gilt es nicht nur zu entwickeln, sondern auch zu verinnerlichen.

Agile Coaches sind letztlich Multiplikatoren. Also lautet die zentrale Frage: Was multiplizieren sie? Nur Methoden-­Know-how oder auch die für ein agiles Arbeiten nötige Einstellung und Haltung? Die Antwort hängt von der Auswahl der künftigen Agile Coaches und vom Konzept ihrer Ausbildung ab.

Die Frage, wie die Teilnehmer einer Agile-Coach-Ausbildung richtig ausgewählt werden, lässt sich nicht pauschal beantworten – auch weil die Auswahlkriterien oft nicht hart messbar sind.

Auswahl der Kandidaten ist oft schwer

Zwei Beispiele: Angenommen, die Verantwortlichen wählen einen Mitarbeiter aus, der in der Scrum-Methodik schon fit ist und als Product Owner oder Scrum Master bereits erfolgreich in der Organisation arbeitet. Dann heisst dies nicht zwingend, dass er die Grundvoraussetzungen für einen Agile Coach in Gänze erfüllt, denn: Scrum ist nur eine von vielen Methoden in der agilen Arbeitswelt, und der Nutzen jeder Methode hängt auch davon ab, mit welchem Geist sie angewendet wird. Im schlimmsten Fall mutiert der Scrum Master zu einem Methodenwächter, der zwar sklavisch auf das Einhalten der Regeln achtet, sich jedoch nicht als Coach der Mitarbeiter eignet.


Angenommen nun, die Verantwortlichen denken, ein bereits ausgebildeter Coach sei die richtige Wahl. Dann stellt sich die Frage: Steht seiner Entwicklung zum Agile Coach möglicherweise das Credo vieler Coaches im Weg, dass das Gegenüber stets die Lösung selbst finden muss? Die Praxis zeigt oft: ja. Denn Agile Coaches müssen eine grosse Rollenflexibilität zeigen. Mal müssen sie Mitarbeiter oder Kollegen coachen, mal beraten, mal aktiv das Geschehen mitgestalten. Zudem sind sie oft Sparringspartner für das Management, wenn es um das Vorantreiben der gewünschten Projekte geht. Deshalb brauchen sie neben Macher-Qualitäten auch Rückgrat und ein gewisses Standing in der Organisation.

Vorab ein Anforderungsprofil definieren

Also sollten sich Unternehmen, bevor sie die Teilnehmer für eine Agile-­Coach-Ausbildung benennen, intensiv mit der Frage befassen, welche Kompetenzen und welches Mindset ein Kandidat braucht, um die Rolle als Agile Coach erfolgreich auszuüben.

Die Praxis zeigt, dass hierfür unter anderem folgende Kompetenzen beziehungsweise Fähigkeiten wichtig sind:
• beziehungsgestaltende Kompetenzen (z.B. ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten inkl. der Fähigkeit, Konflikte konstruktiv zu gestalten; Team- und Kooperationsfähigkeit, ein Agile Leadership-Verständnis)
• kognitive und (selbst-/emotions-) regulatorische Fähigkeiten (u.a. geistige Wendigkeit, Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz)
• Fähigkeit zur Selbststeuerung (z.B. das eigene Verhalten beobachten, differenziert bewerten und nachjustieren können)


Diese Fähigkeiten beziehungsweise Kompetenzen erleichtern es in der Praxis unter anderem, Ambiguitäten, also Mehrdeutigkeiten, souverän zu begegnen, Veränderungen offen anzugehen und sich schnell in einen volatilen Rahmen einzufinden, der durch wechselnde Rollen statt durch starre (hierarchische) Strukturen geprägt ist. Grundsätzlich können sich alle Mitarbeiter und Führungskräfte auf die agile Reise begeben. Wichtig ist es jedoch, den Ausgangspunkt der Teilnehmer zu kennen, um sie individuell fördern und entwickeln zu können.

Den Startpunkt der agilen Reise mehrstufig ermitteln

Für die Auswahl der Reise-Teilnehmer hat sich folgendes Konzept bewährt, das es den Entscheidern und potentiellen Teilnehmern ermöglicht, ihren Blick dafür zu schärfen, wer wo auf seiner ganz persönlichen Reise steht. Zielführend ist es zum Beispiel, mit einem offenen Agile Awareness Workshop für Interessierte zu starten. Er dient dazu, ein Grundverständnis dafür zu schaffen, was agile Transformation überhaupt bedeutet, welche Dimensionen dieser (Change-)Prozess berührt und vor allem, was die Aufgaben und Rollen eines Agile Coaches im Unternehmensalltag sind.


Dabei lautet ein zentrales Ziel: Bei den potentiellen Ausbildungsteilnehmern soll ein klares Bild entstehen, ob sie sich überhaupt auf die Reise in die Welt der Agile Coaches begeben möchten. Deshalb sollte ihnen ein Weg aufgezeigt werden, wie sie für sich entscheiden können, ob sie an dieser Reise teilnehmen möchten, und wie die Auswahl der Kandidaten für eine Agile-Coach-Ausbildung erfolgt.

Die Selbstreflexion der Teilnehmer anregen

Die Selbstreflexion der Teilnehmer anregen
Gegen Ende des Workshops erhalten die Interessenten dann zum Beispiel eine Hausaufgabe, die auch der Reflektion ihrer Motivation für die Ausbildung dient. Ausserdem werden sie gebeten, ein ­psychologisches Persönlichkeitsinventar auszufüllen, das beispielsweise auf dem BIG-­5-­Modell der Persönlichkeit basiert. Danach werden die Kandidaten zu einem Agile Attitude Development Day eingeladen.

Dort wird unter anderem reflektiert, wie die Teilnehmer die Hausaufgabe angingen und lösten und von welchen Einstellungen sie sich hierbei leiten liessen. Dies dient als Einstieg in ein Gespräch darüber, was sie dazu motiviert, Agile Coaches zu werden, und mit welcher Haltung sie sich dem Thema Agilität nähern. Dabei werden sie auch spielerisch mit den agilen Prinzipien vertraut gemacht und setzen sich in verschiedenen Lern- und Reflexionssettings mit ihren künftigen Aufgaben und sich selbst auseinander.


Gegen Ende des Workshops sollten alle Teilnehmer ein ausführliches individuelles Feedback und die Auswertung des vorab ausgefüllten Persönlichkeitsinventars erhalten, um fundiert entscheiden zu können, ob sie Agile Coach werden wollen oder in einer anderen Funktion mehr zur Steigerung der Agilität in der Organisation beitragen können.

Es liegt auch im Interesse der Unternehmen, genau zu analysieren, an welchem Punkt der (agilen) Reise ihre Mitarbeiter stehen – unter anderem, um die Entwicklung der Ausbildungsteilnehmer individuell und bedarfsorientiert zu planen. Faktisch beginnt deren Entwicklung schon am Agile Attitude Development Day – zumindest wenn sie dort auch ­individuelle Entwicklungsempfehlungen erhalten.

Auch Agile Coaches reifen allmählich

Der Vorteil eines solchen mehrdimensionalen Auswahlverfahrens ist: Die Teilnehmer setzen sich bereits intensiv mit dem für Agilität nötigen Mindset auseinander. Zudem wird von Anfang an deutlich, wie wichtig eine wechselseitige Wertschätzung, eine hohe Transparenz und eine Kommunikation auf Augenhöhe sind, damit Menschen ihre Einstellungen und ihr gewohntes Agieren reflektieren und zu einer Änderung ihrer Haltung und ihres Verhaltens bereit sind. Denn dies zu erreichen, ist eine ihrer Kernaufgaben als künftige Agile Coaches.


Die Ausbildung zum Agile Coach selbst sollte modular aufgebaut sein und sich über einen längeren Zeitraum, zum Beispiel sechs Monate, erstrecken, damit bei den künftigen Agile Coaches die für ihre Arbeit nötige Einstellung und Haltung reifen können. Zudem sollten in der Ausbildung neben der Methodenvermittlung auch die Themen Selbstreflexion und Reflexion der gemachten Erfahrungen eine wichtige Rolle spielen. Denn nur so entwickeln sich die (angehenden) Agile Coaches weiter, und es entsteht bei ihnen allmählich die Haltung und Verhaltenssicherheit, die sie in ihrem Arbeitsalltag in einem sich verändernden Umfeld brauchen.

Die Autoren

Katja von Bergen arbeitet als Managementberaterin für die international agierende Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (D), die unter anderem Agile Coaches ausbildet. Die Betriebswirtin ist auf die Themenfelder agile Transformation und Unternehmensentwicklung spezialisiert.
Beat Schori, Gümligen (CH), berät und begleitet Unternehmen im Bereich Change, Transformation und Integration. Für Dr. Kraus & Partner fungiert der Betriebswirt als Country Executive und Partner Schweiz.


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