«IT-Probleme gibt es in der Migros aktuell keine»


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2009/07

     

Swiss IT Magazine: Herr Schwarz, seit nunmehr 10 Jahren sind Sie als CIO beim Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) bzw. Migros IT-Services tätig. Wie hat sich in dieser Zeit die IT Ihres Unternehmens verändert?


Rudolf Schwarz: Sehr stark. Gerade in den ers-ten sieben Jahren hat sich enorm viel verändert. 1999 entstanden aus der «Koordination Informatik der M-Gemeinschaft» die heutigen «Migros IT-Services». Gleichzeitig wurde eine IT-Vereinheitlichungsstrategie gestartet, getreu dem Motto «Eine Systembetreuung für alle». Bestehende Eigenentwicklungen wurden konsequent durch SAP-, Oracle- und Microsoft-Systeme abgelöst. Diese Applikationen wurden sowohl für die Migros-Industrie wie auch für den Detailhandel neu aufgebaut und in verschiedenen IT-Competence-Centers an jeweils einem Standort konsolidiert. Dabei wurden zum Teil über 30-jährige Applikationen, welche in 10 Migros-Genossenschaften und 13 Migros-Industrieunternehmen betrieben wurden, abgelöst. Die IT-Systeme wurden also konsequent erneuert. Die eingesetzten Systeme drehen aktuell mit einem Durchschnittsalter von vier Jahren.


Was hat diese Konsolidierung in finanzieller Hinsicht gebracht?


Wir konnten sehr viel einsparen. Heute betragen die IT-Kosten noch 1,15 Umsatzprozente im Migros-Format, während es 2003 noch 1,74 Prozent waren. Das sind fast 30 Prozent tiefere IT-Kosten. Und das alles haben wir trotz einem massiv gesteigerten Funktionsumfang und einer ebenso massiv gesteigerten Systemverfügbarkeit erreicht.


In den letzten zehn Jahren hat sich also einiges verändert. Wie sieht die IT der Migros heute denn genau aus?


Die Migros IT-Services beschäftigen aktuell 260 Mitarbeitende in den organisatorischen Bereichen IT Retail, IT Konzern und Industrie, Infrastrukturdienste sowie administrative Diens-te. Wie man sieht, haben wir unsere Organisation klar nach Auftraggeber/-nehmer ausgerichtet. Wir betreuen heute rund 13’000 SAP-Anwender in der Migros-Gruppe und unterhalten im Migros-Genossenschafts-Bund rund 2200 IT-Arbeitsplätze, auf denen alles in allem bis zu 500 Applikationen eingesetzt werden. Ausserdem betreiben wir zwei redundante Rechenzentren, wovon eines im Drei-Schicht-Betrieb 24 Stunden, also jederzeit, bemannt ist und das andere per Remote überwacht wird. All das vollziehen wir ohne Partner. Auf diese zählen wir vor allem bei Projekten, wobei wir dort eine Dual-Vendor-Strategie fahren. Das heisst, wir arbeiten im Bereich Retail und im Bereich Konzern/Industrie ganz konsequent mit jeweils zwei unterschiedlichen Implementierungspartnern zusammen.


Neben uns, also den Migros IT-Services, gibt es in der Migros-Gruppe noch vier weitere, über die ganze Schweiz verteilte, unabhängige IT-Competence-Center, die ich bereits erwähnt habe. Sie kümmern sich um weitere Teile der Migros-IT. Dazu gehören die Center «SAP-Frischesysteme», «POS-Systeme», «SAPficohr» oder «SAP-Campus». Die Koordination dieser Center erfolgt im sogenannten «IT-Office», wo ich den Vorsitz habe.

Welches Budget steht Ihnen bzw. Migros IT-Services jährlich zur Verfügung?


Für Betrieb, Weiterentwicklungen und Projekte können wir bei den Migros IT-Services auf ein stabiles Budget von rund 100 Millionen Franken zurückgreifen.


Sie sind CIO und Leiter einer 260-köpfigen IT-Truppe, haben selber aber keine eigentliche IT-Ausbildung absolviert. Vermissen Sie das manchmal?


Nein, eigentlich nicht. Dafür habe ich ja meine Spezialisten. Ich sehe mich eher im modernen Bild des CIO, der zukunftsorientiert führt sowie Projekte initiiert und steuert. Das sind meine Aufgaben. Mein betriebswirtschaftlicher Hintergrund hat mir dabei sehr viel geholfen. Vielleicht ist es auch gar nicht so schlecht, wenn man in meiner Funktion nicht zu nah an der Technik ist. So behält man den Fokus auf Strategien und für die Bedürfnisse des Kunden und legt ihn nicht einseitig auf die Seite der Technologie.


Was wäre die Migros ohne IT? Könnte man bei einem Systemausfall noch wie gewohnt seine täglichen Einkäufe machen?


Auch im Handel ist die IT heute, wie in Banken, zu einer unabdingbaren Infrastruktur für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit geworden. Als Beispiel kann ich die Warennachlieferungen nennen, die heute vollautomatisch geschehen und durch doppelt ausgelegte Sys-teme und Prognoselösungen sichergestellt werden.


Die Verfügbarkeit Ihrer Systeme muss also sehr hoch sein?


Ja, das ist so, und ich kann mit Stolz sagen, dass die bei uns auch sehr hoch ist. Wir können auf 99,95 Prozent Systemverfügbarkeit für nachschubrelevante Systeme verweisen. Davon haben wir 17 an der Zahl. Dazu gehört beispielsweise die ganze Warenbewirtschaftung oder das System für die Transportdisposition. In den letzten vier Jahren haben wir diese Verfügbarkeit nie unterschritten. Wenn man bedenkt, dass diese für einen 24-Stunden-Betrieb an 365 Tagen im Jahr gilt, denn Tankstellenshops oder Milchproduzenten kennen keine Feiertage, ist das eine beachtliche Leistung. Das entspricht hochgerechnet in einem ganzen Jahr einer Ausfallzeit von 4,4 Stunden.


Es kommt also auch bei der Migros ab und an zu Ausfällen, denn die 100-prozentige Sicherheit ist ja leider eine Illusion. Was für Gründe führten denn in den letzten Monaten bei Ihnen zu Systemausfällen?


Gründe für solche kurzen Ausfälle können Brandfälle sein, wie wir es gerade im Januar dieses Jahres erlebt haben, aber auch Stromausfälle, defekte Rechner oder Applikationsprobleme. Wie gesagt, um auch diese Fälle abzusichern, sind die «nachschubrelevanten Systeme» doppelt ausgelegt und auf zwei Rechenzentren verteilt.


Kommen wir von den ungeplanten zu den Problemen, die man kennt und aktuell lösen muss. Gibt es da welche?


Im Tagesbetrieb bei der Migros sind IT-Probleme derzeit kein Thema, das heisst, die Sys-teme laufen stabil. Man spricht nicht von uns, also ist alles tipptopp. Alles läuft, dafür haben wir aber in den letzten Monaten und Jahren auch einiges investiert. Diese Topausgangslage gilt es nun zu halten. Ausserdem beschäftigen wir uns aktuell bereits stark mit der Zukunft und ihren Problemen, oder viel mehr Herausforderungen, die auf uns zukommen. Diese stellen sich vor allem im Rahmen der «IT-Strategie 2011ff». Damit verfolgen wir aktuell die Vision, von der prozessorientierten zur konsumentenorientierten IT zu kommen. Dort arbeiten wir gegenwärtig zusammen mit der ETH, SAP und Siemens und vielen weiteren Partnern an spannenden Projekten wie beispielsweise dem «Future Retail Center», also quasi dem Migros-Einkaufsladen der Zukunft. Dort werden Technologien für die «übernächste» Zukunft, die vielleicht ab 2015 kommen werden, ausgetestet.

Gibt es neben dem «Future Retail Center» bei Migros aktuell auch IT-Projekte, die etwas näher an der Gegenwart sind?


Wir haben ein ständiges Portfolio von etwa 30 Projekten, grössere und kleinere. Unsere aktuellen Projektschwerpunkte liegen in der Integration der Unternehmen im Departement Handel. Migros-Töchter wie Globus, Interio, Officeworld oder Denner verfügen heute alle über eine eigene IT. Diese will man nun konsolidieren oder besser gesagt, diese Unternehmen werden ihre IT und dessen Betrieb an die Migros-Competence-Center outsourcen. Diese tragen dann Sorge für die SAP- und andere Systeme, Server und den Support, während arbeitsplatznahe IT-Aspekte weiter vor Ort gelöst werden.


Bei Denner stehen wir kurz vor dem Abschluss des Projekts. Dort war die Herausforderung, die bestehenden SAP-Windows-Server auf die von uns eingesetzten Unix-Server zu migrieren. Aktuell beschäftigt uns die Integration von Globus, Interio und Officeworld sehr stark. Das Projekt läuft seit April und trägt den Titel «COB-Realisierung», wobei COB für «Continuity of Business» steht.


Welche Rolle spielt bei Ihnen, insbesondere wenn man solche Grossprojekte umsetzt, die Mitarbeiterschulung?


Wir legen in den Projekten sehr viel Wert auf eine gute Schulung. Die Mitarbeitenden werden bei SAP-nahen oder anderen speziellen Programmen durch unseren dreisprachigen Bereich «Services and Educations» geschult. Bei allem, was Microsoft (Windows, Office) oder andere Standard-Software betrifft, nutzen wir zur internen Schulung die Möglichkeiten der Migros-Klubschulen. Ein Beispiel: Bei der Umstellung auf Office 2007, die wir vor kurzem erfolgreich abgeschlossen haben, haben wir im Rahmen des dreimonatigen Projekts zusammen mit der Klubschule 2000 Mitarbeitende in einem halbtägigen Grundkurs mit der neuen Software und den wichtigsten Neuerungen vertraut gemacht.


Was denken Sie, wenn Sie das Schlagwort «Green IT» hören?


Green IT ist für die Migros kein spezielles Thema, da für uns die Ökologie seit eh und je sehr wichtig ist und wir damit einhergehend einen umsichtigen Umgang mit Energie pflegen. Der grüne Aspekt ist bei der Migros also bereits verinnerlicht und nicht neu. Wir nutzen auch in der IT Wärmerückgewinnungsmöglichkeiten, kaufen nur Hardware, die unseren Normen entspricht, und steuern den Betrieb mit ausgeklügelten Tools.


Ein anderes, aktuell ganz heiss gehandeltes Thema ist Software as a Service (Saas). Bei Ihnen auch?


Nein, Saas ist für uns zurzeit überhaupt kein Thema. Wahrscheinlich auch dank den guten und abgesicherten Enterprise-Agreements, die wir mit allen grösseren Software-Lizenzgebern ausgehandelt haben. Für kleinere Unternehmen, die nicht über solch gute Lizenzmodelle für ihre Software verfügen wie wir, ist das SaaS-Modell heute aber bestimmt eine interessante Option.


Zum Schluss sei noch eine Frage zu Ihnen und nicht zur Migros-IT erlaubt: Ende September räumen Sie den Posten als CIO und gehen in Pension. Weshalb?


Bei der Migros wird man mit 63 pensioniert. Dieses Alter erreiche ich bald. Der Gedanke in der heutigen Zeit, den Zeitpunkt selber zu wählen, hat mich schliesslich bewogen, dafür den 30. September 2009 festzulegen. Natürlich wären noch viele Ideen da. Ich habe mich nun aber entschlossen nach zehn überaus spannenden «CIO-Jahren» in einen neuen Lebensabschnitt zu starten. An dieser Stelle danke ich meinen kompetenten und engagierten Mitarbeitenden für die tolle Unterstützung!


In Kürze

· Nach 10 Jahren als CIO beim Migros-Genossenschafts-Bund geht Rudolf Schwarz Ende September in Pension.


· In seiner Zeit als CIO hat er die IT der Migros konsequent vereinheitlicht, konsolidiert, erneuert und damit einiges bewirkt.


· Aktuell beschäftigt ihn die Eingliederung der Migros-Töchter Globus, Officeworld und Interio.

(mv)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welche Farbe hatte Rotkäppchens Kappe?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER