CIO-Interview: 'Ich habe eine ­neuartige Führungs­kultur etabliert'
Quelle: Amag

CIO-Interview: "Ich habe eine ­neuartige Führungs­kultur etabliert"

Amag-CIO Patrick Freudiger wurde im September mit dem CIO Award 2016 ausgezeichnet. Was den Ausschlag für den Preis gegeben haben könnte, erklärt er im Interview.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2016/12

     

Swiss IT Magazine: Sie sind Mitte September mit dem CIO Award 2016 ausgezeichnet worden. Herzliche Gratulation dazu auch von unserer Seite. Was muss man tun, um zum IT-Manager des Jahres gekürt zu werden?
Patrick Freudiger: Ganz pragmatisch: Man muss sich bewerben. Bei mir hat sich das Ganze aus einem Zufall ergeben. Ich wurde von den Veranstaltern angeschrieben, ob ich nicht Interesse hätte, an einer Podiumsdiskussion rund um den Event teilzunehmen. In dieser Einladung fand ich den Verweis, dass man sich noch für den Award bewerben und seine Unterlagen einreichen kann. Und dazu habe ich mich dann spontan entschieden, mit dem Hintergedanken, dass so eine Bewerbung einen quasi dazu zwingt, seine eigene Leistung zu hinterfragen und diese auch einer Betrachtung von aussen unterziehen zu lassen. Dieser externe Benchmark hat mich interessiert.


Was denken Sie hat den Ausschlag gegeben, dass Sie gewonnen haben? Was machen Sie besser als Ihre Kollegen?
Eine schwierige Frage. Zum ersten haben wir versucht, sicherzustellen, dass die Systeme, die wir für die tägliche Arbeit brauchen, sauber, stabil und schnell laufen und dass sie auch weiterentwickelt werden. Zum zweiten spüren wir, dass die digitale Transformation auch in der Mobilitätsbranche Einzug hält. Die Veränderungen, die diese sogenannte Disruption mit sich bringt, haben mit Digitalisierung und damit auch mit Informatik zu tun. Deshalb habe ich gezielt versucht, die ablaufenden Veränderungsprozesse bewusst informatikseitig zu adressieren. Drittens – und ich denke dieser Punkt hat wohl den Ausschlag gegeben für den Award – habe ich eine neuartige Führungskultur in der IT etabliert, welche Veränderungsprozesse unterstützt.
Können Sie diese Führungskultur etwas umschreiben?
Amag ist ein sehr traditionsreiches Unternehmen, sehr erfolgreich und über die letzten 70 Jahre historisch gewachsen. Aber es lässt sich nicht von der Hand weisen, dass Amag ein sehr hierarchisch strukturiertes Unternehmen ist. Ein Beispiel: Ich bin nicht nur CIO von Amag, sondern trage gleichzeitig auch den Titel eines Direktors – was mir etwa ein Einzelbüro mit schönen Möbeln, einen persönlich angeschriebenen Parkplatz und ein paar weitere Statussymbole garantiert. Entsprechend ist auch der Umgang innerhalb des Unternehmens – Mitarbeiter sprechen einen Direktor nicht einfach an, sondern kommen mit einer gewissen Ehrfurcht ins Büro und melden sich vorher womöglich noch am Empfang an. Dieses Denken, dieses Handeln habe ich gezielt durchbrochen und versucht, eine Führungskultur in die IT zu bringen, die nicht auf Hierarchie basiert, sondern die die Aufgaben und das engagierte Partizipieren des Einzelnen ins Zentrum stellt. So herrscht in der Informatik beispielsweise vollständige Transparenz über die Ziele, die wir erreichen wollen, mit der Möglichkeit, dass sich jeder Mitarbeiter einbringen kann, und zwar abteilungsübergreifend. Findet ein SAP-Spezialist etwa ein Projekt in der Betriebsorganisation spannend und möchte daran teilhaben, dann versuchen wir das zu ermöglichen. Ausserdem leben wir nach dem Grundsatz, dass jeder jedem zur Verfügung stehen soll. Früher gab es in der Amag-IT ein recht ausgeprägtes Silodenken. Das haben wir durchbrochen, was harte Arbeit war. Heute sind wir soweit, dass die Mitarbeiter nicht mehr nur in Prozessen denken, sondern einander bestmöglich unterstützen, um gemeinsam überdurchschnittliche Ergebnisse zu erzielen.
Ist es möglich, die etablierte Führungskultur eines gesamten Unternehmens nur in einer Abteilung – der IT – zu ändern?
Veränderungen, wie wir sie in der IT eingeführt haben, hat es in den letzten Jahren auch im gesamten Unternehmen gegeben. Aber die Veränderungen sind noch nicht in allen Bereichen gleich weit fortgeschritten. Hinzu kommt, dass zum Beispiel eine Fehlerkultur in gewissen Abteilungen schlicht nichts verloren hat. Nehmen wir den Bereich After-Sales, an dem komplexe Logistikprozesse hängen. In Logistikprozessen herrscht eine Null-­Fehlerkultur, und das ist auch richtig so, weil sonst die Autogarage einen Pneu anstelle eines Lenkrads geliefert bekommt.


Aber war es nicht schwierig, die Führungskultur eines traditionell hierarchisch geführten Unternehmens mit den bestehenden Mitarbeitern aufzubrechen?
Doch, das war schwierig. Am Anfang gab es sicher Mitarbeiter, die dachten, das sei jetzt eine gute Idee des neuen Chefs, die man auch noch aussitzen kann. Doch wenn ich offen bin, habe ich von Beginn an versucht, Mitarbeitern, die unsere Vision und unsere Ziele nicht geteilt haben, nahezulegen, dass sie bei einem anderen Arbeitgeber besser aufgehoben sind. Dadurch ist in der Amag-IT recht schnell auch eine gewisse Dynamik entstanden.
Aber der Stimmung war das sicher nicht förderlich?
Wir haben versucht, die Veränderungen auf eine gute, respektvolle Art zu vermitteln. Mir ist es wichtig, die Mitarbeiter auf eine positive Art zu verändern. Wenn ich spüre, dass ein Mitarbeiter keine Lust hat auf das, was wir hier bewegen wollen, dann versuche ich, ihm nahezulegen, dass es für ihn mehr Sinn macht, etwas Anderes zu machen und dabei zufriedener zu sein.


Der Führungsstil war ein Kriterium für den Award. Andere Kriterien waren die Innovationskraft und die Strategie. Was können Sie hierzu erzählen?
Zum Thema Strategie kann ich sagen, dass wir eine haben, und diese sogar aktuell ist (lacht). Nein im Ernst, wir haben klare strategische Ziele definiert und achten darauf, dass diese Ziele messbar sind und auch gemessen werden. Im Wesentlichen verfolgen wir dabei zwei Handlungspfade. Zum einen sollen unsere Kunden möglichst zufrieden sein, was jährlich geprüft wird, und zum anderen müssen wir kosteneffizient arbeiten, mit unserem Budget haushälterisch umgehen. Zur Kundenzufriedenheit gehören Themen wie Steigerung der Usability oder der Zuverlässigkeit, und auf Kostenseite geht es darum, einerseits die enorme Komplexität zu reduzieren und andererseits das Innovationsbudget möglichst auf die erfolgversprechendsten Projekte im Business zu lenken.
Können Sie etwas zu solchen Projekten erzählen?
Für Mitarbeiter aus dem SAP-Umfeld ist das spannendste Projekt aktuell die Transformation unserer gesamten ERP-Landschaft von R/3 in Richtung Hana. Wir tauschen dabei nicht nur den Datenbank-Stack aus, sondern wir versuchen gezielt, aus rund 20 Systemen vier Systeme zu machen.
Daneben arbeiten wir daran, unser Dealer Management System, eine Applikation für grössere Garagen, so zu erweitern, dass wir auch den gesamten After-Sales-Prozess damit abdecken können. Dazu wird die Applikation, die ebenfalls auf SAP basiert, neu entwickelt und es werden Themen adressiert, die komplett neu und äusserst spannend sind – beispielsweise die papierlose digitale Werkstatt. Ein weiteres unserer unzähligen Projekte betrifft das Thema Online Sales. Im Occasionsgeschäft gibt es neu eine sogenannte Remarketing-Plattform, auf der Occasions-Autos beispielsweise von Flottenkunden im Auktionsverfahren an Garagen vermarktet werden. Hier haben wir wirklich ein tolles Online-Sales-Portal bauen können. Und dann gibt es verschiedene Projekte im Dunstkreis von CRM, welche ebenfalls das Thema Digitalisierung und damit die veränderten Informationsprozesse und Kaufentscheide der Kunden betreffen. In dem Zusammenhang treibt uns auch das Thema Business Intelligence an. Autos generieren immer mehr Daten, wir haben immer mehr Daten über unsere Kunden und deren Verhalten, und wir beschäftigen uns intensiv mit Themen wie Predictive Analytics, um etwa aufgrund eines bestimmten Verhaltens zu erkennen, dass ein Kunde auf dem Absprung ist oder um zu wissen, was wir tun müssen, damit ein Kunde bleibt. Und nicht zu vergessen: Es gibt noch ein grösseres Collaboration-Projekt, in dessen Rahmen wir unsere Mitarbeiter mit den neuesten Produkten aus dem Hause Microsoft beglücken – angefangen bei Sharepoint über Office 2016, Onenote und Onedrive for Business bis hin zu Skype.

Wird hier eine bestehende Lösung ­abgelöst?
Ja, wir lösen mit Hilfe von Swisscom die Lösung Confluence von Atlassian ab.

Zum Thema Kosten: Wir haben im Frühling 2012 an dieser Stelle Ihre Vorgängerin interviewt, und sie erklärte damals, dass das IT-Budget weniger als 1 Prozent des Gesamtumsatzes bei Amag ausmache und aufgrund des Kostendrucks in der Autobranche tendenziell eher sinke. Wie sieht die Situation heute aus?
Nun, der Kostendruck ist noch einmal massiv gestiegen. Das Informatik-Budget aber ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen – und zwar überproportional im Verhältnis zum Umsatz. Heute beträgt das IT-Budget zwischen 1,3 und 1,4 Prozent des Gesamtumsatzes.


Können Sie das erklären?
Sehen Sie, wenn man neu so einen Job übernimmt, muss man versuchen, sich relativ schnell so aufzustellen, dass man das Gefühl hat, Erfolg haben zu können. Als ich den Job übernommen habe, war die IT von Amag vor allem auf Kosten­effizienz getrimmt. Ich aber habe die Prioritäten anders gesetzt und meinem Vorgesetzten klargemacht, dass investiert werden muss, um Innovationen voranzutreiben. Diese Botschaft wurde natürlich nicht gerne gehört und stiess auf Widerstand, aber letztlich ist sie doch durchgedrungen. Heute sind wir soweit, dass unser CEO Morten Hannesbo dieses Jahr sogar als das Jahr der Digitalisierung erklärt hat.
Wie haben Sie das geschafft?
Ich konnte letztlich überzeugend argumentieren, auch wenn ich lange gebraucht habe. Steter Tropfen höhlt den Stein, ich habe meine Argumente wieder und wieder vorgebracht, und mit der Zeit haben auch die Leiter anderer Abteilungen mit in den Chor eingestimmt, weil sie die Chancen erkannt haben, die in innovativer IT liegen.

Also ist Ihre wichtigste Kompetenz die Kommunikation, oder die Argumentation?
Nein. Natürlich ist Kommunikation für meinen Job wichtig, und man muss in der Lage sein, seine Ideen einer Geschäftsleitung zu verkaufen. Aber man muss die Projekte dann auch umsetzen und die richtigen Leute am richtigen Ort einsetzen können.


Zu Ihrer IT: Können Sie ausführen, wie diese im Wesentlichen aufgebaut ist?
Wir orientieren uns klassisch an der Wertschöpfungskette und funktionieren nach dem Prinzip "plan, build, run". Wir haben eine Organisationseinheit, die sich um Projekte kümmert und Portfolios verwaltet. Eine weitere Organisationseinheit kümmert sich um das Applikations-Engineering, das stark SAP-lastig ist, sowie um neue Technologien. Zusätzlich haben wir einen Operations- und einen Support-Bereich.
Wie viele Leute arbeiten in welchem Bereich?
Alles in allem beschäftigen wir in der IT rund 130 Mitarbeiter. Eine Handvoll davon ist im Projektgeschäft tätig. 30 bis 35 Mitarbeiter kümmern sich um SAP und betreuen Applikationen beziehungsweise SAP-Module. Dann haben wir eine Abteilung, die Business Data und Infonomics getauft ist und die quasi die schnelle Eingreiftruppe mit rund 15 Personen umschreibt. Diese Mitarbeiter kümmern sich um Themen wie BI-Services, CRM-Services und Web-Technology-Services. Hier kommen also Technologien zum Einsatz, die eher schnelllebig sind im Gegensatz zur eher trägen SAP-Welt. Wir greifen hier den Gedankenansatz von Bimodal IT auf, den Gartner definiert hat und der vorsieht, mit zwei Betriebsmodi zu arbeiten. In der Betriebsgruppe sind rund 20 Mitarbeiter tätig, wobei wir rund ums Thema IT-Betrieb bereits stark auf Sourcing setzen und den Sourcing-Anteil gerne noch erhöhen möchten, zumindest dort, wo es Sinn macht. Wir wollen uns schrittweise von der eigenen Betriebsorganisation lösen, mit dem Hintergedanken, dass das Spezialisten professioneller übernehmen können.


Und auch günstiger?
Nein, das definitiv nicht. Sourcing ist für uns teurer, auch weil unser Betrieb sehr effizient aufgestellt ist. Dafür fehlt zum Beispiel vielerorts die personelle Redundanz mit den entsprechenden Folgen.
Und dann gibt es noch den Support-­Teil.
Richtig. Unsere Support-Organisation ist ebenfalls ziemlich schlank aufgestellt und aufgeteilt in Help Desk, Second Level Support und On-Site-Services. Help Desk und Second Level passieren hier im Haus, während sich die Mitarbeiter der On-Site-Services draussen im Feld um die Anliegen unserer Partnergaragen und Retail-Filialen kümmern.

Ich komme nochmals auf den CIO-Award zurück. Bei der Verleihung haben Sie erklärt, den Preis auch Ihrem Team und den exzellenten Mitarbeitern zu verdanken. Wie schaffen Sie es, solche Mitarbeiter zu finden und auch zu halten?
Was das Finden der Mitarbeiter angeht, muss ich unserer HR-Abteilung ein Kompliment aussprechen. Sie macht einen sehr guten Job. Die Marke Amag, die eine gewisse Zugkraft hat, sowie das Thema Automobile und Mobilität helfen hier mit Bestimmtheit. Hinzu kommt, dass sich inzwischen herumgesprochen hat, dass es in der Amag-IT spannende Projekte gibt. Um die Mitarbeiter zu halten, helfen zwei Aspekte: Zum einen die gezielte Förderung des Einzelnen – ich bin ein grosser Verfechter des stärkenorientierten Förderns des einzelnen Mitarbeiters. Zum anderen unser visionsorientierter Ansatz, bei dem es sich eigentlich um einen definierten Gefühlszustand handelt, was allenfalls ein bisschen abstrakt anmutet. Im Grundsatz geht es aber darum, dass sich ein Mitarbeiter in der Amag-Informatik euphorisch, frei und geborgen fühlen soll. Zu diesem Zustand beitragen soll unter anderem die angesprochene Transparenz über sämtliche Ziele und die Möglichkeit, sich überall einbringen zu können, worauf man Lust hat. Daraus entsteht schon im Grundsatz eine sehr positive Dynamik.
Können Sie ein Beispiel machen?
Nehmen wir beispielsweise Design Thinking als Methode aus dem SAP-Umfeld. Früher hätte man diese Methode innerhalb der SAP-Abteilung angeschaut und vielleicht ein paar Mitarbeiter in eine Schulung geschickt. Heute ist das alles viel offener, und es kann sein, dass ein Mitarbeiter aus dem Support findet, dass diese Methodik ihn in seiner Arbeit ebenfalls unterstützen kann. Oder er findet, dass ihn die Thematik einfach grundsätzlich interessiert und er gerne mehr darüber erfahren würde. So entstehen Erfolgsgeschichten von Mitarbeitern, die branchenfremd irgendwo im First Level Support am Telefon starten, sich gut entwickeln, aufsteigen und am Schluss in einem Fachteam landen. Solche Geschichten haben wir mehr als eine, und ich bin jedes Mal aufs Neue beeindruckt.

Zum Schluss. Was würden Sie aktuell als grösste Herausforderung bezeichnen?
Da möchte ich zwei Dinge erwähnen. Zum einen haben wir viel zu viele Projekte beziehungsweise viel zu viele Projektideen aus dem Business, und der Workload ist in den meisten meiner Teams sehr hoch. In diesem Zusammenhang steht auch die zweite Herausforderung, die ein weiterer Grund dafür ist, warum ich mich für den Award beworben habe: die Besetzung aller offenen Stellen. Ich habe zwar unsere hervorragende HR-Abteilung erwähnt, nichtsdestotrotz schaffe ich es nie, alle Stellen mit den richtigen Leuten besetzt zu haben. Diese Herausforderung wird nicht kleiner, weil wir 2017 noch einige Stellen mehr in der IT schaffen wollen. Zu vermitteln, dass es in der Amag-IT tolle Projekte und coole Jobs gibt, bleibt ein der grossen Herausforderungen.


In welchen Bereichen suchen Sie denn Leute?
Unter anderem suchen wir Java-Entwickler sowie BI-Spezialisten mit Know-how in den Bereichen Data Warehouse oder Analytics. (mw)


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