CMS und Breitband Top, UMTS und MMS Flop

Grosse InfoWeek-Umfrage: Die Referenten der Internet Expo äussern sich zu Technologie- und Businesstrends 2003.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2003/02

     

Es ist schon Tradition: Anlässlich der Internet Expo präsentieren in Zürich nicht nur mehrere hundert Aussteller ihr Angebot, es treten auch Dutzende hochkarätiger Branchenkenner als Seminar-Referenten der iEX-Konferenz auf. Ein ideales Expertensubstrat für eine Umfrage zur "Lage der Internet-Nation" - hier die Resultate.


Zwei Mega-Flops im Telco-Umfeld

Praktisch alle Umfrageteilnehmer gingen in einem Punkt unisono: UMTS, von den Telcos vor einigen Jahren mit sündteuren Lizenzkäufen aufgegleist, wird auch 2003 nicht in die Hufe kommen, und dies, obwohl 3G-Mobilfunknetze im Fernen Osten gemäss Pidas-Chef Tom Buser eine äusserst erfolgreiche Realität sind.



Das Spektrum der Beurteilungen dieser Wireless-Breitbandtechnologie reicht von "Kommt auch 2003 nicht" bis zur Antwort von Raphael Seiler, CEO Screenlight: "UMTS ist finanziell in jedem Fall noch für Jahre ein vorprogrammierter Flop." Noch deutlicher formuliert es Green-Geschäftsführer Guido Honegger: "Der Mega-Flop des Jahres - abschreiben und vorwärts schauen!" Die Gründe für die mangelhaften Aussichten vermutet Urs Walde, Leiter E-Business bei der Aargauischen Kantonalbank, in fehlenden praxistauglichen Endgeräten, während Ronnie Brunner von Netcetera moniert, es gebe einfach noch keine nutzbringende Anwendung, für die der Anwender den vermutlichen Preis der kommenden UMTS-Angebote zu zahlen bereit sei.




Ähnlich schlecht kommt MMS weg. Einige Stimmen, die ins gleiche Horn blasen: Urs Walde meint schlicht, das Pricing sei zu teuer. Andreas Göldi, CEO und Partner bei Namics, differenziert: "MMS wird zunächst nicht so gross wie angenommen, weil Businessanwendungen für die zahlungskräftigen Geschäftskunden fehlen. Und für den Privatmarkt ist das Ganze vorerst noch zu teuer". Und der Managing Director von Metadesign, Alexander Haldemann, führt an: "Die Anbieter haben sich beim Pricing verrechnet, und ausserdem sind wir nicht in Japan." Darauf spielt wohl auch Guido Honegger an, wenn er anmerkt, MMS sei "hype und hippig, aber nicht effizient - es bleibt eine Spielerei".




Gute Aussichten fürs mobile Internet

Trotz schlechten Prognosen bei den neuen Mobiltechnologien sehen verschiedene Experten steigende Chancen für das mobile Internet im allgemeinen und den E-Commerce per Handy im besonderen. Andreas Göldi: "Das mobile Internet reift langsam, aber beständig: Obwohl die hochgesteckten Erwartungen an WAP, GPRS, UMTS usw. nicht erfüllt wurden, kommt das mobile Internet mit Gewissheit. Neue Ansätze wie WLAN, Tablet PC oder die neuste Generation der Smartphones zeigen, dass man aus den vergangenen Fehlern gelernt hat. Wenn sich Einfachheit und Kosteneffizienz weiter steigern, wird mobiler Interneteinsatz sehr bald zu einer Selbstverständlichkeit."



Ähnlich sieht es Rafael Azzati von Search.ch: "Der Zugriff von unterwegs über Handy und PDAs wird 2003 zum Thema, geschäftlich und privat. Immer mehr Anwendungen machen diese Dienste zum Muss. Dabei gebe ich persönlich dem PDA oder Tablet PC grössere Chancen. Das Notebook ist out." Azzati meint ausserdem, auch der private E-Commerce - ob von zuhause oder per Mobilgerät - nehme inskünftig zu: "Ganz klar kaufen immer mehr Personen für immer grössere Beträge im Netz ein. Viele Shops haben punkto Usability grosse Fortschritte gemacht. Wichtig ist, dass der Informations- und Bestellprozess innerhalb von 20 Minuten abgeschlossen werden kann." Alexander Haldemann betont, dabei "muss dem Konsumenten ein emotionales Erlebnis geboten werden" - Web- und Mobile-Technologien müssten "weg von der Sichtweise, alles technisch Mögliche zu realisieren".





Das Band wird breiter

Auch die stationäre Internetnutzung wird 2003 breitere Bahnen befahren. Bei Green ist laut Guido Honegger "Breitband seit November 2002 der absolute Renner; ich erwarte den klaren Durchbruch in diesem Jahr". Es liegt auf der Hand, dass die Popularität des Breitband-Access auch für multimedia-orientierte Web-Dienstleister wie Nextage ein massgeblicher Erfolgsfaktor ist. Nextage-Geschäftsführer Marco Eggenschwiler dazu: "Wir hoffen, dass sich höhere Bandbreiten schneller verbreiten, da man sich dann auf Websites mehr erlauben kann - zum Beispiel Video-Streaming oder ähnliches." Allerdings darf dies nicht zum Selbstzweck werden, betont Raphael Seiler. Er meint generell, Multimedia "mit allem drin ist drauf und dran, auch im Internet zu funktionieren. Nicht nur als Flash-Verzierung, sondern als benutzerfreundliches Frontend für Web-Applikationen und Web-Promotion."





Content Management auf breiter Front

Bei der Multiple-Choice-Frage nach den fünf wichtigsten Technologietrends nannten weit über die Hälfte der Antwortenden Content Management. Einerseits wächst der Bedarf nach effizienter Pflege von Websites, auf der anderen Seite werden die CMS-Lösungen selbst immer preiswerter: "Die Technologien sind günstiger geworden. Jetzt sollten auch KMU und Institutionen mit entsprechenden Bedürfnissen einsteigen - günstiger wird es für lange Zeit nicht mehr", meint Raphael Seiler. Aber auch das beste CMS muss intensiv genutzt werden, sonst geht es so, wie Guido Honegger düster voraussieht: "Websites bleiben öd und leer, da die KMU auch dieses Jahr kaum in Erneuerungen investieren."



Andreas Göldi sieht neben kostengünstigeren auch kunden- und branchenspezifische CMS-Lösungen im Vormarsch: "Content Management splittet sich zu vertikalen Applikationen auf: Das generische Web Content Management entwickelt sich immer mehr hin zu einer Basis für spezifische, geschäftsprozessorientierte Applikationen. Schon heute haben die meisten CMS-Implementierungen, die Namics durchführt, einen stark prozessunterstützenden Charakter mit einem hohen Anteil an kundenspezifischer Entwicklung. Trends wie Marketing Resource Management (MRM) oder Cross Media Publishing dürften sich weiter verstärken."




Für Alexander Haldemann stehen aufgrund der CMS-Ausbreitung auch die Schweizer Anbieter unter einem guten Stern: "Für 2003 wünsche ich dem Basler CMS-Gewerbe mit Obtree und Day den Durchbruch. Die Zeichen stehen gut, und es würde dem Schweizer IT-Markt sehr gut bekommen."




Business Intelligence & Co.

Zu den Buzzwords der letzten Jahre gehören neben CRM und CMS auch Business Intelligence, Data Mining und OLAP. Werden diese Technologien, die in Grossunternehmen fast schon gang und gäbe sind, 2003 auch im KMU Einzug halten? Die Experten sind geteilter Meinung. Für Honegger ist hier kein vernünftiges Kosten/Nutzenverhältnis gegeben, "ein KMU wird hier kaum investieren", und Pixelpark-CEO Jürg Dangel meint lapidar: "Bei Kleinen bringt das wenig." Raphael Seiler meint, "aus technischer Sicht macht immer alles Sinn. Aber die meisten KMU sind gar nicht in der Lage, aus den gewonnenen oder gesparten Informationen Profit zu schlagen. Im Zweifel: Finger weg von unternehmenskritischen IT-Abenteuern!"



Dies sieht Tom Buser von Pidas anders. Zwar ist auch für ihn Data Mining für kleine Unternehmen "wohl zu teuer", aber "mit Basel II wird auch Business Intelligence für viele KMU relevant: Durch gute Unterlagen zur wirtschaftlichen Situation können Kleinunternehmen die Kapitalbeschaffungskosten senken." Für Andreas Göldi müssen es zudem gar nicht immer die bekannten, teuren BI-Lösungen sein: "Man darf nicht die Ziele hinter den Buzzwords vergessen und muss sich überlegen, wie man einen Nutzen möglichst pragmatisch erreichen kann. Oft zeigen gerade kleinere Unternehmen bei der Integration ihrer Systeme erstaunliche Kreativität. Eine Konzentration aufs Wesentliche und Mut zu unkonventionellen Lösungen bringen da viel mehr als enorm teure Tools und jahrelange IT-Projekte. Aber man darf derzeit noch nicht erwarten, dass man solche Themen mit einfachen und billigen Standardprodukten angehen kann."





EAI: Hype oder echte Chance?

Bei der Durchsicht der iEX-Ausstellerauftritte fällt ein relativ neues Generalthema auf: Enterprise Application Integration, kurz EAI. Damit ist die möglichst reibungslose Integration verschiedener geschäftsrelevanter intern und extern genutzter Anwendungen - vom Web-Shop über die ERP-Systeme und Host-Datenbanken bis zum Kundensupportcenter - unter einem Internet-basierten Dach gemeint. Kurz: EAI ist Systemintegration per Web-Technologie. Verschiedene Hersteller bieten dazu umfangreiche Softwarelösungen an. Bringt EAI in dieser Form etwas, oder handelt es sich einfach um den neuesten Hype?



Einen Grund für die Notwendigkeit von EAI sieht Tom Buser im zunehmend prozessorientierten Geschäftsgebaren: "Viele Unternehmen wandeln sich heute: Die funktionsorientierten Strukturen mit voneinander abgeschotteten Abteilungen werden aufgegeben zugunsten von durchgängigen Geschäftsprozessen. Diese müssen durch Informatiksysteme unterstützt werden. Die durchgängige Abbildung von ganzen Geschäftsprozessen in der IT ist nur möglich, wenn die verschiedenen Anwendungen durch EAI verbunden werden. Deshalb nimmt die Bedeutung von EAI stark zu." Auch der Webmaster der Aargauischen Kantonalbank sieht EAI als "zwingenden nächsten Schritt für richtiges E-Business", und für Ronnie Brunner sind Integration und Konsolidierung die Schlagworte des neuen Jahres: "Projekte haben in Zukunft nur eine Chance, wenn sie firmeninterne Prozesse vereinfachen und automatisieren. Nach einer Phase von wilden Investitionen gilt es jetzt, über die Bücher zu gehen und die IT für eine nächste Investitionsphase vorzubereiten. Dies spricht für Projekte mit Konsolidierungs- und Harmonisierungscharakter." Brunner wirft jedoch ein skeptisches Auge auf die angepriesenen EAI-Patentlösungen: "Ich sehe EAI als echte Chance, allerdings wird sich das vor allem in spezifischen Lösungen für einzelne Fälle äussern. Der Anspruch, die funktionierende Lösung für jedes Business zu haben, ist nicht seriös." Auch für Christof Zogg wird "EAI wie alle neuen Konzepte zu laut und unspezifisch angepriesen. Insgesamt bin ich jedoch überzeugt, dass die Web-Technologien völlig neue und vor allem kostengünstigere Möglichkeiten zur Systemintegration mit sich bringen."





Arbeitsmarkt und Geschäftschancen

"Webdesign: down, Consulting: mega-down, Security: up, Breitband: mega-up" - so die Internet-Marktprognose 2003 von Green-CEO Honegger. Ganz allgemein scheinen die Aussichten auf dem Internet-Arbeitsmarkt wenig rosig, so Screenlight-CEO Seiler: "Seit Anfang Jahr schwimmen wir in einer Flut von Bewerbungen. Da sind immer noch zu viele Leute unterwegs." Auch Celeris-CEO Altorfer geht "mit einem negativen Outlook ins 2003. Ich gehe davon aus, dass nochmals eine Entlassungswelle auf uns zukommt" - das Beispiel Swisscom zeigte dies bereits Anfang Januar. Interessanterweise wurde Swisscom dennoch mehrfach als Unternehmen mit den besten Aussichten fürs laufende Jahr genannt.



Am miesesten stehen die Beschäftigungsaussichten für reine Webdesigner, die sich als Quereinsteiger aus anderen Branchen versuchen. Urs Walde stellt eine "Übersättigung mit schlecht qualifizierten Quereinsteigern" fest; Ronnie Brunner sieht "Berufe im Bereich Web-Publishing auf der problematischeren Seite: Sehr viele Quereinsteiger sind ohne wirkliches Know-how in dieses Gebiet eingestiegen - weder mit gestalterischem noch mit technischem Background."




Für Haldemann hingegen ist das Tief überwunden. "Der Markt wird sich langsam erholen. Alle Unternehmen, die ihren Kunden langfristige Beziehungen mit guten Services anbieten, werden das Geschäft schrittweise ausbauen können."



Seriosität ist also wieder Trumpf; dies betonen mehrere der antwortenden Umfrageteilnehmer. Wichtig ist vor allem ein wirklich kundenorientiertes Geschäftsgebaren - sowohl bei den Internet-Dienstleistern selbst als auch bei den Betreibern der implementierten Lösungen. Tom Buser von Pidas stellt deshalb echtes CRM in den Vordergrund und sieht auf diesem Gebiet sehr reale Business-Chancen: "Bei Unternehmensportalen denken wir insbesondere an Kundenportale, wo sich Kunden im Self-Service-Verfahren Informationen sowie Produkte und Dienstleistungen holen können. Wir glauben, dass Unternehmen erfolgreich sein werden, die sich nicht an technischen Themen, sondern an Business-Themen orientieren.



Entscheidend für den Kunden ist nicht, dass er ein Customer-Interaction-Center über VoIP erreichen kann, sondern dass der Mitarbeiter am andern Ende das Problem löst."




Die wichtigsten Internet-Themen 2003

Unsere Frage an die iEX-Referenten: Welche fünf Internet-Themen stehen für Sie 2003 im Vordergrund? Die Resultate - angegeben ist jeweils der Prozentsatz der Antwortenden, die ein Thema als Top-5 genannt haben.




•Content Management: 58%



•Breitband: 44%



•Unternehmensportale/Intranet: 41%



•Web-Services: 33%



•E-Payment-Lösungen: 31%



•CRM: 26%



•Mobiler Internetzugriff (Consumer-Bereich): 25%



•E-Commerce/E-Shopping: 24%



•Datenbank/Middleware: 23%



•Cross-Media-Publishing: 21%




Jeweils 16 Prozent der Antwortenden führten Public WLAN/Hotspots, Security/Hacker-Abwehr, XML/Datenaustausch, Audio/Videostreaming, Online-Werbung/Web-Promotion und Application Service Providing in ihrer Top-5-Liste auf.



Authentifizierungstechnologien und Linux/Open-Source-Software schlugen mit 8 Prozent zu Buche. Gar kein Thema waren PKI, Supply Chain Management, VoIP, mobiler Internetzugriff im Business-Bereich, Messaging/Groupware und IPv6. Interessant: Buzzwords und allgemein als "heisse Themen" gehandelte und dementsprechend an der Ausstellung stark vertretene Bereiche wie Security und XML finden bei den angefragten Experten wenig Beachtung.




Interview mit Jürg Dangel, CEO, Pixelpark Schweiz

Die Zeiten sind für Internet-Dienstleister härter als auch schon. Dies hat auch die seit den Anfangsjahren des Internet-Booms aktive Firma Pixelpark schmerzlich zu spüren bekommen. Dennoch nimmt Pixelpark Schweiz wieder an der iEX teil. Wir haben den Schweizer Geschäftsführer Jürg Dangel zum iEX-Auftritt befragt.



Herr Dangel, von Pixelpark vernahm man im vergangenen Jahr verschiedene wenig erfreuliche Nachrichten. Wie steht es um die Firma, wie lange werden Sie durchhalten?


Dangel: Die paneuropäische Vision des Internet-Dienstleistungsanbieters hat sich nicht realisieren lassen. Dafür bestand aber auch nie eine Notwendigkeit. Pixelpark Schweiz hat seine Kapazitäten der Nachfrage angepasst, ist aber liquide und für die Zukunft gerüstet.



Was sind Ihre besonderen Stärken?

Wir bieten sowohl Marketing-Kommunikation als auch IT-Dienstleistungen: Das Information Design befasst sich mit der Konzeption bedürfnisorientierter Kommunikation, um die Identität und Kundenbindung von Unternehmen zu verstärken. Unter dem Stichwort Visual Design erstellen wir visuelle Gestaltungen für benutzerfreundliche Kommunikationslösungen; im System Design bieten wir IT-Dienstleistungen wie Systemintegration.



Welche Dienstleistungen bietet Pixelpark nicht an, wo verlassen Sie sich auf Partner?

Pixelpark ist keine klassische Softwareentwicklerin, greift also dafür auf ein internationales Netzwerk von Partnern zurück. Wir bieten ebenfalls keine Housing/Hosting-Dienstleistungen an.



Sie nehmen, im Gegensatz zur letztjährigen Orbit, an der iEX 03 teil. Welche Bedeutung haben für Sie die beiden IT-Messen, und wieso geben Sie der iEX den Vorzug?

Im Gegensatz zur Orbit richtet sich die iEX spezifisch an eine Zielgruppe, die sich ausschliesslich für Internet-Dienstleistungen interessiert. Das ist für uns als Lösungsanbieter interessanter. Zudem ist die iEX ein Forum, bei dem sich unsere Kunden und Interessenten sowie bestehende und potentielle Partner in angenehmer Atmosphäre treffen können.



Wo liegen Ihre iEX-Schwerpunkte für dieses Jahr?

Wir werden unter anderem Themen wie Emotionalized Web, Customer Care und integrierte Kommunikation präsentieren. Optisch bleiben wir bei unserem letztjährigen, bewährten Standkonzept.



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