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Editorial

KI-Browser: Move fast, break things

Vor einigen Jahren merkte ein Bekannter beiläufig an, dass er alle Telefongespräche auf seinem Smartphone aufzeichnet.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2025/11

     

Seine Logik: «Wenn jemand am Telefon etwas behauptet, kann man ihn dann beim Wort nehmen und das im Nachhinein auch beweisen.»

Ob das ein erstrebenswertes Verhältnis zu seinen Nächsten ist, sei mal dahingestellt. In diesem Moment wichtiger: Solange er sein Gegenüber nicht klar und deutlich über die Aufnahme informiert, ist das schlicht verboten.

Erschwerend kam hinzu, dass er eine kostenlose Call-Recorder-App aus dem Play Store nutzte. Viele Infos zu deren Hersteller gabs nicht, das Kleingedruckte hat selbstverständlich auch niemand gelesen.

Seine Gewohnheit war also eine absolute Datenschutzkatastrophe. Dem Kollegen war das alles nicht im Geringsten bewusst, er tat meine Position als übertrieben ab.
Dass ich diese Geschichte 2025 nochmal hervorkramen muss, ist traurig. Aber offenbar leider notwendig. Der Grund: Die gefühlt im Wochen­takt erscheinenden KI-Browser. Mit ihnen soll sich unser Surfverhalten komplett revolutionieren. Statt mit der klobigen Oberfläche des WWW sollen wir uns nur noch mit dem Chatbot unterhalten, der das Surfen und Klicken für uns übernimmt. Die KI soll Angebote finden, zusammenstellen und buchen, Mails lesen und darauf antworten, gar ganze Prozesse auf Kommando übernehmen.

Das Problem ist dabei, dass (wie so oft bei Tech- und speziell KI-Neuheiten) der Nutzen breitspurig präsentiert und dabei Risiken fahrlässig ignoriert werden. «Move fast and break things», wie einst Meta und heute begeisterte Tech-Enthusiasten gerne herumposaunen.

Viele Nutzer wissen dabei nicht, welchen Gefahren sie sich bei der Nutzung aussetzen. Und, wie mein Bekannter, erst recht nicht, dass sie ihr Umfeld mit reinziehen.
Hierzu drei Gedanken. Erstens: Künstliche Intelligenz ist nach wie vor mehr künstlich als intelligent. Die Maschine errechnet schlicht Wahrscheinlichkeiten und ist dabei auch öfters mal strohdumm. Ihr wichtige Prozesse anzuvertrauen, ist in meinen Augen zwischen unbedacht und grob fahrlässig.

Zweitens: Im Fall der Browser-Nutzung sprechen wir auch von persönlichen Informationen wie Finanzen (E-Banking, Steuererklärung) und von vertraulicher Kommunikation mit anderen (Webmail, Messenger, Social Media). Und spätestens wenn die KI Zugang zum Webmail bekommt, sind dann eben auch alle unsere Kontakte betroffen. Denn natürlich muss die KI mitlesen, um nützlich zu sein.


Drittens: Die beiseite geschobenen Risiken rund um die KI-Browser sind weitgehend unerforscht. Browser-Anbieter Brave hat etwa unlängst Untersuchungen angestellt und schockierend einfache Wege gefunden, die (einmal mehr strohdummen) KI-Browser zu überlisten. Googeln Sie mal «Brave Comet» – es ist erschreckend.

Was machen wir nun damit? Ich rate dringlichst, sich bei der Nutzung von KI-Browsern bewusst zu machen, was man gerade tut, mit wem man gegebenenfalls Daten teilt und die Nutzung entsprechend einzuschränken. Aber vor allem muss man wissen, dass man mit seinem Verhalten potenziell andere in Mitleidenschaft zieht. So wie es mein alter Bekannter mit seiner völlig hirnrissigen Idee von Call-Recordings damals riskierte.

Aktuell werden unfassbare Mittel ins KI-Rennen gepumpt. Die KI-Vorprescher blenden dabei vorsätzlich aus, dass bei «move fast and break things» eben auch Dinge kaputtgehen können. Wichtig scheint mir, dass wir das als Nutzer nicht ausblenden.
Matthias Wintsch, Redaktor
mwintsch@swissitmedia.ch


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