Post and Pray», also eine Stelle ausschreiben und abwarten, dieses Vorgehen funktioniert immer seltener. Denn gesuchte Fachkräfte sind meist nicht aktiv auf Jobsuche. Die Unternehmen müssen deshalb im Umkehrschluss gezielt Netzwerke nutzen, auf Plattformen wie Github oder Stack Overflow präsent sein und schon früh an Hochschulen oder Coding-Schools Kontakte knüpfen. Dort zählt weniger der Lebenslauf als vielmehr das konkrete Können, etwa durch öffentlich einsehbare Code-Beiträge oder die Beteiligung an Open-Source-Projekten. Wer als Unternehmen hier aktiv ist, signalisiert Nähe zur Entwicklerkultur.
Gerade Veranstaltungen wie Hackathons oder Meetups bieten Chancen, mit IT-Experten in Kontakt zu treten. Entscheidend ist dabei: Wer sichtbar sein will, muss seine Zielgruppe verstehen und gezielt ansprechen.
Gerade Künstliche Intelligenz (KI) wird den Rekrutierungsprozess grundlegend prägen. Machine Learning hilft, Bewerbungen effizient zu analysieren. Chatbots begleiten Kandidaten durch den Bewerbungsprozess, beantworten Fragen in Echtzeit und bieten rund um die Uhr Informationen zum Stand der Bewerbung. Das beschleunigt nicht nur Abläufe, sondern verbessert auch die Candidate Experience und entlastet obendrein die HR-Abteilungen im eigenen Haus. Gerade diese Erfahrung ist besonders wichtig, denn sie prägt das Bild vom Unternehmen, das jeder Bewerber sieht – unabhängig davon, ob er den Job später bekommt oder nicht.
Auch neue Interviewformate wie asynchrone Videointerviews bieten Vorteile. Sie ermöglichen zeitversetzte Antworten auf definierte Fragen und schaffen Flexibilität für beide Seiten. Ideal für vielbeschäftigte IT-Profis und ein Pluspunkt im globalen Wettbewerb.
Mit dem Einsatz von KI steigt jedoch auch die Verantwortung: Unternehmen müssen datenschutzkonform handeln und transparent aufzeigen, wie Bewerbungen verarbeitet werden. Offene Kommunikation schafft Vertrauen, ein weiterer wichtiger Faktor in einem umkämpften Arbeitnehmermarkt.
Modernes Recruiting ist klar in den Abläufen, schnell in der Rückmeldung und persönlich in der Ansprache. Studien zeigen, dass Talente abspringen, wenn sie länger als zwei Wochen auf eine Rückmeldung warten. Schnelligkeit im Prozess ist nicht nur ein Zeichen von Professionalität, sondern oft entscheidend im Wettbewerb um die besten Köpfe.
Dazu sorgen standardisierte Kriterien für Fairness im Bewerbungsprozess. Selbst wenn Unternehmen und Bewerber nicht zusammenkommen, sollte die Absage individuell und respektvoll sein. Denn die Fachkraft von heute ist womöglich der Kollege von morgen.
Wer heute eine belastbare Belegschaft aufbauen will, kann nicht nur Stellen besetzen, er muss Beziehungen zu Bewerbern aufbauen. Die Personalstrategie rückt also immer näher an die Unternehmensstrategie heran.
Dabei liegt die Verantwortung auch bei den Unternehmen. Viele Arbeitnehmer schätzen, dass sie gezielt Auszeiten einbauen können und nur für einen bestimmten Teil des Jahres arbeiten. Diese neuen Wege können Unternehmen ebenso beschreiten, indem sie auf Temporärarbeit setzen oder Projektlösungen in Betracht ziehen. Solche flexiblen Modelle erlauben es, schneller auf Projektbedarfe zu reagieren und gleichzeitig Talenten die gewünschte Autonomie zu bieten.
Recruiting ist damit längst nicht mehr nur eine HR-Aufgabe. Es ist ein zentraler Erfolgsfaktor moderner Unternehmensführung.
Guido Sieber ist Managing Director und Senior Regional Director bei Robert Half. Er hat mehrere auf IT spezialisierte Personalberatungen als CEO aufgebaut und geleitet. Der Tech-Experte berät seit Jahren branchenübergreifend Unternehmen zu allen Aspekten der IT und ihrer Digitalisierungsprogramme mit Schwerpunkt Consulting und Personalgewinnung, darunter Weltmarktführer und DAX40-Unternehmen.