Editorial

Google: Big Brother auf allen Kanälen


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/17

     

Das Szenario ist simpel: Zwei Minuten Telefonieren mit dem T-Mobile G1 (oder einem beliebigen anderen Android-Smartphone), dann 15 Sekunden Werbepause. Und dasselbe von vorn. Gezählt wird wie bei der Abrechnung im Sekundentakt. Wer zu früh mit Telefonieren aufhört, beginnt beim nächsten Gespräch eben mit einer Werbung. Diese kommt entweder als Sprachnachricht oder – Display sei Dank – als Videobotschaft. Und sie ist natürlich personalisiert.
Klingt völlig daneben? Tatsächlich. Könnte aber durchaus Realität werden: Erstens wurden Versuche mit werbefinanzierten Handys und Abos in Skandinavien, Grossbritannien und weiteren Ländern bereits erfolgreich durchgeführt. Zweitens kann Google, Suchmaschinen-Gigant und Android-Entwickler, vor allem eins – Werbung verkaufen. Auch wenn die Geräte von verschiedenen Herstellern stammen (das G1 von HTC) und unter unterschiedlichen Brands verkauft werden (als
T-Mobile G1); drauf ist immer ein Google-Betriebssystem, dessen Open-Source-Lizenz kein Geld abwirft. Also muss es irgendwie mit dem Kerngeschäft verknüpft werden. Zwar beteuerte Google noch in diesem Frühling auf dem Mobile World Congress in Barcelona, dass man es mit Werbung auf dem Handy nicht eilig habe. Zunächst wolle man eine gute Plattform auf den Markt bringen. Aber die ist nun da. Und in der Handywerbung liegt die Zukunft, wie Google selber in Barcelona erklärte.
Passend dazu geben sich denn auch viele Analysten zurückhaltend, wenn sie nach den Marktchancen für das T-Mobile G1 mit Google-Betriebssystem gefragt werden: Forrester etwa geht davon aus, dass sich das Gerät in den ersten drei Monaten weniger als 500’000 Mal verkaufen wird (zum Vergleich: Das iPhone 3G schaffte die Millionengrenze in drei Tagen). Zwar kostet das Google-Handy einen Bruchteil dessen, was für vergleichbare Smartphones berappt werden muss. Aber wie der IDC-Marktforscher Shiv Bakhshi gegenüber Bloomberg erklärte, dürften dem Google-Telefon der Kult und seine Anhänger fehlen. Er bezweifle stark, dass irgendeine Firma ein ähnlich grosses Tamtam wie Apple veranstalten könne.
Wohl vor allem Google nicht. Die Sache hat nämlich noch einen anderen Aspekt: Googles unstillbaren Informationshunger. Schon heute indexiert Google alles, was dem Suchroboter in die Klauen kommt. Mit dem Daten-sammelnden Chrome-Browser ist man gerade intensiv dabei, sich bei Datenschützern und vielen Anwendern unbeliebt zu machen.
Und jetzt ein Smartphone! Das ermöglicht doch ganz neue Möglichkeiten: Surf- und Download-Gewohnheiten, die Indexierung von versandten und empfangenen Mails, von bearbeiteten Dokumenten – nichts neues, aber doch paradiesisch. Und erst die Gespräche! Die bräuchte man ja noch nicht mal im Original mitzuschneiden, einige clever gewählte Schlüsselworte reichen durchaus. Und das Schönste daran: Die eindeutige Identifikation des Users muss Google nicht mal ins Handy schmuggeln, die ist über SIM-Karte und Nummer bereits integriert.
Sicher ein verrücktes Szenario, aber so abwegig möglicherweise doch nicht: So ist etwa eine Synchronisation mit dem Desktop-PC explizit nicht vorgesehen. Wer synchronisieren will, muss dies über Googles Web-Applikationen, Google Mail etc. tun. Getreu dem Google-Credo: Daten gehören ins Netz. Programme auch. Und als «Betriebssystem» reicht ein Browser – egal, ob der nun auf dem Handy oder auf dem PC läuft.




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