Community-Bildung als Sourcing-Basis

Der Finanzplatz Schweiz soll seine Standortvorteile nutzen und selber als Outsourcer auftreten, regt eine Studie der St. Galler IMG an.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/19

     

Die Schweizer Banken sollten nicht die Frage diskutieren, wie viele Arbeitsplätze der Finanzindustrie in den nächsten Jahren verloren gehen können, sondern sich mit den vorhandenen Geschäftsmöglichkeiten auseinandersetzen, die sich durch den derzeit ablaufenden Umbruch ergeben, so die Forderung des St. Galler Beratungsunternehmens The Information Management Group (IMG). IMG sieht ein Potential für heimische Finanzinstitute und Leistungserbringer, künftig selber als Offshore-Anbieter für europäische Banken aufzutreten. Hintergrund des Aufrufs ist eine Studie der IMG zum Sourcing-Markt Schweiz 2004, der die gegenwärtige und zukünftige Sourcing-Situation auf dem Finanzplatz Schweiz analysiert und versucht, mit konkreten Vorschlägen der Weiterentwicklung des Finanzplatzes Schweiz neue Impulse zu geben.






Die IMG-Studie fördert interessante Ergebnisse zu Tage: Zum einen ist in den nächsten zwei bis drei Jahren mit einem über das Ganze gesehen 19-prozentigen Anstieg des Sourcing-Bezuges auf Seiten der Banken zu rechnen. Vor allem im Bereich des in Sachen Skaleneffekten wirkungsvollsten Business Process Outsourcing herrscht ein grosser Nachholbedarf. Zum anderen sind die gegenwärtigen Kooperationen nur bedingt in der Lage, die veränderten Bedürfnisse ihrer Mitglieder abzudecken. Es ist darum laut dem Studienautor Urs Schleuniger mit weiteren, grösseren Veränderungen in der Kooperationslandschaft zu rechnen. Der gegenwärtige Sourcing-Markt Schweiz wird aber als illiquid und darum blockiert erkannt. IMG empfiehlt den Banken und den Anbietern Community-Bildungen, um diese Blockade zu lösen. Das grösste Defizit innerhalb der Finanzinstitute eruiert IMG im Bereich Architekturmanagement, das eine zwingende Voraussetzung für ein effektives Sourcing darstellt.


Gefragtes BPO

Eine Analyse der heutigen Sourcing-Aktivitäten zeigt, dass die Finanzinstitute bisher hauptsächlich die Applikationsentwicklung- und Bereitstellung sowie den Betrieb und die Wartung der Hardware ausgelagert haben. In diesen zwei Bereichen beträgt heute die Fertigungstiefe noch 27 respektive 57 Prozent. Beim dritten getrennt betrachteten Sourcing-Bereich, dem Outsourcing ganzer Geschäftsprozesse errechnet die Studie demgegenüber eine durchschnittliche Fertigungstiefe von 86 Prozent.






Diese Fertigungstiefe dürfte, laut Schleuniger, in den kommenden zwei bis drei Jahren aber teils markant sinken. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich die Banken unter einem steigenden Handlungsdruck befinden, ihre Cost/Income Ratio nachhaltig zu verbessern und sich stärker auf die Kunden zu fokussieren. So planen die Leistungsbezüger, den Fremdanteil in diesem Zeitraum über alle Bereiche gemittelt im Schnitt um 19 Prozent zu steigern, wobei vor allem das Auslagern ganzer Geschäftsprozesse mit 25 Prozent überproportional wachsen soll (siehe Abbildung). Interessanterweise scheint hier vor allem bei Universalbanken ein überdurchschnittliches Bedürfnis zu bestehen, unabhängig, ob sie einer Kooperation angehören oder nicht. Heute kommen erst die Bereiche Research (42%), Asset/Portfolio/Fonds Management (24 %) und der branchenfremde Versicherungsverkauf (70 %) auf Outsourcinganteile von mehr als 20 Prozent. Bei der Abwicklung von Zahlungsverkehrs Wertschriften sowie von Hypotheken und Devisen, die für die meisten Banken Commodity-Prozesse darstellen, die sich ideal fürs Auslagern eignen, liegen die Werte zwischen 8 und 11 Prozent.


Skepsis gegenüber Kooperationen

Die Studie zeichnet für die heutigen Gemeinschaftswerke ein wolkenverhangenes Zukunftsbild. Gemäss der Erhebung sind 45 Prozent der Kooperationsbanken der Ansicht, sie hätten ihre Ziele mit dem bisherigen Partner nicht erreicht. Weitere 22 Prozent sind zumindest teilweise unzufrieden. Und auch in Zukunft erwarten sie von ihren Leistungserbringern nicht allzu viel. Nur ein Drittel glaubt die künftigen Herausforderungen mit dem bisherigen Partner bewältigen zu können. Ein weiteres Drittel glaubt wenigstens teilweise an eine gemeinsame Zukunft, während sich das dritte Drittel dies nicht vorstellen kann.





Ein Teil der Unzufriedenheit dürfte auch mit den nicht erzielten Spareffekten der bisherigen Partnerschaften zusammenhängen. Nur 23 Prozent geben an, mit Outsourcing mehr als 20 Prozent gespart zu haben. 38 Prozent können demgegenüber gar keine Einsparungen feststellen. Für Schleuniger liegen die Gründe in der unzureichenden Markt-Auswahl von bedürfnisgerechten Sourcing-Lösungen sowie in den häufig nicht optimal gewählten Architektur-Schnittstellen. So würden innerhalb von Geschäftsprozessen Schnittstellen zwischen Sourcern und Leistungsempfängern entstehen, die einen unnötig grossen und damit kostspieligen Kontrollapparat auf beiden Seiten zur Folge haben, welcher die Sourcing-Synergien oft wieder neutralisiert.






Es stellt sich die Frage, wie die steigenden Sourcing-Bedürfnisse der Banken, insbesondere die Auslagerung von Geschäftsprozessen, zukünftig abgedeckt werden sollen. Laut Schleuniger wäre der Spirit der Finanzinstitute, wie er in früheren Jahren etwa zur Börse SWX oder zum Swiss Interbank Clearing geführt und die Infrastrukturkosten für den Finanzplatz Schweiz massgeblich gesenkt hat, ideal, aber in der Realität wohl kaum mehr im selben Mass zu erreichen. Er sieht in Zukunft eher klar getrennte Beziehung zwischen Leistungserbringern und Leistungsbezügern. Dass dies heute sinnvoll ist, zeigen auch die Aussagen der Kooperationsbanken zur Beteiligungsform in ihren Gemeinschaftswerken. 85 Prozent sehen ihr Stimmrecht nicht proportional zu ihrer Beteiligung, und 77 Prozent finden, die Partner seien heute nicht gleichberechtigt. Dies deutet auf ein erhebliches Frustrationspotential, dass im Falle einer klaren Rollenteilung nicht aufkommen kann.




Sourcing-Bedürfnisse der Schweizer Banken


Communities gegen Blockade

Die kommerziellen Anbieter können aber auch nicht so einfach in die Lücke springen, denn der Schweizer Sourcing-Markt ist gemäss IMG illiquid und blockiert. Der Grund dafür liegt im ungenügenden Angebot auf der einen Seite, das die Banken veranlasst, ihre Sourcing-Bedürfnisse zu verschieben und keine entsprechenden Investitionen zu tätigen. Damit fehlt aber auf der anderen Seite den Leistungserbringern das Geld, um die gewünschten, massgeschneiderten und qualitativ hochstehenden Dienste überhaupt zu entwickeln. Um diese Blockade zu beheben hat die IMG ein Community-Bildungsmodell entwickelt, bei dem ein Mediator den Leistungsbezügern, aber auch den Leistungserbringern hilft, sich in möglichst effizienten Zweck-Gemeinschaften zu finden. Die Leistungsbezüger sollen dabei mit Hilfe eines Community-Managers in Panels ihre Bedürfnisse formulieren und sich dann gezielt und bedürfnisgerecht gruppieren.






Auf der anderen Seite rät IMG aber auch den Leistungserbringern, sich zu organisieren. Sie sollten sich einzeln erst einmal klar darüber werden, ob sie als Integrations- oder als Modulprovider auftreten wollen. Die Integrationsprovider schnüren dann aus den spezialisierten Modulen Geschäftsprozess-Pakete für die Leistungsbezüger-Zweckgemeinschaften. So könnte effizient ein vitaler Sourcing-Lebensraum Schweiz geschaffen werden, der auch das Potential hätte, andere europäische Banken mit seinen Dienstleistungen zu bedienen.


Standardisierung und Architekturmanagement

Damit der Finanzplatz Schweiz aber zum Sourcing-Provider avancieren kann, müssen noch weitere Bedingungen erfüllt sein. Zum einen müssen für die einzelnen Prozesse landesweit gültige Standards etabliert werden. Dies ist praktisch nur mit einer übergeordneten, unabhängigen Instanz möglich, die von allen massgeblichen Mitspielern getragen wird. Zum anderen müssen die Banken ihre Defizite im Architekturmanagement beheben, denn ein solches ist Voraussetzung für ein erfolgreiches Prozess-Outsourcing und zentral für das Führen des Sourcing-Netzwerkes. Die Studie suggeriert, dass hier aber erst einmal das interne Bewusstsein erhöht werden muss. Die Banken selber beurteilen sich nämlich in Sachen Architekturmanagement wesentlich besser als dies ihre Leistungserbringer von aussen tun. Während 63 Prozent der Banken glauben, genügend Architektur-Know-how im Haus zu haben, billigen die Sourcer dies nur 20 Prozent zu.


Die Studie

Für die Studie hat IMG 44 Institute, davon 28 Banken, darunter die drei Grossen UBS, CS und ZKB sowie diverse Kantonal-, Regional- und Privatbanken sowie Schweizer Niederlassungen von ausländischen Instituten, 5 Kooperationen und 11 reine Sourcing-Provider befragt. Da gewisse Banken heute auch als Leistungserbringer auftreten und Kooperationen zum Teil auch Leistungsbezüger sind, ergaben sich 52 Datensätze (29 Leistungsbezüger und 23 Leistungserbringer). Die Daten wurden anhand von persönlichen Interviews auf C-Level mit Hilfe eines strukturierten Fragenkatalogs erhoben. Die gesamte Studie kann unter www.img.ch für 750 Franken bestellt werden.




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