«Open Source ist auch eine philosophische Frage»
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/14
Für Microsoft ist der Wechsel zu Vista (ehemals Longhorn) mit dem Umstieg auf 32-Bit-Technologie mit Windows 95 vergleichbar. Weniger dramatisch kommuniziert der Softwareriese demgegenüber seit einiger Zeit sein Verhältnis zu Open Source. Und auch für die Kartellwächter bringt Phillipe Dumont, General Manager EMEA von Microsoft, erstaunlich viel Verständnis auf, wie das Exklusiv-Interview mit InfoWeek zeigt.
InfoWeek: Viele Microsoft-Verantwortliche vergleichen den kommenden Vista-Release mit dem Release von Windows 95. Hält dieser Vergleich wirklich stand?
Wer wird denn zuerst auf Vista migrieren, die Consumer oder die Business-Anwender?
Wir hoffen natürlich, dass beide möglichst schnell den Schritt machen werden. Die Consumer werden wahrscheinlich von der User-Experience fasziniert sein. Die Geschäftsanwender werden vor allem die Integration mit Office 12 sowie die Back-end-Infrastruktur oder die Art und Weise, wie auf die zugrundeliegenden Daten zugegriffen werden kann, schätzen. Ihnen werden wir auch mit der Infrastructure Optimization Initiative zur Seite stehen, um den Wechsel problemlos zu bewältigen. Diese sieht vor, dass unsere Consultants und Partner den Unternehmen helfen, das Deployment
wie auch die Sicherheit der Infrastruktur zu gewährleisten. Die Initiative hat das Ziel, den Wechsel auf Vista wirklich einfach zu gestalten. Wir gehen somit davon aus, dass Consumer wie auch Enter-
prise-Kunden mit dem Wechsel nicht allzu lange zuwarten werden.
Zum Release-Zeitpunkt werden wir bereits über 250 mittlere und
grosse Unternehmenskunden haben, die in die Vista-Welt gewechselt haben.
Werden die Unternehmen auf Vista migrieren, wenn sie neue PCs anschaffen, oder macht es auch Sinn, das neue OS auf bestehende Clients zu überspielen?
Letzteres macht sicher Sinn, doch wird man kaum in der Lage sein, 100 Prozent der bestehenden Rechner auf Vista zu migrieren. Wie schon bei Windows XP werden Client-Rechner im Unternehmen mit vorinstalliertem Vista in Betrieb genommen. Da Vista auf Windows XP aufbaut, wird aber auch der Betrieb von gemischten Umgebungen möglich sein. Zwar schrecken viele Unternehmen vor solchen Umgebungen zurück, doch werden wir es auch mit den Erweiterungen für Windows XP sicherstellen, dass Applikationen auf beiden Betriebssystemen problemlos laufen werden.
Wir verfügen über recht viel Informationen über Vista, während über Office 12 eher wenig bekannt ist. Verfügt Office 12 über keine Killer-Features?
Grundsätzlich halten wir uns sowohl bei Vista wie auch bei Office 12 bedeckt, was die Veröffentlichung von Informationen betrifft. Zwar sprechen wir mit unseren Schlüsselkunden im Unternehmensbereich wie auch mit unseren Partnern, doch eigentlich wollen wir bis Septem-
ber oder Oktober 2006 nichts
verlauten lassen. Es trifft zwar zu, dass wir gerade im Fall von Vista einige Ankündigungen gemacht haben, doch gibt es bei beiden Produkten noch viel zu tun,
weshalb wir erst im nächsten
Jahr mit mehr Details aufwarten werden.
Wird Office 12 von den Vista-Features Gebrauch machen?
Office 12 wird sich zwar auch auf Windows XP einsetzen lassen, doch wird die Büro-Suite sicherlich verschiedene der kommenden Vista-Features nutzen.
Somit wird man beim Einsatz von Office 12 auf Windows XP nicht alle Funktionen nutzen können?
Sie werden sicherlich nicht in den Genuss der gleichen User-Experience kommen.
Ein anderes Thema: die Anti-Trust-Untersuchungen. Die Europäische Kommission droht mit neuen Sanktionen und Bussen.
Wo genau liegt das Problem?
Ich denke, wir haben hier die grössten Hürden bereits genommen. Wir haben in den vergangenen Monaten intensive Gespräche geführt, um den Wünschen der Kommission nachzukommen. Es zeigt sich aber, dass der Teufel oft im Detail liegt. Sie verlangten ein Windows ohne Media Player. Diesem Wunsch sind wir nachgekommen. Dann kamen die Diskussionen um den Namen dieser Windows-Version. Weiter die Fragen zur Offenlegung von Protokollen, was inzwischen ebenfalls geklärt ist. Wir haben jetzt unsere abschliessenden Vorschläge eingereicht, die zur Zeit geprüft werden. Ende Sommer erwarten wir die definitive Beurteilung. Wir denken, dass wir hier einen guten Job gemacht haben, und gehen davon aus, dass die Kommission zufrieden sein wird und die Angelegenheit ad acta legen wird.
Wer soll denn ein solches Windows XP ohne Media Player kaufen?
Das ist eine gute Frage, die Sie allerdings eher der Europäischen Kommission stellen müssten. Wir denken, dass der Kundennutzen bei dieser Version nicht sehr gross ist. Wir haben auch Mühe, uns vorzustellen, wer an einem solchen Produkt überhaupt Interesse zeigen könnte. Nichtsdestotrotz setzen wir alles in Bewegung, damit das Produkt grossflächig verfügbar sein wird. Wir schalten auch Werbung dafür, um auf die Verfügbarkeit aufmerksam zu machen. Wir liefern an OEM-Partner wie auch an Retailer. Der Markt muss entscheiden, ob er das Produkt annimmt oder nicht.
Sie gehen also eher von marginalen Verkaufszahlen aus?
Wir machen hier eigentlich keine Prognosen. Wir bringen das Produkt auf den Markt, und der Kunde wird entscheiden, ob er es kaufen will oder nicht.
Wir werden den Eindruck nicht los, dass Microsoft gar nicht daran interessiert ist, diese Windows-Version zu verkaufen.
Ehrlich gesagt, nehmen wir hier eine eher neutrale Haltung ein.
Es fällt schwer zu verstehen, wes-halb sich ein Kunde für dieses Windows entscheiden sollte. Technisch gesehen können Sie ja auch
bei den bestehenden Windows-
Versionen irgendeinen Media
Player einsetzen.
Kann man also davon ausgehen, dass auch von Vista eine entsprechende Ausführung ohne Media Player auf den Markt kommen wird?
Das hängt natürlich auch vom laufenden Berufungsverfahren ab. Gegenwärtig folgen wir den Auflagen und werden von jeder Windows-Version auch eine Variante ohne Media Player anbieten. Sollten wir mit der Berufung aber erfolgreich sein, werden wir darauf verzichten.
In Norwegen wurden kürzlich Vorschläge geäussert, proprietäre Dateiformate wie Word oder Excel aus dem E-Government-Umfeld zu verbannen. Wie reagiert Microsoft, wenn dies in Norwegen und anderen Ländern Realität würde?
Office 12 wird auf einem nativen XML-basierten Format aufbauen.
Sie können bereits in Office 2003 die Informationen im XML-Format speichern, in der nächsten Version wird dieses offene Format dann standardmässig zum Einsatz kommen.
Microsoft verliert nach wie vor Kunden an die Open-Source-Community. München war eines der ersten Beispiele in Europa.
Andere Städte planen ähnliche Schritte. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Hier wird nach wie vor viel Wind gemacht. Der Fall München liegt mittlerweile rund zwei Jahre zurück, wird aber nach wie vor ständig zitiert. Tatsächlich haben wir diverse Kunden, die sich Alternativen anschauen, was sie auch sollten. Wenn sie zum Schluss kommen, dass ihnen die Open-Source-Welt mehr für ihr Geld bietet, als dies bei uns der Fall ist, so steht es ihnen frei, sich dafür zu entscheiden.
Wie es sich zeigt, können wir mit unseren Lösungen aber sowohl im Unternehmensumfeld als auch im E-Government-Sektor überzeugen, gerade auch in der Schweiz. Viele Kunden kommen auch enttäuscht wieder zu uns zurück, nachdem sie gesehen haben, was es mit Open Source auf sich hat.
Beschleunigt das eher magere Wirtschaftswachstum in Europa den Wechsel auf Open Source?
Die Diskussionen um Open Source laufen auf unterschiedlichem Niveau. Wenn man den alleinigen Wert betrachtet, den man für sein Geld erhält, migriert kaum jemand aus diesem Grund.
Der Kostenpunkt ist kein Argument?
Es lässt sich kaum beweisen, dass sich durch den Einsatz von OSS Geld sparen lässt. So wurde auch in München festgestellt, dass sich durch den Wechsel die Kosten nicht minimieren lassen. Einzig in den Emerging Markets, wo die Lohnkosten massiv tiefer sind, hat das Argument Bedeutung. Anders aber in Ländern wie Frankreich oder Deutschland: Hier stellt man sich eher die Frage, weshalb man das Geld an einen monopolistischen amerikanischen Konzern abführen soll.
Also eher eine politische Frage?
Ja, eine politische, aber auch eine philosophische Frage.
Microsoft will eine Antiviren-Software auf den Markt bringen, bereits heute ist ein Anti-Spam-Tool verfügbar. Entwickelt sich Microsoft zum umfassenden Security-Anbieter?
Es stellt sich die Frage, was Sie unter einem umfassenden Security-Anbieter verstehen. Tatsache ist allerdings, dass wir mit Antivirensoftware, Firewall für IIS und Windows sowie einem Antispam-Tool uns definitiv in diese Richtung entwickeln und die wichtigsten Bereiche abdecken. Dafür sprechen auch die verschiedenen Akquisitionen im Security-Umfeld. Das heisst natürlich nicht, dass wir an vorderster Front mit den einschlägigen Anbietern konkurrieren oder diese gar verdrängen wollen. Im Gegenteil, wir sind daran interessiert, mit diesen eng zusammenzuarbeiten, um die Windows-Plattform sicherer zu machen. Mit unseren eigenen Produkten setzen wir die Messlatte für minimale Windows-Sicherheit höher und gehen davon aus, dass die Spezialisten uns noch überbieten werden.
Würde es denn nicht Sinn machen, insbesondere die Antivirenlösungen direkt ins Betriebssystem einzubinden, wie dies bereits mit der Firewall geschehen ist? Wenn Sie ein Auto kaufen, wollen Sie für den Sicherheitsgurt ja auch nicht separat zur Kasse gebeten werden.
Wir haben offiziell bekanntgegeben, dass wir die Antivirensoftware nicht ins Betriebssystem integrieren werden. Der grosse Unterschied bei der Antivirenlösung besteht darin, dass auch bei einer Integration nach wie vor die Abonnierung für die Bibliotheken-Updates ins Spiel kommt. Die Software allein nützt nicht viel. Aus diesem Grund führen wir sie als separates Produkt mit kostenpflichtigen Bibliotheken-Updates.
Bestünde nicht auch die Gefahr von neuen Monopolklagen?
Ein solches Risiko besteht immer. Dennoch machen wir unsere Entscheide nicht davon abhängig, was wir in Windows integrieren und was nicht. Die Firewall ist etwa ein Beispiel oder auch die angekündigten Malware-Features.