Mit Dateien jonglieren wie Tom Cruise
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/09
Als Pamela Barry 2002 den Steven-Spielberg-Film «Minority Report» sah, hatte sie ein Aha-Erlebnis erster Güte. Sie arbeitete damals als Ingenieurin beim US-Rüstungskonzern Raytheon und dachte sofort: Diese freihändige Bildschirmtechnik, wie sie Tom Cruise benutzt, müssen wir entwickeln. Vor allem für militärische Entscheidungsträger, die permanent einer riesigen Informationsflut ausgesetzt sind, sollte eine solch intuitive und flexible Benutzerschnittstelle ideal sein, war Barry überzeugt. Sie machte einen entsprechenden Vorschlag bei der Geschäftsleitung, die sofort handelte und den Wissenschaftler suchte, der hinter der Idee für den Film steckte.
Der war in Gestalt von John Underkoffler bald gefunden. Raytheon machte daraufhin Geld locker und beauftragte den Forscher, der am Media Lab des Massachusetts Institute of Technolgy (MIT) doktoriert hatte, mit der Entwicklung einer «echten» Lösung. Der erste Prototyp liegt jetzt vor und weist verblüffende Ähnlichkeiten mit dem Film-Vorbild auf. Die Technik basiert auf mit Reflektoren bestückten Handschuhen und Infrarotkameras, welche die Handbewegungen erfassen und in entsprechende Befehle umwandeln, die sodann an die Geräte weitergegeben werden, die Dokumente, Pläne, Bilder und Videos auf eine Panorama-Leinwand projizieren.
Kevin Parent, seines Zeichens Raytheon-Berater und ein ehemaliger Studienfreund von Underkoffler am MIT, präsentierte das System kürzlich. Er plazierte sich vor einer Breitleinwand, auf die verschiedene Videos und ein Stadtplan von Los Angeles projiziert wurden. Mit wenigen eingeübten Finger-, Hand- und Armbewegungen konnte er Videosequenzen verlangsamen und beschleunigen, Ausschnitte vergrössern und Szenen aus verschiedenen Blickwinkeln visualisieren. Dabei erblickte er beispielsweise einen Fassadenreinigungskran auf einem Wolkenkratzer, der bei Normalgeschwindigkeit des Videos nicht sichtbar war. Dieser Kran, so Parent, könnte in einem Kriegsszenario ein schweres Artilleriegeschütz sein, das vom Befehlshaber nur mit Hilfe einer solchen Screening-Technik entdeckt werden könnte. Für die Bedienung des Systems hat Underkoffler mittlerweile über 20 Gesten definiert, von denen jede einer mathematischen Formel entspricht.
Wie immer bei Neuentwicklungen durch Rüstungskonzerne wird auch der nicht-militärische Nutzen betont. Schützenhilfe erhält Raytheon in diesem Fall von Stephen Brewster, der an der Universität von Glasgow, Schottland, an Handbewegungs-induzierten Benutzerschnittstellen forscht.