Interview mit Dr. med. Bettina Schlagenhauff

"Mögen die digitalisierenden Geister, die wir riefen, uns wohlgesinnt sein"

Interview: Fridel Rickenbacher

Dr. med. Bettina Schlagenhauff von der Ärztegesellschaft FMH ist ­vorsichtig optimistisch, was den rechtzeitigen und fachlich anwendbaren Abschluss des Gesetzgebungsprozesses beim EPDG angeht. Laut ihr ­liegen die Herausforderungen bei der praktischen organisatorischen Umsetzung in den Praxen und bei den Akteuren der Stammgemeinschaften.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2017/04

     

Wie ist Ihre Einschätzung zum Bundesgesetz EPDG und zu E-Health aus der Sicht der praktizierenden Ärzte / ­Praxen oder der schweizerischen Ärztegesellschaft FMH?
Dr. med. Bettina Schlagenhauff: Der schweizerische Gesundheitsmarkt ist in kontinuierlicher Bewegung und steht nun aber vor echten, gar "disruptiven" Herausforderungen – dies von allen Seiten und Akteuren und Anspruchsgruppen her. Damit der eingeschlagene Weg nicht zu einer Kostenexplosion bei allen Beteiligten führt, braucht es interdisziplinäre Zusammenarbeit und daraus möglichst praktikable, beherrschbare Umsetzungen. Die FMH hat sich von Beginn an intensiv mit dem EPDG auseinandergesetzt und steht weiterhin hinter dem verabschiedeten Gesetz, welches für die Ausführungsbestimmungen einen guten Rahmen setzt. Aus Sicht der FMH kann das EPDG mit dem vorliegenden Ausführungsrecht jedoch nicht praktisch umgesetzt werden. Die wesentlichen Ziele des EPDG, insbesondere die Patientensicherheit und die Unterstützung der Behandlungsprozesse, hat man aus den Augen verloren. Die FMH hat im Rahmen der Stellungnahme zur Vernehmlassung umfassende Rückmeldungen, Vorschläge und konstruktive Anregungen eingereicht.


In welcher Projektphase stehen die betroffenen praktizierenden Ärzte und Praxen in der Schweiz?
Praktizierende Ärzte und Praxen inklusive Prozesse sind schon länger mehr oder weniger (teil)digitalisiert. Laufende Weiterentwicklungen der Software oder auch von Gerätschaften ermöglichen (oder erzwingen) schon länger einen relativ gut vernetzten und integrierten Praxisbetrieb. Solche Potenziale werden derzeit allerdings wahrscheinlich nur zu weniger als 50 Prozent genutzt – unabhängig von kommenden Gesetzesregulierungen. Sie müssen deshalb konsequenter und rascher genutzt werden, um gewappnet zu sein für die aktuellen und künftigen Anforderungen von E-Health und dem elektronischen Patientendossier EPDG.
In verschiedenen Kantonen gibt es bereits gute Projekte, die schon längere Zeit an der Umsetzung des EPDG arbeiten. Viele Kantone zeigen jedoch noch ein sehr geringes Interesse und stehen dem Gesetz mit äusserster Skepsis gegenüber, nicht zuletzt wegen der Befürchtung hoher Kosten für die einzelnen beteiligten Arztpraxen.
Serie EPDG
Am 29. Juni 2016 wurde die Anhörung des Ausführungsrechts zum Bundes­gesetz über das elektronische Patientendossier (EPDG) abgeschlossen. 2017 soll das Gesetz in Kraft treten. Es stellt grundlegende Weichen für die Digitalisierung des Schweizer Gesundheits­wesens. Das swissICT Magazin beleuchtet in einer Serie Technologie- und Security-Aspekte des Gesetzes aus unterschiedlichen Blickwinkeln. In dieser Ausgabe beleuchten wir das Thema aus der Perspektive einer Ärztin respektive der schweizerischen Ärztegesellschaft FMH.
Mit dem EPDG und E-Health werden Bereiche reguliert, die Generationen prägen werden und auch informations-­ethische Fragen aufwerfen. Es geht um personensensitive Daten, bei welchen die Datenhoheit und mindestens Mitbestimmung der Datennutzung letztlich dem Patienten und Bürger obliegen. Was macht Ihre Interessen­gemeinschaft in diesem Bereich?
Die Patienteninformationen und -daten – auch im Rahmen des Arztgeheimnisses – unterlagen schon immer der Maxime von Security und Privacy. Durch die fortwährende Digitalisierung von älteren oder neuen Patientenakten war und wird es immer anspruchsvoller, dieses Informations-Universum unter Kontrolle zu halten. Weitere und kommende regulative Anforderungen in Richtung von systemübergreifendem Datenaustausch bei gleichzeitiger Auswertbarkeit trotz Datenhoheit der Patienten sind durch die meisten Praxis-Betriebe und Akteure kaum mehr bewältigbar ohne Unterstützung seitens Regulation oder Systembetreuer.


Wie beurteilen Sie die Regulierungsdichte der Verordnungen in Bezug auf die Zertifizierung von praktizierenden Ärzten / Praxen oder der schweizerischen Ärztegesellschaft FMH?
Solange die Regulierungsdichte adaptierbar und verkraftbar ist für die daran angeschlossenen Akteure und die Prozesse beziehungsweise Kosten nicht untragbar weiter in die falsche Richtung getrieben werden, kann man sich damit arrangieren. Die Regulierung sollte aber nicht eine Starre begünstigen zulasten von auch dynamischen Innovationen, welche weitere Optimierungen im Gesundheitsbereich bringen können. Die technischen und organisatorischen Anforderungen sind jedoch derzeit teilweise sehr hoch, und nicht immer im Sinne des Gesetzeszweckes. Dies kann unnötig zu so hohen Betriebskosten und damit zu Kosten für die Mitglieder einer Gemeinschaft führen. Dies allein könnte schon abschreckende Wirkung haben. Es würde zu einem Kostenschub führen, ohne dass für die Patientenbehandlung etwas erreicht wäre. Im Gegenteil: Die Prozesse werden komplizierter und fehleranfälliger, was zur Ablehnung des EPD führen kann. Die technischen und organisatorischen Anforderungen und damit die Hürden sind dringend auf das Mindestmass für einen sicheren Vertrauensraum zu reduzieren.
Wo stehen Sie zur Thematik «dynamische Technologie versus starre Regulierung»?
Viele neue Themen und auch regelrechte ­Hypes wie zum Beispiel die Digitalisierung in E-Health, Industrie 4.0, künstliche Intelligenz, Blockchain, nächste Generation von Telemedizin scheinen adaptierbarer zu werden und sollten nicht durch zu starre Regulierung behindert oder gar verhindert werden.

Wo sehen Sie spezielle praktische, technische oder organisatorische Heraus­forderungen in betroffenen oder Ihren eigenen Praxisbetrieben in Themen von E-Health, EPDG beziehungsweise übergeordnet bei der Digitalisierung?
Wichtig ist es, die folgende Unterscheidung zu machen: 1. Die elektronische Krankenakte (eKG) mit ihren Anbindungen an externe Laboratorien und Geräte, mit der wir bereits seit über 15 Jahren in unserer Praxis arbeiten und die eine grosse Erleichterung in der Patientenbetreuung mit sich brachte. Sie ist nicht mehr wegzudenken. 2. Das elektronische Patientendossier EPD ist etwas ganz anderes, es dient dem Informationsaustausch zwischen verschiedenen Akteuren, bestimmt durch vom Patienten selbst definierte Zugriffsrechte. Vermieden werden muss nun, dass Ärzte die Daten ihrer Patienten doppelt erfassen müssen, in der eKG und im EPD. Das klingt banal, ist aber eine nicht unerhebliche technische Herausforderung. Weitere Befürchtungen sind natürlich hohe Kosten und hoher Zeitaufwand für die Realisierung der E-Health-Projekte. Das ist Zeit, die für die Betreuung unserer Patienten fehlt.
Was macht die unermüdliche Arbeit in einem so wichtigen, generationsübergreifenden Thema interessant und motivierend?
Als Ärztin ist man in erster Linie dem Patienten verpflichtet. Darauf haben wir uns in der Ausbildung konzentriert. Wir möchten mit unserer Arbeit Patienten, Mitarbeiter und nicht zuletzt uns selbst zufrieden machen, unserem Leben und der praktizierenden Arbeit einen Sinn geben. Die neuen Technologien sollen also dazu dienen, eine Erleichterung der administrativen Arbeiten zu ermöglichen, die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens zu verbessern und damit den Patienten effizienter und unproblematischer helfen zu können. Praktisch heisst das: schneller Informationsfluss, Vermeidung von Doppelspurigkeit bei Diagnostik und Therapie und auch schliesslich – ganz wichtig – Vermeiden von Missverständnissen in der Kommunikation.
Das ist unsere Motivation, mit der wir bestrebt sind, uns ständig zielstrebig weiterzuentwickeln, uns fortzubilden und offen für Neues zu sein, beispielsweise in der aktuellen Thematik vom EPDG. Wir arbeiten (zunehmend) vernetzt mit anderen kompetenten Institutionen, um unseren Patienten und Kunden eine vielseitige und individuelle Leistung anbieten zu können.
Schliesslich versuchen wir unsere Praxen als stabile, gesunde Unternehmen zu führen. Denn nur auf diese Weise können wir Investitionen in Innovationen – und speziell auch solche eher disruptiven Entwicklungen im E-Health- / Digitalisierungs-Thema – für unsere Patienten und Kunden sowie die Förderung unserer Mitarbeiter garantieren.

Bettina Schlagenhauff

Dr. med. Bettina Schlagenhauff ist praktizierende Ärztin, Mitgründerin und Partnerin von eigenen Arztpraxen. Nebst diversen Mitgliedschaften, Vorstandstätigkeiten und Lehrtätigkeit engagierte sie sich unter anderem auch bei der Vernehmlassung zum EPDG bei der schweizerischen Ärztegesellschaft FMH. Gemeinsam mit ihrer ebenfalls praktizierenden Geschäftspartnerin Dr. med. Caroline Maassen treibt sie Themen rund um E-Health / Digitalisierung der eigenen Arztpraxen vorausschauend voran.


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