Surfer's Corner: Papi soll es richten - Forderungen der Wirtschaft an die UMTS-Lizenzgeber

Der Wirtschaftsführerclub GrowthPlus fordert nach den anerkanntermassen haarsträubend überhöhten Geboten bei einigen UMTS-Auktionen von den betroffenen Staaten die Rückgabe der fahrlässig verspielten Gelder.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2001/12

     

Laut Selbstdeklaration sind sie die Top 500 unter den Wachstumsunternehmern Europas, und sie sehen sich als die Arbeitsplatz- und Prosperitätsgeneratoren schlechthin. Nun fordert der Wirtschaftsführerclub GrowthPlus nach den anerkanntermassen haarsträubend überhöhten Geboten bei einigen UMTS-Auktionen von den betroffenen Staaten die Rückgabe der fahrlässig verspielten Gelder. Papi soll richten, was die Söhnchen im jugendlichen Übermut vermasselt haben.




Zur Organisation: GrowthPlus, erreichbar unter www.growthplus.org, hat als Vision eine Welt, in der schon die Kinder mit Unternehmergeist aufwachsen und die Verantwortung für ihre Zukunft selbst übernehmen. Das Mission-Statement verkündet, man wolle das Unternehmertum in ganz Europa fördern und die Politiker anweisen, das Umfeld für wachstumsorientierte Unternehmen zu verbessern.


Vernunft statt Jahrmarkt

Eigentlich ist die Idee ja nicht schlecht. Das Konzept, die Lizenzen für die dritte Mobilfunkgeneration per Versteigerung an den Mann zu bringen, war ja von Anfang an höchst zweifelhaft. Der eine Teil der GrowthPlus-Forderung, die als Petition an verschiedene Regierungen von Deutschland bis Italien sowie an die EU-Kommission gerichtet ist, mutet demnach grundvernünftig an: Statt mit einer sensationellen Versteigerung im Jahrmarktsstil sollen die Lizenzen aufgrund sorgfältig zu prüfender Bewerbungen vergeben werden, wie GrowthPlus-Irland-Präsident Declan Ganley postuliert - im Grunde eine Selbstverständlichkeit bei einer technisch und wirtschaftlich so komplexen Materie.



Auch die Begründung, wieso die Erlöse aus der Versteigerung wieder zurückzuzahlen und die Lizenzvergabe neu zu starten seien, klingt fundiert. Die 130 Milliarden Euro, mit denen die ersteigerten Lizenzen bei den bis zum Schluss mitbietenden Telcos zu Buche schlagen, sind, so GrowthPlus, dem Kapitalmarkt entzogen, können nicht für Investitionen in Technologien, bestehende oder neugegründete Unternehmen verwendet werden und tragen deshalb nichts zur Schaffung von Arbeitsplätzen bei. Als pikantes Detail fügt die Pressemitteilung an, dass die 130 Milliarden nicht viel weniger als die weltweite Gesamtkapazität der Kapitalmärkte im Jahr 1999 ausmachen.




Die Lizenzgebühren seien nichts anderes als eine zusätzliche Steuerbelastung, und es handle sich um die schädlichste Steuer seit Jahrzehnten, die der europäischen Wirtschaft auferlegt werde. Es stehe nichts Geringeres auf dem Spiel, so Ganley weiter, als die aktuelle Führungsposition Europas bei der Mobilkommunikation: ohne Kapital keine Innovation.




Schuldumkehr wegen Sinkflug?

Dennoch musste ich, offen gesagt, laut lachen, als ich auf InfoWeek Online erstmals vom GrowthPlus-Ansinnen las. Da merkt also Europas Management-Crème-de-la-Crème erst im Nachhinein, was sie mit der blindwütigen Bieterei angerichtet hat. Im Taumel des weltweiten New-Economy-Börsenhochflugs, explosiv angereichert durch die regelrechte Notgeilheit auf die als goldenes Zeitalter prophezeite UMTS-Ära, haben selbst bisher hochseriöse Telecom-Unternehmen jede wirtschaftliche Vernunft von Bord geworfen und sich dabei voll in den verheissungsvollen Auktionswahn gestürzt.



Nun ist erstens die aufgeblähte Börsenblase geplatzt, und der Mobilfunkmarkt erweist sich zweitens immer mehr als zunächst einmal gesättigt. Ericsson stellt die eigene Handy-Produktion ein, Nokia entlässt. Der UMTS-Netzaufbau wird teurer als erwartet und stösst auf zunehmende Ablehnung durch die elektrosmogsensibilisierte Bevölkerung. Golden Age fürs erste canceled.




Die UMTS-Concorde gerät also gefährlich in den Sinkflug, und wie reagiert die Crew? Sie stellt flugs die Triebwerke auf Schuldumkehr, weist jede Verantwortung für die Malaise von sich und quengelt bei Vater Staat, er möge doch bitte das Kaputtgemachte flicken. Ich bin ja wirklich kein Sozialist, aber einfach im Kleinkinderstil die grossenteils selbstverantwortete Misere mit unschuldigem Rehblick den bösen Regierungen anzulasten, scheint mir einer Top-500-Vereinigung von Spitzenmanagern nun doch etwas unwürdig.



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