Wo Lotus Notes aktuell steht - und wo die Reise hingeht
Quelle: Cross-Works

Wo Lotus Notes aktuell steht - und wo die Reise hingeht

Von Helmut Sproll

Lotus Notes war einst die Paradesoftware der Groupware-­Ära. Auch wenn die Lösung stetig weiterentwickelt wurde, ist es in den letzten Jahren stiller um Notes geworden. Jetzt hat HCL Technologies die Software von IBM übernommen, investiert kräftig und will Notes zu neuem Glanz führen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2019/12

     

Lange bevor das Internet erfunden wurde, haben kreative Köpfe um Ray Ozzie mit Lotus Notes eine Software geschaffen, die nicht nur den damaligen Kommunikationsbedürfnissen entsprach, sondern in einer ganzen Reihe von Aspekten bis heute den Standard setzt. Eine lokale Volltextsuche, eine für den Benutzer absolut transparente, integrierte Public Key Infrastruktur, überaus mächtige Administrationswerkzeuge und die sprichwörtlichen Rapid Application Development (RAD)-Möglichkeiten sind nur einige der Aspekte, bei denen die Angebote der Mitbewerber auch heute noch, 30 Jahre nach der Markteinführung von Lotus ­Notes, kaum vergleichbares bieten können.


Während die Plattform in den ersten Jahren rasch und in grossen Schritten weiterentwickelt und um immer neue Funk­tio­nalitäten ergänzt wurde, ist es in den letzten Jahren deutlich ruhiger um Notes geworden. Eine fehlende oder zumindest unklare Strategie seitens IBM, aber auch das rasch aufkommende Internet haben die Prioritäten verschoben. Und auch wenn die Mitbewerber an verschiedenen Stellen noch immer Schwächen zeigen, geschlafen wurde nicht. In Summe hat dies nicht wenige Unternehmen dazu bewogen, der Plattform den Rücken zu ­kehren.

Schwierige Ablösung von Lotus Notes

Ist Lotus Notes also ein langsam aber sicher aussterbendes Relikt einer anderen Zeit? Auf den ersten Blick würde man dem wohl zustimmen. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass der Wechsel von Notes auf die vermeintlich gleichwertigen Lösungen der Mitbewerber bei vielen Unternehmen nicht wirklich funktioniert hat. Geht die Migration des E-Mail Services zwar mit Schmerzen, aber noch vergleichsweise einfach von statten, stellt sich spätestens bei der Ablösung der Domino-Applikationen heraus, dass Verkaufspräsentationen nur wenig mit der realen Welt zu tun haben. So manches wechselwillige Unternehmen hat unter grossem Einsatz versucht, bestehende Domino-Applikatio­nen auf anderen Plattformen nachzu­bauen. Die Realität zeigt, dass das Gros dieser Bestrebungen früher oder später mit hohem Lehrgeld eingestellt wurden respektive werden. Die wenigsten Unternehmen wollen Notes um wirklich jeden Preis loswerden. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Unternehmen, die Notes angeblich schon vor zehn Jahren abgelöst haben, bis heute und auf unabsehbare Zeit noch unternehmenskritische Domino-­Applikationen nutzen.


Im Gegenzug ist aber ohne Zweifel auch nicht von der Hand zu weisen, dass das Produkt über Jahre hinweg nur noch schleppend weiterentwickelt wurde. Die Benutzeroberfläche des Rich Clients entsprach nicht modernen Standards und ist daher bei vielen Benutzern alles andere als beliebt. Entwickler hatten im Prinzip Zugang zu einem Funktionsumfang, der seinesgleichen sucht, aber viele der unterstützten Standards waren veraltet und auch die Werkzeuge zur Entwicklung von Applikationen hielten dem Vergleich mit denjenigen der Mitbewerber kaum mehr Stand. Einzig im Bereich der Administration definierte die Plattform weiterhin den Standard. Dort ist es nicht unüblich, dass auch sehr grosse Infrastrukturen mit zum Teil zehntausenden von Benutzern durch kaum eine Handvoll Personen betrieben wird.

Neue Versionen im Jahrestakt

In dieser Situation kam mit HCL ein weltweit agierendes IT-Unternehmen mit 9,4 Milliarden US-Dollar Umsatz und 147’000 Mitarbeitern ins Spiel, das neben dem Willen auch das nötige Geld mitbringt, um die in die Jahre gekommene Plattform mit neuem Leben zu erfüllen. HCL hat nicht nur den Wert von Notes erkannt, sondern auch, was Unternehmen in den letzten Jahren dazu bewogen hat, die Plattform abzulösen.


Zu Beginn war lediglich von einer Entwicklungszusammenarbeit zwischen IBM und HCL die Rede, doch per Anfang Juli 2019 hat HCL Notes/Domino – und damit einhergehend auch alle anderen Collaboration-Produkte – für insgesamt 1,8 Milliarden Dollar von IBM übernommen. Hatte HCL die Plattform bereits im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit an vielen Stellen modernisiert, wurde das Tempo nach der Übernahme nochmals erhöht. Nach Jahren mit mehr oder weniger Stillstand wurde im Oktober 2018 Version 10 geliefert, Anfang Dezember 2019 stand nun die somit brandaktuelle Version 11 an und für 2020 ist bereits von Version 12 die Rede. Bislang hat HCL die gemachten Versprechen gehalten, die Notes/Domino-Community – in der Schweiz vertreten durch die Swiss Notes User Group (www.snoug.ch) – setzt darauf, dass das auch in Zukunft so bleiben wird.

Nutzer im Fokus

Version 10 hatte einen klaren Fokus auf die Anwendungsentwicklung, insbesondere in Hinblick auf den Refresh von bestehenden Anwendungen und für professionelle Entwickler, die sich im Umfeld aktueller Technologien von JavaScript oder Node.js wohl fühlen und ihre Skills zukünftig auch mit Notes nutzen wollen. Im Verlauf der Version 11 wird HCL Volt hinzukommen – eine neue, browserbasierte, so genannte Low-Code-Anwendungsentwicklungsumgebung auf Basis von Domino für Nicht-Programmierer, also "normale" Mitarbeiter in Fachbereichen. Man kann damit im Browser zum Beispiel mit Excel beginnen oder einfach per Drag & Drop die Logik für eine neue App zusammenbauen.


Version 11 hat den Fokus ganz bei den Nutzern: Der Notes Client ist moderner geworden und klassische Domino-Anwendungen können nun sogar ohne Umprogrammieren direkt auf iPads, iPhones und Android-Tablets genutzt werden – die Unterstützung für Android Smartphones folgt dann 2020. Für das kommende Jahr ist darüber hinaus eine neue Thin-Client-Lösung im Browser geplant, die Domino-Anwendungen und modernes E-Mail auf Basis aktueller Webassembly-Technologie integriert. Mit ihr wird der klassische Rich Client in den meisten Unternehmen nicht mehr benötigt werden. Stattdessen hat man dann eine integrierte Umgebung für Mail und Anwendungen im Browser und kann sich auch teure Rollout-Projekt sparen.

Alternative Plattform der Zukunft

Nach der von HCL umgesetzten Frischekur stellt sich die Notes/Domino-Plattform wieder als aktuelle, moderne Plattform dar, die so gerade auch für den KMU-Bereich eine ganze Reihe von Vorteilen mit sich bringt. Unternehmen bekommen damit nicht nur eine E-Mail-/Kalender-Plattform, sondern darüber hinaus auch eine echte Applikations-­Plattform auf der sich – Low Code und RAD sei Dank – schnell und einfach Geschäftsprozesse abbilden lassen. Die nahtlose ­Integration mobiler Benutzer ist sowohl für E-Mail/Kalender als auch für Applikationen gegeben. Notes-­Datenbanken ­können schnell und einfach mittels der integrierten Volltextsuche durchsucht werden, bei Bedarf auch Datenbank-übergreifend und lokal, also nur mit dem Client. Dazu müssen keine Daten in eine Cloud in die USA gesandt werden. Auch das ­Lizenzmodell ist sehr KMU-­freundlich. Typischerweise werden bei KMU nur die Benutzer lizenziert, die Server-seitige Funktionalität ist damit abgegolten. Die bei anderen Herstellern preistreibenden Client-Access-Lizenzen (CALs) gibt es nicht.


Für Unternehmen, die ihre Daten lieber inhouse (On Premise) oder bei einem Service-Provider ihrer Wahl haben, anstatt alles in die Cloud-Umgebung der grossen Anbieter zu schieben, ist Notes/Domino eine ideale Plattform. Sie erhalten sehr viel Funktionalität, ohne dafür einen grossen Server-Park unterhalten zu müssen. Und falls es doch die Cloud sein soll, so gibt es dafür auch entsprechende Angebote – aber eben nicht zwingend.
Oft hört man, dass in Zeiten eines überall verfügbaren Internets einer der grössten Pluspunkte von Notes/Domino, die Replikation und damit einhergehend die Offline-Nutzbarkeit von Daten, nicht mehr wichtig sei. Für gewisse Benutzer-­Segmente mag das durchaus stimmen, aber wer viel reist, wer Nieder­lassungen in Ländern mit tiefen Löhnen und damit einhergehend häufig nicht so guter oder aber sehr teurer Kommunikationsinfrastruktur hat, weiss gerade diesen Aspekt von Notes/Domino zu schätzen. Das wird in gewissem Umfang auch für den neuen Thin Client gelten.

Notes/Domino hat sich in den letzten 18 Monaten mehr verändert als in den fünf Jahren zuvor. HCL hat die Plattform gekauft, um Marktanteile zu gewinnen und wird weiter massiv in Domino, aber auch HCL Sametime und Connections investieren. Insbesondere die Integration von Notes/Domino in bestehende IT-Landschaften soll rasch verbessert und vereinfacht werden. Schon mit der neuen Version 11 gibt es eigentlich keine ernsthaften Gründe mehr, HCL Domino nicht als echte Alternative zu den aktuell bekannten Angeboten zu sehen.

Der Autor

Helmut Sproll befasst sich seit 1993 mit Collaborations- und Dokumentenmanagement-Lösungen (DMS) von IBM und hat in dieser Zeit an zahlreichen Projekten mitgewirkt oder diese selbst geleitet. Er ist Inhaber und Geschäftsführer von Cross-Works, einem Spezialisten für DMS mit Sitz in Winterthur, und deckt in dieser Funktion primär die Bereiche Marketing und Verkauf ab. Seit gut 6 Jahren ist er darüber hinaus auch Präsident der Snoug.

Kommentare
Danke für diesen objektiven Artikel über die Weiterentwicklung von Notes/Domino. Leider fehlt wieder der Hinweis darauf, dass auch HCL den Vertrieb, insbesondere von neuen Installationen nicht voran bringt. Es wäre wichtig eine Freeware Version für alle non Profit Organisationen sowie Schulen, Universitäten und Privatpersonen bereit zu stellen. Hier liegt das Potential, denn nur wer früh die Möglichkeiten von Notes/Domino in Kontakt kommt, bringt sie später mit ins Unternehmen.
Dienstag, 2. Januar 2024, Carsten



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