IM-Hoffnungsträger Jabber

Instant Messaging hat es in Unternehmen schwer. Mit dem dezentralen und XML-basierenden Jabber könnte sich dies schlagartig ändern.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2004/06

     

Messaging ist out. Oder besser gesagt: Es war gar nie in, zumindest nicht in Unternehmen. Während Private immer fleissiger die schnelle und einfache Kommunikationsart benutzen, konnte sich diese bislang im Gegensatz zu E-Mail oder dem klassischen Gang zum Kaffeeautomaten keinen festen Platz in Firmen erkämpfen. Eigentlich verständlich, gilt Chatten doch fast als Synonym für das Vergeuden von Zeit. Kommt hinzu, dass die bekanntesten Instant-Messaging-Netze proprietär sind und zum Teil auch ein Sicherheitsrisiko darstellen. Spätestens die Vorstellung, geheime Geschäftsdaten könnten unverschlüsselt über einen zentralen Server in irgendeinem grauen Rechenzentrum ausgetauscht werden, treibt den Verantwortlichen unweigerlich Schweissperlen auf die Stirn. Entsprechend wird Instant Messaging bestenfalls als private Spielerei toleriert. Doch man tut der Technologie unrecht, spätestens nach einer genaueren Betrachtung von Jabber.


Keine geschlossene Gesellschaft

Wie so viele Open-Source-Projekte ist Jabber aus dem Bedürfnis entstanden, bestehende Missstände zu beseitigen. 1998 war Jeremy Miller, der Initiator und "Vater" des Jabber-Projekts, es leid, zwei verschiedene Clients gleichzeitig offen haben zu müssen, um mit seinen Kontakten aus dem AIM- und ICQ-Netz Nachrichten austauschen zu können. Daraufhin programmierte er eine Reihe von Unix-Tools, einen Back-end-Server und entwarf sein eigenes Protokoll. Damit war Jabber geboren. Im Laufe der Jahre kamen diverse Clients dazu. Neben einigen freien Varianten wie Gaim oder Psi existieren auch kommerzielle Versionen. So ist beispielsweise für den kostenpflichtigen Multiprotokoll-Client Trillian ein Jabber-Plug-in verfügbar.




Prinzipiell funktioniert Jabber wie jedes der anderen etablierten Instant-Messaging-Systeme. Der Benutzer besorgt sich einen Client und meldet sich an einem Server an. Existiert der Benutzer noch nicht, wird er nach Rücksprache angelegt. Nachher kann der Jabber-User zu jedem anderen Benutzer auf dieser Welt Kontakt aufnehmen.
Das wirklich Interessante ist der total unterschiedliche konzeptionelle Ansatz im Vergleich zu etablierten Lösungen. Am besten lässt sich die Jabber-Idee mit E-Mail vergleichen. Im Gegensatz zu den herkömmlichen Pager-Lösungen setzt Jabber mit XML vollständig auf ein offenes Protokoll und verzichtet auf zentrale Server. Auch bleibt man nicht auf das Jabber-Netz beschränkt. So lässt sich mit Hilfe sogenannter Transports die Verbindung zu bestehenden Diensten wie ICQ, AIM, MSN oder Yahoo aufbauen, womit ein Entscheid für Jabber die Wege zu anderen Netzen nicht verbaut und die bestmögliche Interoperabilität bietet. Auch bezüglich Sicherheit lässt sich Jabber nicht lumpen. So stellt ein verschlüsselter Datenaustausch durch einen SSL-Tunnel kein Problem dar.


Fit fürs Unternehmen

Diese technischen und konzeptionellen Vorzüge waren einer der Hauptgründe, dass mit Jabber beim deutschen Online-Vermarkter orangemedia.de ein Instant-Messaging-System Einzug halten konnte. Nico Lumma, IT-Leiter bei orangemedia.de, begründet den Einsatz von Jabber folgendermassen: "Wir setzen in unserem Unternehmen Jabber ein, weil wir aus Sicherheitsgründen auf IM-Systeme wie AIM oder ICQ verzichten wollen. Offene Standards wie XMPP garantieren uns grösstmögliche Transparenz." Dies zeigt, dass Instant Messaging doch ein Thema sein kann, aber bisher vor allem technische Überlegungen und die Nachteile bestehender Plattformen dafür sorgten, dass Instant Messaging kaum eingesetzt wird. Nico Lumma: "Instant Messaging hat für uns grosse Vorteile. Es ist schneller und weitaus effizienter als E-Mail."




Bei orangemedia.de sind die meisten Mitarbeiter mit einem Jabber-Client ausgestattet und können so miteinander einfach und direkt kommunizieren, egal, ob der Gesprächspartner im selben Büro oder am anderen Ende des Gangs sitzt. Technische Probleme oder Unklarheiten, beispielsweise bei der Softwareentwicklung, können auf diese Weise innert kürzester Zeit gelöst werden, ohne dass die Mitarbeiter erst von Computer zu Computer rennen müssen. Auch lassen sich Code-Fragmente schnell per Copy&Paste hin- und herschicken - etwas, was per Telefon sehr schwierig ist und per E-Mail ungleich länger dauert. Dies vereinfacht bei orangemedia.de auch den Einsatz externer Programmierer: "Externe Programmierer können sich per Jabber direkt mit der Projektleitung in Verbindung setzen und Unklarheiten beseitigen, ohne vor Ort sein zu müssen. Das macht die Sache ungemein leichter", erläutert Nico Lumma. Doch ist Jabber bei orangemedia.de nicht nur auf die interne Kommunikation beschränkt. "Wir haben Jabber auch schon zusammen mit Kunden verwendet, allerdings bisher in sehr bescheidenem Rahmen. Die Erfahrungen waren aber durchaus positiv."


Alleskönner XMPP

Wenn man Jabber nur als System zum Chatten ansieht, tut man ihm unrecht. Denn es kann viel mehr, beispielsweise Server überwachen und in Real-Time Alarm schlagen.
Wie bereits angedeutet, ist das Herzstück von Jabber das XML-Streaming-Protokoll, das drauf und dran ist, von der Internet Engineering Task Force (IETF) unter dem Namen XMPP zum Instant-Messaging- und Presence-Standard geadelt zu werden. XML sorgt dabei dafür, dass es besonders leicht ist, viele verschiedene Arten von Daten per XMPP zu transportieren. So lassen sich beispielsweise Auktionen bei eBay verfolgen oder News abfragen.



Der Aufbau einer derartigen Lösung ist immer der gleiche: Man erzeugt einen Jabber-Account auf einem fremden oder eigenen Jabber-Server, implementiert einen Client in der bevorzugten Programmiersprache und legt eine Liste der Benutzer an, die mit diesem Client kommunizieren dürfen, womit man auch gleich für eine zuverlässige Zugriffskontrolle sorgen kann. Den Client plaziert man dann auf einem Server mit permanenter Verbindung zum Internet, auf dem er am besten seine Arbeit erledigen kann.




Je nach Aufgabe, welche der Client erfüllen soll, richtet sich seine Arbeitsweise. So kann man beispielsweise, wenn man die Nachrichten aus einem Ticker an die Belegschaft automatisiert weiterreichen will, einen kleinen Daemon programmieren oder die Crontab dazu verwenden, regelmässig die Nachrichtenressource zu prüfen und, falls eine Änderung erkannt wurde, die Nachrichten an eine bestimmte Anzahl von Benutzern verteilen.
Auf diese Weise lassen sich auch Serverdienste überwachen. So kann man ein Script anweisen, beispielsweise den http-Server im Auge zu behalten. Stellt das Script Unregelmässigkeiten fest, kann es sämtlichen Technikern eine Jabber-Nachricht zukommen lassen. Handelt es sich um ein besonders kritisches System, lässt sich auch mit Hilfe einer Auswertung der Presence feststellen, ob überhaupt ein Techniker die Nachricht lesen kann. Sollte das nicht der Fall sein, kann man beispielsweise den Client so anlegen, dass er in so einem Fall die Presence sämtlicher anderen Mitarbeiter überprüft und dann einem verfügbaren Mitarbeiter die Nachricht zukommen lassen kann, der in der Lage ist, die Techniker beispielsweise aus der Mittagspause zu holen. Solche Lösungen sind vor allem dann interessant, wenn kein Standardwerkzeug auf das Anforderungsprofil passt und man einen eigenen Ansatz entwickeln muss.



Aber auch die andere Richtung ist denkbar. Man kann den Client so anlegen, dass er ein Interface zu einem CMS oder Newssystem darstellt. Die Redaktore können die Artikel über ihren Jabber-Client an das System schicken, der Client auf dem Server wertet dann die Nachricht aus und kümmert sich um den Rest. Mit einer geschickten Implementierung lassen sich sogar Bearbeitungs- und Löschfunktionen integrieren.



Auch bei orangemedia.de hat man die Möglichkeiten erkannt und implementiert gerade für den hauseigenen Webloghostingdienst blogg.de eine Funktion auf Jabber-Basis: Die Benutzer können sich demnächst per Jabber über Änderungen auf ihren Lieblings-Weblogs benachrichtigen lassen.




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