Man achte aufs Lizenzmodell

Trotz Standardisierungsbemühungen existieren derzeit über 30 mehr oder weniger unterschiedliche Lizenzmodelle für freie Software.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/03

     

Open Source bedeutet im Kern nur eines: Der Quellcode einer Software ist frei zugänglich. Das heisst aber nicht, dass sich der Umgang mit freier Software, wie die Community das Phänomen meist lieber nennt, in einem rechtsfreien Raum abspielt. Es gibt derzeit über dreissig Open-Source-Lizenzen, die sich in zahlreichen mehr oder weniger bedeutenden Details, teils aber auch in fundamentalen Punkten unterscheiden.


Drei Lizenzkategorien

Auf den ersten Blick erscheint der Lizenzdschungel undurchdringlich. Bei näherer Betrachtung treten drei grobe Kategorien ans Licht, die sich in erster Linie in der Art und Weise unterscheiden, wie mit Weiterentwicklungen umgegangen werden soll, die aus bestehendem, unter der jeweiligen Lizenz herausgegebenem Code entstanden sind.
Das Reizwort dabei heisst Copyleft, eine Art trotziges Gegenstück zum herkömmlichen Copyright. Dieses dient ja erklärtermassen dem Schutz von geistigem Eigentum und untersagt in der Praxis das freie Kopieren und Weitergeben urheberrechtlich geschützter Werke – egal ob Software, Literatur, Musik oder anderes. Im Gegensatz dazu erlaubt Copyleft die Weitergabe ausdrücklich und schreibt je nach Strenge vor, unter welchen Bedingungen eine modifizierte Version, im Jargon «Derivative Work» genannt, wieder veröffentlicht werden muss:



Lizenzen mit strenger Copyleft-Bestimmung verpflichten den Anwender dazu, eigene Modifikationen am ursprünglichen Werk unter den exakt gleichen Bedingungen zu veröffentlichen und damit der Community eine Art Dank für die freie Zugänglichkeit des Ursprungswerks abzustatten. Das bekannteste Beispiel und gleichzeitig die Lizenz mit der strengsten Copyleft-Bestimmung ist die GNU General Public License (GPL). Sie wurde vom Free-Software-Guru Richard Stallman erarbeitet, gilt als Urmutter aller Open-Source-Lizenzen und ist noch heute am weitesten verbreitet: Linux fällt ebenso unter die GPL wie die meisten gängigen Unix-Entwicklungstools, darunter der C-Compiler GCC und der Texteditor GNU Emacs.
Der Knackpunkt für Entwickler: Eigene Weiterentwicklungen bleiben zwingend frei und müssen im Fall einer Publikation ohne Einschränkung und, mit Ausnahme einer «vernünftigen Gebühr» im Umfang der Selbstkosten für die Verteilung, kostenlos der Allgemeinheit übergeben werden. Als Derivative Work definiert die GPL jede Software, die ganz oder teilweise auf dem ursprünglichen Code basiert, inklusive Übersetzungen in andere Sprachen und Links von und zu anderen Programmen.





Es ist also zum Beispiel nicht erlaubt, ein proprietäres Programm zu verkaufen, das auf eine GPL-lizenzierte Library zurückgreift. Die etwas weniger strenge LGPL (je nach Geschmack eine Abkürzung von «Lesser GPL» oder «Library GPL») weicht nicht etwa den Copyleft-Gedanken auf, sondern definiert Derivative Work anders: Programme, die auf eine LGPL-lizenzierte Library zugreifen, gelten als separate Software statt als Weiterentwicklung und fallen so aus dem Einzugsbereich der Lizenz heraus.



Lizenzen mit schwacher Copyleft-Bestimmung wie die Mozilla Public License (MPL) erlauben es dem Entwickler, die Rechte an eigenen Weiterentwicklungen zu behalten. Die MPL fordert zwar wie jede echte Open-Source-Lizenz die freie Zugänglichkeit des Quellcodes, regelt jedoch ausschliesslich den Umgang mit Dateien, die bereits im Ursprungswerk enthalten sind. Kommen in einem Projekt auf Basis MPL-lizenzierter Software zusätzliche Dateien hinzu, die keinen MPL-Code enthalten, fallen diese nicht mehr unter die MPL. Es ist also möglich, die eigenentwickelten Teile eines MPL-basierten Produkts proprietär zu verwerten, so lange all jene Dateien, die noch ursprünglichen Code enthalten, weiterhin frei zugänglich bleiben.



Lizenzen ohne Copyleft-Bestimmung: Open Source und Copyleft müssen nicht zwingend einhergehen. So schränken weder die Berkeley Software Distribution License (BSD) noch die Lizenz der Apache Software Foundation die Rechte des Nutzers massgeblich ein. Wer BSD-lizenzierte Software nutzt oder weiterentwickelt, darf sie gratis oder kostenpflichtig mit oder ohne Source-Code weitergeben. Auf dieser Basis kann beispielsweise Apple sein BSD-Unix-basiertes Mac OS X für gutes Geld verkaufen und muss weder das ursprüngliche BSD-Unix noch die selbst beigesteuerten Komponenten, darunter die gesamte Mac-Grafik und das User Interface, im Quelltext veröffentlichen.






Neben den genannten Lizenzen existiert eine Vielzahl von mehr oder weniger stark abgewandelten Varianten. Die Artistic License zum Beispiel schreibt in Ergänzung zur BSD-Lizenz vor, dass neben den geänderten Dateien, die dazu umbenannt werden sollen, auch die ursprünglichen Programmfiles mitgeliefert werden müssen, im BSD-Stil jedoch nur als ausführbare Programme und nicht im Quelltext. Die MIT/X-Lizenz ist identisch mit der BSD-Lizenz – der Text kommt aber in Form von Paragraphen daher und nicht als Bullet-Liste.





Neben den rein juristischen Gegebenheiten liegt der Hauptunterschied zwischen den Lizenzen mit und ohne Copyleft-Bestimmung in Geist und Zweck: Copyleft-lastige Lizenzen legen das Hauptgewicht darauf, dass einmal freie Software für immer frei bleibt, einschliesslich aller Abwandlungen. Die Rechte der Anwender sind zweitrangig, abgesehen vom grundsätzlichen Recht auf freie Verfügbarkeit des Quellcodes. Copyleft-lose Lizenzen dagegen messen der Freiheit des Anwenders die grösste Bedeutung zu – er soll nach eigenem Gutdünken alles nur Denkbare mit der freien Softwaregrundlage anstellen können, vor allem auch kommerziell davon profitieren.




Die wichtigsten Open-Source-Lizenzen im Vergleich


Konsequenzen für den Anwender

Wer Open-Source-Software nur anwendet, kann den Lizenzbestimmungen problemlos die kalte Schulter zeigen. Auch Modifikationen und Weiterentwicklungen fallen nicht unter die Copyleft-Bestimmungen, solange sie ausschliesslich im Privatbereich Verwendung finden. Copyleft kommt erst dann zum Tragen, wenn das Derivative Work publiziert werden soll.






Allerdings gehen die Meinungen auseinander, was privat ist und was nicht – vor allem für unternehmensintern genutzte Software. Das Schweizer Urheberrecht kennt, so Mike Widmer von der auf rechtliche Aspekte der freien Software spezialisierten Plattform Openlaw (www.openlaw.ch), den Begriff der «eng miteinander verbundenen Personen.» Der Urheberrechtsschutz setzt ein, sobald ein geschütztes Werk ausserhalb dieses Kreises verbreitet wird. In einem Kleinbetrieb, der zum Beispiel ein modifiziertes Linux auf seinen Desktops einsetzt, dürften die Mitarbeiter eher als «eng verbunden» gelten als in einem Grosskonzern mit Tochtergesellschaften. Widmer sieht in solchen Fällen zumindest «Klärungsbedarf».






Gerade die GPL bleibt in Grenzbereichen wie der Verteilung an Filialen und Tochterfirmen einer Konzernstruktur, an Kunden und andere Geschäftspartner stumm; sie spricht generell nur von «Distribution» und definiert den Begriff nicht näher. Eine Revision der mitlerweile dreizehnjährigen GPL-Bestimmungen ist derzeit im Gang. Die Free Software Foundation weiss aber noch nicht, wann die revidierte Lizenz kommt und welche Änderungen darin Eingang finden.
Auch kostenpflichtige Dienstleistungen wie Webhosting oder
E-Commerce sind selbst auf Basis von GPL-lizenzierter Software erlaubt – alles andere würde keinen Sinn machen: Publiziert wird dabei ja nicht die Serversoftware (Linux), sondern die Website selbst, das geistige Eigentum des Betreibers.


Die Open-Source-Definition

Was ist eigentlich Open Source? Die Nonprofit-Organisation Open Source Initiative (OSI) hat sich der Aufgabe verschrieben, den Open-Source-Gedanken mit Hilfe einer allgemeingültigen Definition des Begriffs voranzubringen.
Auf der Website www.opensource.org stellt die OSI zunächst fest, die Grundidee hinter Open Source sei einfach: «Wenn Programmierer den Quelltext lesen, modifizieren und weiterverbreiten können, entwickelt sich die Software», und zwar in einem Tempo, das im Vergleich zur herkömmlichen Softwareentwicklung erstaunlich wirke.





Mit diesem Grundgedanken im Hinterkopf propagiert die OSI ihre Open Source Definition. Es handelt sich dabei um einen Satz von zehn Voraussetzungen, die eine Softwarelizenz erfüllen muss, um sich mit Fug und Recht als Open-Source-Lizenz zu bezeichnen. Neben diversen Anti-Diskriminierungsregeln (die Lizenz darf zum Beispiel keine Personen, Personengruppen oder Einsatzgebiete vom Gebrauch der Software ausschliessen), spielen die folgenden vier Punkte die Hauptrolle:
Freie Weiterverbreitung: Die Lizenz darf niemanden davon abhalten, die Software als Teil einer Gesamtdistribution, die daneben weitere Software aus verschiedenen Quellen enthält, gegen Geld zu verkaufen oder zu verschenken. Die Lizenz darf jedoch nicht verlangen, dass dem ursprünglichen Autor dafür eine Lizenzgebühr entrichtet wird.






Zugang zum Quelltext: Wer die Software weiterverbreitet, muss den Quelltext jedem Benutzer auf einfache Weise zugänglich machen. Falls der Quelltext nicht mit der kompilierten Software mitgeliefert wird, sollte er idealerweise kostenlos via Internet zur Verfügung stehen oder gegen eine geringe Vervielfältigungsgebühr erhältlich sein.
Modifikationen erlaubt: Die Lizenz muss Änderungen am ursprünglichen Programm sowie daraus abgeleitete neue Software erlauben. Es muss ebenfalls erlaubt sein, die geänderte Software unter den gleichen Lizenzbedingungen wie das ursprüngliche Werk weiterzuverbreiten. Dies ist aber nicht zwingend – je nach Lizenztyp kann für geänderte Werke auch eine andere Lizenz zum Einsatz kommen.





Keine Einschränkungen für andere Software: Die Lizenz darf keine Einschränkungen für andere Software enthalten, die zusammen mit dem lizenzierten Werk vertrieben wird. Sie darf also zum Beispiel nicht verlangen, dass alle Programme in einer Distribution ebenfalls unter einer Open-Source-Lizenz stehen.
Die Open Source Definition ist selbst keine Lizenz, sie definiert nur, was eine Open-Source-Lizenz ausmacht. Auf der OSI-Website findet sich neben der Definition auch eine Liste aller OSI-zertifizierten Open-Source-Lizenzen.


Buchtip

Das Lizenzrecht ist eines der komplexesten Rechtsgebiete, und die Bedingungen rund um freie und Open-Source-Software machen die Sache nicht leichter. Der erfahrene Anwalt St. Laurent vergleicht in seinem 208-seitigen, im Herbst 2004 erschienenen Buch die verschiedenen Lizenztypen mit ihren Möglichkeiten und Auswirkungen auf Softwareprojekte.





Understanding Open Source & Free Software Licensing
Andrew M. St. Laurent; O'Reilly, ISBN: 0-596-00581-4





Info: www.onlamp.com

(ubi)


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