Spam (oder ein Morgen mehr mit Mordgedanken)

Interessante Ankündigungen führen in einer perfekten Antiklimax zu unflätigen Angeboten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/41

     

Es ist Montag, der 18. November 2002, punkt neun Uhr. Der Himmel über Basel ist ausnahmsweise bedeckt - ob Wolken oder Hochnebel wüsste nur ein Meteorologe zu unterscheiden.



Nach einem schockierenden Erlebnis (wieder einmal ein Bluescreen beim Aufstarten) folgt das Übliche: Das eine oder andere E-Mail hat meinen Account erreicht. Die exakte Bestandesaufnahme: Heute sind es 72 Meldungen, und genau zwei davon, das macht 2,7 Prozent, sind tatsächlich relevant. Zweiundfünfzig sind in meiner Inbox gelandet, und die restlichen achtzehn hat der Mail-Client gleich selbständig unter "Junk Mail" abgelegt.


Viagra konsumieren oder nicht mehr schnarchen?

Die als Spam erkannten Messages drehen sich vor allem um ein Thema: Sex. Von "hottest little babes with perky little titties" über "unleash the seductive powers of the Kama Sutra" bis "25 lezzos in a lesbian f*%k ring" bietet sich mir nahezu das gesamte Spektrum menschlicher Regungen dar.



Unter den Mails, die nicht von vornherein ausgespammt wurden, finden sich allerlei Kaufanregungen für Antischnarchmittel, zahnärztliche Dienstleistungen in den USA und "Kapital in Hülle und Fülle". Unter den zahllosen Werbeanstrengungen von US-Firmen wirken die unaufgefordert zugestellten Wurfmails aus Schweizer Provenienz geradezu putzig; als Beispiel möge die Anzeige für eine Software namens "Kochtopf 2002" dienen, mit deren Hilfe ein Karl Saxer die kompromisslose Archivierung von Kochrezepten samt Bild, Nährwertanalyse und Bedarfskalkulation der Zutaten erleichtern möchte.




Am unflätigsten ist dabei die allerneueste Spam-Mode: Die Betreffzeile des Mails lässt interessiert oder alarmiert aufhorchen, hat aber überhaupt nichts mit dem Inhalt zu tun. Ich rede von Ankündigungen wie "Letzte Mahnung", "Ihr Mail von vorgestern" oder "Sie haben Fr. 153'487 gewonnen", die dann in einer perfekt inszenierten Antiklimax zu Anpreisungen von schlüpfrigen Websites und Viagra-Pillen im Sonderangebot führen.




Anti-Spam-Lösungen unpraktikabel

Markt und gesunder Menschenverstand bieten verschiedene Verfahren, der Spam-Flut Herr zu werden. Die erste Methode, die mir einfällt, ist wenig praktikabel: Ausser vielleicht Herrn Saxer mit seinem durchaus respektablen Produkt möchte ich Spammer grundsätzlich umbringen. Das Strafgesetz sowie die meist erkleckliche Distanz, die zwischen mir und dem Sünder liegt, verhindern dies wirksam, ganz zu schweigen vom Aufwand, der zur Ermittlung des Absenders nötig wäre. Genau dieser Aufwand macht auch sämtliche Anti-Spam-Gesetze in der Praxis wirkungslos: Die Schmerzschwelle, die zur Anstrengung eines Gerichtsverfahrens erreicht werden muss, dürfte auch vom bespammtesten Anwender nicht erreicht werden.



Ziemlich nutzlos sind auch die bekannten Spam-Filter. Wie das Exempel deutlich macht, erkennen die Filter nur einen Teil der Werbeflut. Da hilft nicht einmal das manuelle Definieren von spamträchtigen Absendern - die kreative Kraft der Werbetreibenden beim Erfinden neuer Absenderadressen ist absolut erstaunlich, schon morgen kommt das Viagra-Mail wieder von anderswo und die Filterdefinition bleibt ohne Wirkung. Dafür gerät mitunter ein wertvolles und dringend benötigtes Mail unter den Spam, bloss weil das Programm den Absender nicht kennt. Auf diese Weise hätte ich schon mehrmals fast einen wichtigen Kundenauftrag verpasst.





Ich habe resigniert

Das Fazit: Auch der beste Spam-Filter macht die manuelle Durchsicht aller erhaltenen Mails mitnichten überflüssig. Sie bleibt die einzige Methode zur sicheren Trennung von Spreu und Weizen. Man muss halt einfach täglich einige Minuten dafür drangeben, und mehr als einige Minuten sind es ja wirklich nicht. Ich empfehle, sofort mit dem Üben zu beginnen - ein trainierter menschlicher Spam-Filter löscht jedes unwillkommene Mail nach kurzem Blick auf den Betreff innert Sekundenbruchteilen.




Dazwischen findet sich immer mal wieder Unterhaltendes wie "teach your dog how to talk." Das Entertainment ist in solchen Fällen schon im Subject enthalten; die Meldung selbst muss gar nicht gelesen werden. Ganz selten blüht auf der Müllhalde des Spam sogar eine echte Trouvaille - vielleicht sollte ich mir den Kochtopf 2002 doch etwas näher ansehen?



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