Billettverkauf ohne Absturzgefahr: IT-Landschaft der TicketCorner AG

Auf Basis eines fehlertoleranten Servers mit proprietärem Betriebssystem betreibt Systor im Auftrag von TicketCorner die führende Schweizer Plattform für den Ticketverkauf.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2002/27

     

Für das Jahr 2002 rechnet George Egloff, CEO des Ticketing-Marktführers TicketCorner, mit sechs Millionen in der Schweiz umgesetzten Tickets für Veranstaltungen aus sämtlichen Bereichen von Kultur und Sport. Die Aktivitäten der Firma finden auf zwei Ebenen statt: Einerseits offeriert TicketCorner den Veranstaltern eine Ticketing-Plattform mit Software und Data-Center-Dienstleistungen; Vertrieb und Abrechnung liegen bei diesem Service in der Verantwortung des Kunden. Mit diesem Systemgeschäft wird rund ein Drittel des Gesamtvolumens erzielt.


Hauptgeschäft Full-Service-Ticketing

Für den Hauptharst von zwei Dritteln der umgesetzten Tickets übernimmt TicketCorner indes die volle Verantwortung: Im Vertriebsgeschäft besorgt das Unternehmen vom Verkauf der Tickets an den Endkunden über das Fulfillment bis zum Clearing sämtliche Schritte der Wertschöpfungskette. Die Veranstalter - TicketCorner betreut in der Schweiz um die 1800 Veranstalterkunden - müssen damit nur noch mit einem Partner verkehren: Direkte Verträge zwischen den Veranstaltern und einzelnen Vorverkaufskanälen sind nicht nötig, dies im Gegensatz zur Situation, die zum Beispiel in Deutschland besteht - dort schliesst ein Veranstalter üblicherweise mit jeder Vorverkaufsstelle ein individuelles Abkommen.
Von den so verkauften Tickets laufen 68 Prozent über bediente Vorverkaufsstellen: In zahlreichen SBB-Bahnhöfen sowie in Manor- und City-Disc-Filialen steht ein TicketCorner-Schalter. Dazu kommen einige unabhängige Billettvertriebsorganisationen wie die Bivoba in Basel. Zwölf Prozent der Tickets vertreibt TicketCorner über das hauseigene Call Center im Hauptsitz in Rümlang, wo bis zu 80 Mitarbeiter Anrufe in mehreren Sprachen entgegennehmen.



Die restlichen Billette bestellen die Kunden übers Internet: www.ticketcorner.ch, vermerkt CEO Egloff nicht ohne Stolz. So behauptete sich TicketCorner in einer Studie bereits zum zweiten Mal als erfolgreichste Online-Verkaufsplattform der Schweiz; europaweit sei TicketCorner damit die einzige Ticketing-Organisation, die im E-Commerce-Home-Markt auf Platz 1 liege. Der Internetanteil von 20 Prozent ist dessen ungeachtet noch relativ gering: "Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass sich der Internetverkauf stärker entwickelt."





Vom Marketinginstrument zum Marktführer

Die Geschichte von TicketCorner begann vor 15 Jahren, als der damalige Schweizerische Bankverein mit dem Vorverkauf von Tickets für Grosskonzerte junges Publikum in die Bankfilialen bringen wollte, was bestens gelang. Einige Jahre später stiegen auch die restlichen Grossbanken ins Ticketing-Geschäft ein: 1995 etablierte sich neben dem Konzert-Vorverkaufsspezialisten TicketCorner des SBV der Fastbox Ticketservice, ein Joint-Venture von Bankgesellschaft und Credit Suisse, das neben den anderen Veranstaltungssparten auch den Bereich Sport abdeckte.



Nach der Fusion 1998 von Bankverein und Bankgesellschaft zur heutigen UBS entschlossen sich TicketCorner, Fastbox sowie ein dritter, Call-Center-orientierter Anbieter namens Ticketline, ihre Angebote zu verschmelzen. Im April 1999 wurde in der Folge die TicketCorner AG gegründet; später im Jahr kam noch der Warenkorb des Swisscom-Profitcenters Ticket4you hinzu. Damit verfügte der neu formierte Ticketvorverkäufer über ein umfassendes Sortiment mit Veranstaltungen für praktisch alle denkbaren Bedürfnisse und Interessen - der klare Ticketing-Marktführer war geboren. Die TicketCorner AG gehört heute zu hundert Prozent der Kudelski SA.





Softwarelösung eingekauft und weiterentwickelt

Für die IT war beim TicketCorner schon zu Beginn die Systor zuständig, damals noch eine hundertprozentige Tochter des Bankvereins und heute einer der führenden IT-Dienstleister der Schweiz. "Ticketing-Software ist im Bankenumfeld ja eigentlich artfremd", bemerkt Senior Project Manager Edgar Schwarz, heute bei Systor für die TicketCorner-Aktivitäten zuständig, die firmenintern als CRM-Projekt geführt werden. Statt einer Eigenentwicklung setzte man deshalb von Anfang an auf das marktgängige Produkt TicketOnline vom gleichnamigen deutschen Hersteller.



Ganz ohne eigene Programmiertätigkeit ging es denn aber doch nicht: TicketOnline ist in der Grundvariante vor allem ein Reservationssystem, voll auf das deutsche Vertriebsmodell mit individuellen Verträgen zwischen Veranstalter und Vorverkaufsstellen gemünzt und bietet keine Funktionen für das zentrale Clearing, wie es im TicketCorner-Vetriebsmodell vorgesehen ist. Die entsprechenden Programmteile mussten von Systor hinzugefügt werden, ebenso verschiedene Module mit Call-Center- und anderen CRM-Funktionen, die meist in C++ programmiert wurden. Für die Kommunikation zwischen Server- und Client-Applikation sorgen proprietäre Normen: "Der Datenverkehr für den Haupt-Business-Case 'Ticketverkauf' läuft über ein herstellerspezifisches Protokoll von TicketOnline. XML benutzen wir nur in bestimmten anderen Fällen, für die wir eigene Module entwickelt haben, zum Beispiel die Abrechnungserstellung und statistische Auswertungen für die Veranstalter."




Die Hauptapplikation auf dem Server ist nach wie vor in Cobol gehalten, was sich laut Schwarz "unheimlich bewährt" hat. Es ist überhaupt erstaunlich: Obwohl im Laufe der Zeit mehrfach andere Software evaluiert wurde, hat sich TicketOnline bis heute erfolgreich als softwaretechnische Basis für die Schweizer TicketCorner-Aktivitäten gehalten und 1999 bei der Fusion der verschiedenen Ticketing-Plattformen zur heutigen TicketCorner AG gegenüber den Lösungen von Fastbox und Ticket4you durchgesetzt. George Egloff dazu: "Wir haben verschiedene Versuche gemacht, die Plattform zu wechseln. Das hat aber aus verschiedenen Gründen, die ich nicht näher erörtern möchte, nicht geklappt."




Fehlertolerantes Hardwarefundament

"Aussergewöhnlich ist die Serverlandschaft", meint Schwarz zur Hardware, auf der die TicketOnline-Software läuft. Der Continuum-Server vom US-Hersteller Stratus, laut Schwarz der einzige verbliebene Lieferant hardware-fehlertoleranter Systeme, funktioniert auf Basis der PA-RISC-Architektur von HP, auf der das proprietäre, Unix-ähnliche Betriebssystem VOS (Virtual Operating System) läuft. Alternativ bietet Stratus HP-UX an, aber: "VOS läuft so stabil, dass wir bisher nicht gewechselt haben. Ich bin jetzt sechs Jahre in dem Projekt, und wir hatten noch keinen einzigen Ausfall. Das System ist extrem stabil." Downtime gebe es, so Schwarz, nur einmal pro Jahr bei der vorgeplanten Wartung. In Zukunft könnte allenfalls die neue Windows-basierte ft-Serverlinie von Stratus interessant werden, um die selbstentwickelten Programmteile ebenfalls auf fehlertoleranter Hardware zu beherbergen.



Der Server steht im Systor-Rechenzentrum am Basler Aeschenplatz und ist mit den Clients in den Vorverkaufsstellen, mit den TicketCorner-Büros und dem Webserver, auf dem der Online-Shop läuft, vornehmlich über Standleitungen und ISDN-Dialup verbunden: Die Software lässt via Kommunikationsmodule praktisch jede denkbare Client-Anbindung zu. Auch VPN-Verbindungen wären denkbar, hier sieht Christian Kupferschmid, der IT-Leiter der TicketCorner AG, jedoch Probleme: "Die TicketOnline-Applikation ist relativ empfindlich auf Paketverluste."




Im Normalbetrieb sind bis zu 350 Clients gleichzeitig aktiv. Dazu gehören neben den 220 Vorverkaufsstellen, die teilweise mit mehr als einer Station arbeiten, und den 80 Arbeitsplätzen im Call-Center auch die Veranstalter, die über das System jederzeit den aktuellen Buchungsstand ihrer Events abfragen können. Auch Kupferschmid lobt die Stabilität und besonders die Leistungsfähigkeit der sowohl hardware- als auch softwareseitig hoch proprietären Lösung: "Ich staune manchmal selbst, wie schnell es läuft." Als Beispiel für die Performance nennt CEO Egloff einen Tag, an dem zusätzlich zum normalen Verkehr ein U2-Konzert und zwei ZSC-Matches in den Verkauf gingen: "Die Billette für das gesamte Hallenstadion waren in zwölf Minuten verbucht."



Das einzige Problem liegt laut Kupferschmid darin, "dass wir die Applikation nicht selbst entwickelt haben: Nicht alle Features sind optimal auf unsere Bedürfnisse abgestimmt, und da das Produkt für verschiedene Länder konzipiert ist, kann der Hersteller nicht immer alle gewünschten Änderungen implementieren."




Fruchtbare Zusammenarbeit

Die TicketCorner-IT zeigt exemplarisch, wie verschiedene Teams mit Erfolg zusammenarbeiten. Die serverseitige Applikation wird durch das dreiköpfige Systor-Team betreut, das sich zu einem Drittel um die Weiterentwicklung und zu zwei Dritteln um die Wartung der bestehenden Programmteile kümmert. Dazu kommen auf Systor-Seite weitere Mitarbeiter, die nicht im Projektteam selbst tätig sind, aber bei Bedarf ihre Erfahrungen einbringen können. Systor ist als ASP auch für den Betrieb des Servers im eigenen Rechenzentrum zuständig.



Mit der Zusammenarbeit sind beide Seiten vollumfänglich zufrieden. Auf die Frage, ob man je eine andere Lösung ins Auge gefasst habe, antwortet TicketCorner-CEO Egloff: "Die Zusammenarbeit ist historisch gewachsen. Das allein wäre kein Grund, weiterhin nur mit Systor zu arbeiten. Aber die Leistungen waren immer hervorragend, und wir hatten bis anhin keine Veranlassung, eine Alternative zu suchen." Systor-Projektmanager Schwarz betont, die Zusammenarbeit sei "extrem konstruktiv. Man sieht sich auch oft persönlich, die Kollegen aus Zürich sind mehr oder weniger regelmässig bei uns. Die persönlichen Kontakte sind sehr wichtig."




Am TicketCorner-Hauptsitz sorgt die IT-Abteilung mit fünf Mitarbeitern für Support und Wartung der hausinternen Server und Desktops, für First- und Second-Level-Netzwerksupport, für kleinere Watungsarbeiten am Online-Auftritt und für Konzeption und Planung der künftigen Infrastruktur. Dazu kommen drei Mitarbeiter, die den Basisdaten des TicketOnline-Systems Zusatzinformationen wie Bilder und Texte hinzufügen und so den Online-Shop mit veredeltem Content ausstatten. Weitere sechs Personen sind für Wartung und Anwendersupport bei den Vorverkaufsstellen eingesetzt.



Die Online-Applikation mit Shop und Webmember-System wird nicht intern entwickelt: Dafür ist die Zürcher Kommunikationsagentur Apaara zuständig. Auch für komplexere Netzwerkprobleme verlässt sich TicketCorner auf einen externen Partner, die SITC in Wallisellen.




Herausforderung Europa

Per 2. Juli 2002 erfuhr die bisher recht homogene IT-Landschaft der TicketCorner AG eine radikale Änderung: Mit der Übernahme von Vermögenswerten der insolventen Qivive GmbH und dem Weiterbetrieb dieser zweitgrössten Ticketing-Plattform von Deutschland durch die neugegründete TicketCorner GmbH mit Sitz in Bad Homburg erhält TicketCorner neu nicht nur 6000 zusätzliche Verkaufspunkte und nochmals 13 Millionen verkaufte Tickets pro Jahr, sondern auch mehrere neue Ticketing-Applikationen: Neben dem bisherigen TicketOnline als Basis der Schweizer Plattform hat man sich nun auch um die Qivive-Produkte TicketSoft und TicketPlus sowie die Systemschnittstelle Kart zu kümmern. Die Neueinstellung von 25 ehemaligen Qivive-Mitarbeitern, die zum guten Teil in der Entwicklung tätig sind, soll die kontinuierliche Weiterführung der Plattform garantieren.



Für das Gesamtunternehmen stellt sich nun die Herausforderung, die verschiedenen Systeme zu integrieren und Synergien zu nutzen. Das Call Center in Rümlang soll beispielsweise schon bald auch Anrufe aus Deutschland entgegennehmen, und das TicketCorner-Vetriebsmodell mit zentralem Clearing könnte sich auch für deutsche Veranstalter als interessant erweisen: Bisher lag, im Gegensatz zur Schweiz, die Haupttätigkeit von Qivive im Systemgeschäft, nun soll die Strategie wie hierzulande in Richtung Full-Service-Vertriebspartnerschaft gehen.




Wie es mit der IT in Zukunft weitergeht, ist noch nicht entschieden. Werden alle bisherigen Plattformen weitergeführt oder löst eine bevorzugte Applikation die anderen ab? Kupferschmid: "Wir halten uns alle Optionen offen. Momentan fassen wir alle internen Prozesse und Bedürfnisse in einem Pflichtenheft als Grundlage für künftige Entscheidungen zusammen."



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