Der zertifizierte Open-Sourcer

Auch Systemadministratoren und Entwicklern, die mit Open-Source-Lösungen arbeiten, kann eine offizielle Zertifizierung berufliche Vorteile bringen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2006/08

     

Ein spitzer Kommentar in einem Online-Forum: «Ich habe in meiner IT-Laufbahn schon viele zertifizierte Spezialisten getroffen, aber keiner davon hat mich durch herausragende Leistungen überrascht.» Klar - ein schön gedrucktes Zertifikat in der Hand des Stellenbewerbers garantiert dem Arbeitgeber noch lange kein Genie. Eine bestandene Prüfung weist aber immerhin nach, dass der Absolvent über genau die Kenntnisse verfügt, die der Hersteller der betreffenden Lösung für wesentlich hält.


Zertifizierung obligat

In der herkömmlichen Informatik gilt für viele Positionen eine Zertifikation wie «Microsoft Certified Systems Engineer» als unabdingbar. Auch für die Systemplattformen von Sun, Citrix, Lotus und Cisco sowie für Management-Aufgaben in einer ITIL-orientierten Infrastruktur existieren zahlreiche Titel. So gibt es zum Beispiel den «IBM Certified Application Developer Lotus Notes 7», den «Cisco Qualified Specialist» in zehn Fokusbereichen oder den «Oracle Certified Professional». Einige Zertifikate setzen zwingend den Besuch des passenden Herstellerkurses voraus, für andere genügen entsprechende Kenntnisse, egal wie man sie erworben hat. Auch Open-Source-Software kommt zunehmend in der Unternehmens-IT zum Einsatz. Ihre Hersteller organisieren sich wie Red Hat als kommerzielle Unternehmen, oder eine bestehende IT-Grösse übernimmt Open-Source-Lösungen ins eigene Portfolio, wie die Übernahme von Suse durch Novell zeigt.
Ob proprietär oder Open Source - Enterprise-Informatik ist komplex und problembehaftet. Es ist deshalb kein Widerspruch zum Open-Source-Gedanken, wenn auch Anbieter quelloffener Lösungen Zertifizierungswege für Administratoren und Entwickler offerieren.
Noch gelten Firmen, die konsequent auf eine Open-Source-Infrastruktur setzen, als Pioniere und lassen gerne zwar erfahrene, aber nicht offiziell per Zertifikat sanktionierte Leute ans Werk. Je mehr sich Open-Source-Plattformen aber als Alternative zur proprietären Umgebung durchsetzen, desto selbstverständlicher werden Zertifizierungen zur Voraussetzung bei Anstellung und Weiterbildung.


Vier Kategorien

Das Spektrum an Open-Source-Zertifizierungen ist derzeit noch übersichtlich. Wir haben den Markt untersucht und vier Kategorien von Anbietern ausgemacht, die Open-Source-Spezialisten zertifizieren:



- Zwei Institutionen bieten herstellerunabhängige Prüfungswege für die Linux-Systemplattform an, die sich jeweils mit mehreren Distributionen befassen.




- Ähnliche Zertifikationen gibt es auch von den beiden Linux-Distributoren, die das Enterprise-Umfeld beackern - sie sind naturgemäss auf die eigenen Plattformen ausgerichtet und behandeln deren Besonderheiten.



- Drittens offerieren auch einzelne Anbieter von Middleware und Datenbanken eine Zertifikation, zum Beispiel JBoss und MySQL. Interessant ist das Zertifikat von Zend, das einzige «offizielle PHP-Diplom».



- Das Comptia-Zertifikat Linux+ ist im Gegensatz zu den übrigen Zertifikationen auf Anwenderwissen und weniger auf Administratoren- oder gar Entwicklerkenntnisse ausgerichtet. Comptia gilt generell als eine Art «globales SIZ»; die Abschlüsse sind punkto Umfang und Renommee mit den bekannten SIZ-Diplomen vergleichbar.


Durchführung outgesourct

Ausser Novell und Red Hat führen die meisten Anbieter die Zertifikationstests nicht selbst durch. Sie verlassen sich statt dessen auf zwei weltweit tätige Dienstleister: Pearson Vue und Thomson Prometric sind auf die Abwicklung computerbasierter Prüfungen spezialisiert und bieten ihre Services auch ausserhalb des IT-Umfelds an.
In der Schweiz sind weder Pearson noch Thomson direkt vertreten. Die physische Durchführung der Tests überlassen beide Test-Unternehmen Partnern wie Computerschulen (Digicomp, Microwin, Migros-Klubschule...) und Systemhäusern (Comicro-Netsys, WMC...). Die Kandidaten melden sich entweder direkt beim Prüfer an oder buchen über die Pearson- beziehungsweise Thomson-Website einen Termin beim gewünschten Prüfungsinstitut. Auf den Websites von Pearson und Thomson findet sich eine detaillierte Partnerliste, die in der Schweiz jeweils mehr als zehn Durchführungsorte verzeichnet.
Falls man die Prüfungsvorbereitungen in Form eines Kursbesuchs erledigt, wird man den Test im allgemeinen beim gleichen Anbieter absolvieren. Wer autodidaktisch gelernt hat, bekommt bei einer Web-Buchung meist auch relativ kurzfristig einen Prüfungstermin.


Herstellerunabhängige Zertifikation

Das Linux Professional Institute (LPI) bietet über Schulungspartner ein mehrstufiges Kurs- und Prüfungsprogramm an, das sich nicht auf eine bestimmte Distribution beschränkt. Das LPI wurde 1999 als gemeinnützige Institution in Kanada gegründet und versteht sich als Teil der weltweiten Linux-Community. LPI-Prüfungen und passende Vorbereitungskurse sind bei vielen Schweizer Anbietern erhältlich.
Aus dem ursprünglich geplanten dreistufigen Programm sind bis heute zwei Stufen realisiert. Das LPIC-1-Zertifikat (Junior Level Administration) lässt sich ohne Vorbedingungen erlangen und prüft Kenntnisse wie Kommandozeilenbedienung, Wartungsaufgaben und Konfiguration einer Workstation. Das LPIC-2-Level setzt eine aktive LPIC-1-Zertfizierung voraus und nimmt das Know-how in Sachen gemischter Netzwerke und Server unter die Lupe. Für beide Zertifikate müssen jeweils zwei separate Prüfungen absolviert werden.
Das dritte Level ist noch nicht verfügbar - laut LPI-Website wird zur Zeit noch abgeklärt, welche Anforderungen die drei geplanten LPIC-3-Tests überhaupt abdecken sollen.
Herstellerunabhängig wird auch bei der SAIR-Zertifikation geprüft, die in der Schweiz allerdings weniger Bekanntheit geniesst. Zwar lassen sich SAIR-Tests in den Thomson-Testzentren durchführen, wir konnten aber keinen Schweizer Anbieter eruieren, der die SAIR-Zertifikation aktiv vermarktet.
Auch bei SAIR existieren derzeit zwei Stufen: Der Linux Certified Administrator deckt neben Installation, Konfiguration und Administration auch Netzwerk- und Sicherheitsaspekte ab; der Linux Certified Engineer baut darauf auf und umfasst zusätzlich die Serverseite mit Apache, Samba und Sendmail. Auch SAIR sieht eigentlich eine dritte Stufe vor, die ebenfalls noch nicht realisiert ist: Den Master Linux Certified Engineer mit Datenbank- und High-Availability-Know-how gibt es bisher erst als Absichtserklärung.


Suse und Red Hat

Novell hat die Linux-Ausbildung samt passenden Zertifikaten in zwei Stufen gegliedert. Der Certified Linux Professional (CLP) ist «für Leute, die Linux-Administratoren werden möchten», und setzt den Besuch der drei je fünftägigen Kurse Linux Fundamentals, Linux Administration und Advanced Linux Administration oder entsprechende Kenntnisse voraus. Novell bietet dazu auch Trainingsmaterial zum Selbststudium an. Der Certified Linux Engineer (CLE) setzt eine CLP-Zertifikation voraus und prüft fortgeschrittene Kenntnisse in der Administration des Suse-Linux-Enterprise-Servers. Auch dazu bietet Novell zwei fakultative Kurse oder Selbstlernmaterial an (Linux Enterprise Server Network Services und Security).
Die Prüfungen selbst finden bei Novell im Rahmen eines sogenannten «Practicum» statt, das nur von autorisierten Trainingspartnern angeboten wird. Im Gegensatz zu den übrigen Novell-Zertifikaten lassen sich die Linux-Abschlüsse nicht durch blosse Online-Bearbeitung von Multiple-Choice- und Textfragen in einem Pearson- oder Thomson-Testlokal erlangen.
Noch stringenter geht Red Hat vor. Die Prüfungen sind ziemlich teuer und dauern mindestens einen halben Tag. Neben dem Certified Technician und dem Certified Engineer, vergleichbar mit dem CLP und CLE von Novell, gibt es bei Red Hat zusätzlich zwei weitere Zertifikationen: Beim Certified Architect geht es um Konzeption und Implementation von Serverfarmen, grossen Netzwerken und unternehmenskritischen Systemen. Für das Zertifikat sind fünf Prüfungen zu bestehen. Die drei Prüfungen zum Certified Security Specialist testen das Know-how zur Sicherung von Netzwerkdiensten, zur Policy-Administration und zu Directory Services und Authentifizierung. Auf der Red-Hat-Website findet sich ein Online-Test zur Abklärung, welche Kurse und Zertifikate dem eigenen Kenntnisstand am ehesten entsprechen.


Middleware und Datenbanken

Ob sich beim umfangreichen Kurs- und Prüfungsangebot von JBoss mit der Übernahme durch Red Hat etwas ändert, wird sich weisen. Bis dato sind die JBoss-Zertifikate zwingend an den Besuch der entsprechenden Kurse gebunden. In der Schweiz werden diese nur durch einen französischen Anbieter in Genf offeriert; wer Deutsch oder Englisch bevorzugt, muss ins europäische Ausland ausweichen.
Neben generellen Kursen für Administratoren und Entwickler bis hin zum «Master Architect» bietet JBoss auch einen spezifischen Lehrgang samt Diplom für Web-Entwickler an, die Web-Anwendungen auf Basis des JBoss-Applikationsservers erstellen.
Die Zertifikate von MySQL, PostgreSQL und Zend erhält man nach einer reinen Online-Prüfung, die in einem Pearson-Testcenter gebucht werden kann. Passendes Training direkt vom Hersteller gibt es nur bei MySQL; die nächstgelegenen Kurse finden in Deutschland oder London statt.


Zur Tabelle

Unsere Marktübersicht ist in erster Ordnung nach der Art des Zertifikations-Anbieters gegliedert: Auf die Enduser-orientierte Comptia folgen die herstellerunabhängigen Institute, die Linux-Distributoren und schliesslich Middleware- und Datenbankhersteller.
Unter «Voraussetzungen» sind entweder die zur erfolgreichen Prüfung nötigen Kenntnisse oder aber die Kurse aufgelistet, die man vor der Prüfung belegt haben muss. Bei «Training» sind nur die Anbieter erwähnt, die explizit Kurse für die Prüfungsvorbereitung führen. Die angegebene «Prüfungsgebühr» schliesst die Kurskosten nicht ein.





Open-Source-Zertifikation bei neuen Anbietern

(ubi)


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