Chancen und Risiken von Firmen-Blogs

Vor allem in den USA ermuntern immer mehr Unternehmen ihre Mitarbeiter dazu, ein Weblog zu führen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/09

     

Ein Gespenst geht um in der Unternehmenskommunikation, ein Gespenst mit Namen Blog. Immer mehr Firmen, vorerst vor allem in den USA, entdecken das Internet-Tagebuch oder Weblog als Mittel zur Verbreitung ihrer Messages. Neben klassischen Medienkonzernen sind es vor allem IT-Unternehmen, die ihre Mitarbeiter dazu anhalten, Blogs zu führen und sich so mit den zahlreichen Kollegen in der sogenannten Blogosphere auszutauschen und zu verlinken. Laut dem Weblog-Auswerter Technorati existieren gegenwärtig gut neun Millionen Blogs im World Wide Web – und jeden Tag kommen 38'000 dazu. Auch das Wirtschaftsmagazin «BusinessWeek» hat jetzt die potentielle Bedeutung der Webtagebücher erkannt und widmet
dem Thema in der Ausgabe vom
2. Mai einen längeren Artikel mit dem Titel «Blogs will change your business».





Dieser Überzeugung sind offenbar auch IT-Riesen wie Sun Microsystems, Microsoft und IBM. Vor allem Sun verspricht sich vom Blog-Einsatz eine massiv erhöhte Aufmerksamkeit seitens der Öffentlichkeit und einen intensiveren Know-how-Austausch zwischen Forschern und Entwicklern. Über 1000 der 32'000 Sun-Angestellten führen Webtagebücher über ihre Arbeit. Der prominenteste unter ihnen ist Sun-Präsident und -COO Jonathan Schwartz. Sein Blog wird jeden Monat von Zehntausenden von Besuchern gelesen. «Mein Standpunkt ist klar: Je mehr unsere Investoren und Kunden über uns wissen, desto besser ist das für uns», erklärt Schwartz, der in seinem
Blog auch schon mal Suns eigene Entscheidungen und Geschäftspraktiken kritisiert – auch wenn die meisten Einträge gegen Konkurrenten wie Hewlett-Packard und IBM zielen.





Das Wachstum der US-Blogosphäre


Ein zweischneidiges Schwert

So positiv die starke Präsenz in der Blogosphere für ein Unternehmen auch sein mag, zwiespältig ist sie allemal. Das zeigt beispielsweise der Fall Mark Jen. Er wechselte im Januar von Microsoft zu Google und führte gleich ein Webtagebuch. Ein paar Tage später wurde er wieder entlassen. Jen hatte keineswegs geheime Interna in seinem Blog ausgeplaudert, sondern bloss konstatiert, dass Googles Gesundheitsvorsorge weniger grosszügig sei als diejenige seines vormaligen Arbeitgebers Microsoft – und dass die kostenlosen Mahlzeiten bei Google wohl dazu dienten, dass die Angestellten übers Nachtessen 4 hinaus arbeiten sollten. Nach der Entlassung von Jen nahm die Blogosphere Google massiv unter Beschuss. Der Websuche-Spezialist rechtfertigte sich mit dem Argument, von den Mitarbeiter-Bloggern werde gesunder Menschenverstand erwartet. Als Faustregel gelte, dass nicht gebloggt werden soll, was man nicht an eine grosse Zahl von Unbekannten mailen würde. Jen hatte diesem Anspruch offenbar nicht genügt.






Das Beispiel verdeutlicht die Schwierigkeiten, in die sowohl eine Unternehmensleitung als auch ein Mitarbeiter geraten können, wenn keine klareren Blogging-Richtlinien existieren. Allerdings macht Firmen-Weblogging keinen Sinn mehr, wenn jeder Eintrag eines Mitarbeiters geprüft und womöglich noch durch die Kommunikationsabteilung geschleust wird, bevor er veröffentlicht werden darf.


Blog-Neuland Schweiz

Dieser Ansicht ist auch Aurel Hosennen, PR-Trainee bei Microsoft Schweiz und Publizistikstudent an der Universität Zürich. Er ist überzeugt, dass Firmen-Blogs mehr Chancen als Risiken bergen. Ausserdem wäre der Aufwand für eine umfassende Kontrolle von Mitarbeiter-Blogs viel zu hoch, zumal vertrauliche Informationen als solche klassifiziert seien, sagt Hosennen. Er hat soeben eine Seminararbeit zum Thema Weblogs verfasst. Darin bestätigt er, was diverse Marktstudien andeuten: Zahlen zum Einsatz und zur Nutzung von Blogs sind für Europa im Gegensatz zu den USA praktisch keine erhältlich. Noch düsterer sieht es für die Schweiz aus.






Ein Zeichen dafür, dass man hierzulande weit hinter den Amerikanern herhinkt, ist die Tatsache, dass sowohl bei Sun als auch bei Microsoft keine Schweizer Mitarbeiter-Weblogs geführt werden. Der erwähnten Zweischneidigkeit zum Trotz bleibt deshalb festzuhalten, dass hier eine Chance noch nicht genutzt wird. Denn dass die Weblogs in Zukunft eine immer wichtigere Rolle im Informationsaustausch und im Kampf um Aufmerksamkeit spielen werden, ist unbestritten.
Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Firmen-Blogs nicht als reine PR-Inhalte daherkommen. Das wäre auf längere Sicht für ihre Attraktivität und Glaubwürdigkeit tödlich. Vorsicht ist – wie in der gesamten IT – auch bei der Sicherheit geboten. So warnt der Security-Spezialist Websense vor gefälschten Blogs, auf denen sich Besucher mit Viren, Würmern und Phishing-Keyloggern infizieren können.


Zögerlicher Start des «Swiss Blog Award»

Firmenblogs, in denen Mitarbeiter ihre Meinung mehr oder weniger frei äussern können, sind hierzulande praktisch inexistent – ganz im Gegensatz etwa zu den USA. Auch beim Führen von privaten Webtagebüchern hinken die Schweizer – wie übrigens auch die Deutschen – arg hinter den amerikanischen und französischen Minipublizisten her. Das wollen die vier helvetischen Blog-Aficionados Urs Gehrig, Matthias Gutfeld, Nick Lüthi und Jan Zuppinger jetzt ändern. Sie haben zu diesem Zweck das Projekt «Swiss Blog Awards» ins Leben gerufen und warten jetzt darauf, dass möglichst viele Weblog-Interessierte auf www.blog.ch/award/ ihre Kommentare und Anregungen einbringen. Ausgezeichnet werden sollen schliesslich die besonders gelungenen Schweizer Blogs. Wie rückständig die Einheimischen diesbezüglich sind, verraten aber schon gewisse Formulierungen der Award-Initiatoren. Denn mit ihrer Website möchten sie zuallererst «eine Plattform schaffen für das Phänomen an sich». Ausserdem gehen sie «nach einem provisorischen Fahrplan» davon aus, dass die Preisverleihung frühestens Anfang 2006 stattfinden wird. Es bleibt
zu hoffen, dass bis dann noch das eine oder andere Schweizer Blog
gestartet wird, auf dass sich die Auswahl vergrössere und auch wirklich ein «besonders gelungenes» darunter sei.




Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wie hiess im Märchen die Schwester von Hänsel?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER