In meinen letzten Kolumnen habe ich darauf hingewiesen, dass wir in Europa dringend mehr Kapital für unsere Innovationskraft aufbringen müssen. Angesichts aktueller globaler Entwicklungen und dem daraus resultierenden Chaos wird deutlich, wie dringend wir eigentlich handeln müssen. Daneben gilt es aber auch weitere Hürden zu senken. Diese möchte ich in den kommenden Texten beleuchten und auf mögliche Lösungen eingehen. Den Anfang macht die allseits berühmt-berüchtige Regulierung.
Europas Start-ups sind kreativ, technisch brillant und global wettbewerbsfähig – theoretisch zumindest. Doch in der Praxis kämpfen sie häufig weniger mit technologischen Herausforderungen als mit regulatorischen Hürden. Während Tech-Unternehmen in den USA oder China binnen weniger Monate innovative Produkte auf den Markt bringen, verlieren europäische Start-ups oft Jahre, um den regulatorischen Dschungel aus Datenschutz, Finanzregulierungen und AI-Vorschriften zu durchdringen. Diese Fragmentierung kostet wertvolle Zeit und bremst die Wettbewerbsfähigkeit massiv aus.
Ein typisches Beispiel ist eben dieser Datenschutz. Die DSGVO schützt unbestreitbar wichtige europäische Werte, erzeugt aber auch erhebliche Hindernisse, besonders in Bereichen wie AI oder Gesundheitsdaten. Die Regulierungen sind komplex und oft uneinheitlich interpretiert, was zu Unsicherheit führt.
Ich bin nicht der Meinung, dass wir den Schutz unserer Werte unüberlegt schwächen. Wir sollten aber definitiv kreativ sein und vor allem schnell agieren. In diesem Fall, hat beispielsweise Grossbritannien – und in kleinerem Masse der Kanton Zürich – eine grossartige Lösung bereitgestellt: Regulatorische Sandboxes. Grossbritannien und auch Zürich haben mit diesem Konzept bereits hervorragende Erfahrungen gesammelt. Sandboxes ermöglichen den Start-ups, ihre Innovationen in einem kontrollierten, regulatorisch geschützten Raum zu testen und dabei eng mit Regulierungsbehörden zusammenzuarbeiten. Produkte werden so schneller marktreif, Unsicherheiten werden reduziert und Innovationen gezielt gefördert. Europa braucht dringend solche regulatorischen Sandboxes, und zwar nicht nur national, sondern gesamteuropäisch koordiniert.
Hierbei sind nicht nur Start-ups gefragt: Etablierte IT-Unternehmen könnten entscheidend mitwirken, indem sie entweder selbst Sandboxes einrichten oder in Kooperationen mit Regulierungsbehörden und Start-ups treten. Unternehmen wie Swisscom, SAP, Siemens, Roche oder Novartis könnten ihre Ressourcen, ihre Erfahrung und ihre Infrastruktur bereitstellen, um innovativen Konzepten einen realistischen und praxisnahen Testlauf zu ermöglichen. Davon profitieren nicht nur Start-ups, sondern auch die genannten Unternehmen, indem frühzeitig Zugang zu innovativen Technologien geschaffen wird und regulatorische Unsicherheiten auch für sich selbst reduziert werden.
Die EU könnte hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen, indem sie einheitliche Sandboxes für verschiedene Branchen etabliert. Fintech, AI und Gesundheitstechnologien würden sich bestens dafür anbieten. Start-ups könnten ihre Geschäftsmodelle direkt europaweit validieren und die Behörden würden Einblicke erhalten, welche Regulierung tatsächlich Innovation ermöglicht und welche sie behindert.
Die Zeit drängt: Unsere Wettbewerbsfähigkeit steht mehr auf dem Spiel denn je. Wenn wir den regulatorischen Knoten nicht lösen, riskieren wir langfristig, dass unsere besten Köpfe und vielversprechendsten Unternehmen den Kontinent verlassen.
Falls Sie das Thema interessiert, empfehle ich Ihnen sich mal mit der «Innovation-Sandbox für Künstliche Intelligenz (KI)» des Kanton Zürich zu beschäftigen. Ein tolles Projekt und ein wichtiger erster Schritt!
Matthias Herrmann
Matthias Herrmann ist Investor, Unternehmer und Berater in den Bereichen Innovation, IT und Gesundheitswesen. Er leitet den Bereich Digital Health und den Digital-Health-Fonds bei der Firma Tenity und ist als Experte für die Bereiche Life Sciences und ICT für die Innosuisse tätig. Er ist ausserdem Verwaltungsrat der NGO Make Me Smile International und unterstützt mehrere Start-ups im Advisory Board.