E-Learning: Fünf folgenschwere Irrtümer

Die Corona-Pandemie verlieh dem digitalen Lernen in Unternehmen einen ­Aufschwung. Doch die Umsetzung von erfolgreichen Lernstrategien stockt noch – fünf Irrtümer sind dabei besonders häufig zu beobachten.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2022/07

     

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie puschen viele Unternehmen das digitale Lernen in ihrer Organisation. Beim Umsetzen ihrer Ideen und neuen Konzepte im E-Learning-Bereich erliegen sie jedoch oftmals fünf Irrtümern, die Frust bei allen Beteiligten erzeugen.

E-Learning-Irrtum 1: Die Inhalte der Präsenzseminare lassen sich 1:1 in den virtuellen Raum übertragen
Nicht selten hegen Unternehmen beim Umstellen ihrer Trainings- und Personalentwicklungsprogramme auf E-Learning-Formate die Illusion: Wir können unsere bisherigen Konzepte 1:1 in die digitale Welt übertragen. Vergessen Sie alle Ansätze wie «Wie können wir unser aktuelles zweitägiges Präsenz-Seminar, so wie es ist, online abbilden.» Das funktioniert nicht! Denken Sie Ihr Konzept völlig neu. Tun Sie so, als hätte es die Präsenzvariante Ihres Seminars oder Trainings nie gegeben.


Nutzen Sie das Entwickeln Ihres E-Learning-Angebots als Chance, um den erforderlichen Veränderungen beim Lernen und Lehren in der modernen Arbeitswelt Gestalt zu geben. Das heisst, überdenken Sie nicht nur Ihre Qualifizierungskonzepte, Lehr- und Lernformen, sondern auch deren zeitlichen und organisatorischen Ablauf. Checken Sie zudem, ob die Struktur und Aufbereitung der Lernmaterialien, die Formulierung der Aufgaben sowie die Kommunikation und Betreuung der Lernenden noch den künftigen Anforderungen und Rahmenbedingungen entsprechen. Das ist in der Regel nicht der Fall. Lassen Sie sich dabei aber – gerade zu Beginn der Umstellung – nicht von der rasch aufkommenden Euphorie aufgrund der vielen technischen Möglichkeiten infizieren. Handeln Sie nach dem Prinzip der kleinen Schritte. Ihr neues E-Learning-Angebot sollten Sie langsam und bewusst entwickeln und es sollte immer mit aktuell geltenden beziehungsweise vorhandenen Rahmenbedingungen in Ihrem Unternehmen korrespondieren.

E-Learning-Irrtum 2: Die Interaktion kommt im virtuellen Raum von selbst in Gang
Leider reicht es nicht, ein Forum oder einen Chat für die Kommunikation mit den Teilnehmenden und zwischen ihnen einzurichten und zu erwarten, die Interaktion komme so von allein in Gang. Diesen Prozess müssen Sie als Bildungsverantwortlicher oder Trainer aktiv steuern. Zudem sollten Sie in den Qualifizierungsangeboten auch persönlich präsent sein. Achten Sie zum Beispiel als Trainer oder Moderator in Ihren Kursen darauf, dass Sie vor allem zu deren Beginn dort sichtbar sind und kurbeln Sie die Kommunikation mit eigenen Posts an – zum Beispiel mit Fragen und eigenen Erfahrungsberichten oder durch das Einbringen passender Links. Das Signal, das bei den Teilnehmenden ankommen muss, ist: «Hier tut sich etwas! Es lohnt sich, hier aktiv zu sein!»


Wenn man auf der Lernplattform sehen kann, wer gerade online ist (wie bei vielen Social-Media-Plattformen), erleichtert dies den Teilnehmenden die Kontaktaufnahme untereinander. Stellen Sie auch gezielt Aufgaben, wie zum Beispiel in Posts Erwartungen und Lernerfahrungen publik zu machen oder zu mindestens zwei, drei Einträgen der Kollegen ein Statement abzugeben – so locken Sie die Lernenden einige Male ins Forum. Den Rest erledigt dann das positive Gefühl, dass jemand den eigenen Eintrag wahrnimmt und kommentiert. Spätestens nach zwei, drei geplanten Interventionen dieser Art laufen die Einträge in den Foren und Chats meist fast wie von selbst.

E-Learning-Irrtum 3: Mangelnde Bedeutung des Wir-Gefühls
Viele Weiterbildner, Personalentwickler und Trainer fokussieren zurzeit stark auf den technischen Aspekt des Online-Lernens. Sie vergessen jedoch oft den Menschen dahinter. Menschen sind soziale Wesen. Das wird sich auch durch die fortschreitende Digitalisierung nicht ändern. Deshalb sollte Ihnen das humane Gestalten der neuen, digitalen Lernwelt ein wichtiges Anliegen sein.


Die Verantwortlichen dürfen die Lernenden mit ihren persönlichen Bedürfnissen nicht aus den Augen verlieren, wenn sie wirkungsvolle Lernangebote konzipieren wollen. Das betrifft auch den Auftritt der Trainer oder Kursmoderatoren in den digitalen Lernangeboten. Wie präsent und ansprechbar sind sie zum Beispiel auch in den asynchronen Phasen – also wenn die Teilnehmenden nicht zeitgleich online lernen? Grundsätzlich gilt: Beim Design des Online-Kurses oder E-Learning-Programms sollte stark darauf geachtet werden, inwieweit dieses eine Interaktion und Kollaboration zulässt.

E-Learning-Irrtum 4: Die Bearbeitungszeit wird mit der Lernzeit gleichgesetzt
Zeit ist Geld – diese Maxime gilt meist in unserer Arbeitswelt. Folglich werden auch die Lernzeiten gemessen und die Bildungsprozesse diesbezüglich optimiert. Dabei wird leider oft vergessen, dass sich Lernen nicht so mechanisch vertakten lässt wie das Zusammenbauen einer Maschine. Lernen braucht seine Zeit.

Dass die Lernenden bei E-Learning-Programmen zeit- und ortsunabhängig Zugriff auf die Lernmodule und -inhalte haben, verspricht zwar eine höhere Effektivität, doch Vorsicht: Die Bearbeitungszeit darf nicht mit dem wirklichen Lernen verwechselt werden. Lernen bedeutet «sich Zeit lassen und nehmen sowie geben.» Denn damit die Lerninhalte sich verankern und Früchte tragen, ist auch ein Nachdenken, Durchdenken, Reflektieren und Integrieren des Gelernten in das bereits vorhandene Wissen nötig.


Kurze Lerneinheiten zwischen drei und 15 Minuten, Micro-Learnings oder Learning Nuggets genannt, stehen auf der Hitliste des Online-Lernens ganz oben. Hierbei handelt es sich um kurze Lernvideos, Podcasts, Quizzes oder Texte. Sie fügen sich flexibel in die kleinen Freiräume im (Arbeits-)Leben ein.

Künftig werden sich zwar das Arbeiten und Lernen im Betriebs- und Lebensalltag immer stärker vermischen, trotzdem sollten Sie beim Erstellen von digitalen Lern- und Qualifizierungsangeboten darüber nachdenken: Welche Inhalte sind für welche Zeiten am besten geeignet? Alles, was eine vertiefte Reflexion und Abstand zum Nachdenken braucht, sollte in Ruhe in den Randzeiten oder ausserhalb der (offiziellen) Arbeitszeiten stattfinden.

Generell gilt: Lernen braucht Musse! Zeitdruck und Stress sind für alle Lernprozesse kontraproduktiv.

E-Learning-Irrtum 5: Digital aufbereitete Lerninhalte stimulieren Menschen automatisch zum selbstorganisierten Lernen
Bei digitalen Lernprojekten zeigt sich immer wieder: Niemand verirrt sich zufällig in ein E-Learning-Programm und die Begeisterung bei der Neueinführung digitaler Lernformate hält sich bei den potenziellen Teilnehmern meist in Grenzen, denn: Neues macht vielen Menschen Angst.

Ob E-Learning- oder Blended-Learning-Arrangements, also Verknüpfungen von Präsenz- und Online-Lehrmethoden, funktionieren, hängt stark von der Vorerfahrung der Teilnehmer und deren Motivation ab. Selbst wenn ein Programm in anderen Firmen grossartig funktioniert, heisst dies nicht, dass es auch in Ihrem Betrieb gut läuft. Ihr Programm muss punktgenau zu Ihrem Bedarf, Ihrer Zielgruppe und vor allem Ihrer Unternehmenskultur passen.


Achten Sie bei E-Learning-Prozessen verstärkt darauf, dass Sie die Mitarbeiter vollumfänglich ins Boot holen. Fragen Sie sich zum Beispiel, ob Ihre Mitarbeiter oder Kollegen überhaupt über die Kompetenz verfügen, mit den digitalen Angeboten und dem damit verknüpften Lernen wirkungsvoll umzugehen. Dieses Thema muss unternehmensintern erörtert und geklärt werden – das erfordert Fingerspitzengefühl. Denn beim Einführen neuer Lernformate gilt es auch, die Lerngewohnheiten und -biografien der Adressaten zu beachten. Der schon lange geforderte Kulturwandel, dass die Mitarbeiter auch beim Lernen mehr Eigenverantwortung zeigen, erfordert Zeit. Was in der Theorie so einfach klingt, ist für viele Menschen mit einer anderen schulischen Biografie als der Profis im Aus- und Weiterbildungsbereich oft völlig ungewohnt. In der Schule gaben die Lehrer und später im Betrieb die Führungskräfte oder Trainer den Umfang und Inhalt des Lernens vor. In der modernen E-Learning-Welt sollen die Lernenden sich nun plötzlich die Lernzeiten selbst einteilen und auch noch selbst für ihre Motivation sorgen. Damit haben viele Menschen noch keinerlei Erfahrungen. Also konnten sie auch noch keine entsprechenden Lernstrategien entwickeln. Deshalb ist seitens des Unternehmens auch Geduld und Verständnis gefragt.

Auch wichtig: Die E-Learning-Formate promoten

Die neuen, digitalen Lernkonzepte und -projekte müssen zudem firmenintern aktiv promotet respektive beworben werden, zum Beispiel mit motivierenden Seminar- und Kursankündigungen oder Statements von Kollegen, die von ihren Erfahrungen mit und Erfolgen nach bereits absolvierten Online-Angeboten berichten – im Audio-, Video- oder reinen Textformat. Auch Video-Statements der Trainer können das Interesse an einer Teilnahme wecken.

Bei aller anfänglichen Skepsis, die man in Unternehmen oft beim Einführen neuer, digitaler Lern-Arrangements erlebt, erweist sich das Lernen im virtuellen Raum letztlich doch stets als eine positive Erfahrung für alle Beteiligten. Hat eine Person zum Beispiel einen Online-Kurs aktiv mitgemacht, sind in der Regel all ihre Bedenken verflogen und die Begeisterung für das Online-Lernen ist fortan gross.


Den Unternehmen beziehungsweise Bildungsverantwortlichen muss es also primär gelingen, die neuen Lernformate und -designs den Adressaten schmackhaft zu machen. Der Rest spricht dann, sofern das Programm zielgruppengerecht gestaltet ist und die Inhalte ansprechend aufbereitet sind, für sich.

Die Autorin

Sabine Prohaska ist Inhaberin des Beratungsunternehmens Seminar Consult Prohaska, Wien, das unter anderem Online- und Blended-Learning-Trainer ausbildet. Die Autorin mehrerer Trainingsfachbücher berät und unterstützt Unternehmen der Einführung von E-Learning- und Blended-Learning-Konzepten in ihrer Organisation (www.seminarconsult.at).


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