Getestet: Huawei Mate 30 Pro - wenn dem Motor das Benzin fehlt
Quelle: Huawei

Getestet: Huawei Mate 30 Pro - wenn dem Motor das Benzin fehlt

Huaweis Mate 30 Pro – das neueste Flaggschiff-Modell des chinesischen Herstellers – kommt endlich in den Handel, leider aber ohne Google Apps und Google Mobile Services. "Swiss IT Magazine" hat sich gefragt: Was taugt ein Android-Handy ohne die Google-Dienste überhaupt?
11. Dezember 2019

     

Seit dem 10. Dezember verschickt Huawei für Vorbesteller das neue Flaggschiff Mate 30, ab dem 12.12. kann das Gerät dann auch regulär bei Fachhändlern bezogen werden. Aber weder der Termin noch die Umstände erlauben es, den Mate-30-Launch als regulär zu bezeichnen. Nicht mal im Ansatz.

Seit geraumer Zeit liefert sich US-Präsident Trump einen erbitterten Handelsstreit mit China. Das prominenteste Opfer dieser Auseinandersetzung ist wohl Huawei. Dem chinesischen Unternehmen wird (derzeit ohne handfeste Beweise) vorgeworfen, Spionage für die chinesische Regierung zu betreiben. So war gegen Ende Sommer 2019 klar: Der chinesische Hersteller wird für das Mate 30 keine Lizenzen für die Google Play Services, beziehungsweise die darunterliegenden Google Mobile Services (GMS), erhalten. Gleichzeitig ist das Betriebssystem Android, zwar von Google entwickelt, aber als Open Source für jedermann verfügbar und somit auch für Huawei frei zugänglich.

Ein Launch trotz Hindernissen

Das führt zu einer bizarren Situation: Ein Android-Smartphone mit absoluten Top-Spezifikationen, einer fortschrittlichen Kamera und einem beeindruckenden Screen. Aber ohne Google-Apps.

Dies hat auch zu viel Verunsicherung und Fragen geführt: Ist ein Android-Smartphone ohne GMS in der Schweiz (und der restlichen westlichen Welt) überhaupt zu gebrauchen? Können die Google Apps nachträglich installiert werden? Und falls ja – wie und vor allem wie sicher?


In Folge der Verunsicherung schob Huawei den Release-Termin hinaus. Man versicherte zum Launch-Event Mitte September 2019 zwar, dass man noch dieses Jahr auf den Markt wolle und hoffte wohl darauf, dass Trump sich eines Tages eines Besseren besinnt. Das Verbot für Google, mit Huawei zusammen zu arbeiten, droht aber vorläufig Bestand zu haben.

Nun kommt das Gerät also – wie von Huawei versprochen – noch 2019 auf den Markt. Und "Swiss IT Magazine" hat sich angeschaut, ob das Gerät zum Einsatz in der Schweiz taugt.

Leistungsstarkes Flaggschiff

Zuerst zu den Oberflächlichkeiten und harten Zahlen, bekanntermassen eine Stärke der Huawei-Flaggschiffe. Das Mate 30 in der Pro-Ausführung, die für den Test zur Verfügung stand, kommt mit einem am Rand abgerundeten Horizon-Display, welches sich 88 Grad weit über die Kante hinabzieht. Damit ist der seitliche Schwarze Rand wirklich nur noch ein sehr dünner Strich in der Landschaft, das Display geht also praktisch bis zum Rand des Gerätes. Als Screen dient ein 6,53-Zoll-OLED-Display mit einer Auflösung von 2400 × 1176 Pixel.

Im Inneren arbeitet der neue Kirin 990 5G, ein All-in-One System-on-a-Chip (SoC) mit 5G aus der hauseigenen Chip-Produktion. Das Mate 30 Pro kommt ausserdem mit 8 GB RAM und wahlweise 128 GB oder 256 GB internem Speicher. Angetrieben wird das Kraftpaket von einem Akku mit 4500mAh, der das Turbo-Laden mit 40 Watt unterstützt.


All die Technologie soll entsprechend geschützt sein: Bruchsicheres Frontglas und IP68-Wasser- und Staubschutz-Standard bewahren das Premium-Gerät vor dem Schlimmsten.

Das alles ist nicht billig: Das Mate 30 Pro mit 256 GB Speicher ist in der Schweiz für 1099 Franken zu haben.

Ein Handy – vier Kameras

Auch das Kameramodul, auf welches Huawei traditionell sehr viel Wert legt, lässt sich sehen und besteht aus vier Objektiven: Einer 40-MP-Cine-Kamera, einer Super-Sensing-Kamera mit ebenfalls 40 MP, einer 8-MP-Telezoom-Kamera mit optischem 3-fach Zoom und einem Objektiv mit 3D-Tiefensensor für den beliebten Bokeh-Effekt (Tiefenunschärfe).

Huawei versucht, mit der Kamera allerhand spezielle Szenarien abzudecken – Filmen in der Nacht, Super-Slow-Motion-Aufnahmen mit mehr als 7000 Bildern pro Sekunde und 265-facher Verlangsamung (man soll gar den Flügelschlag eines Kolibris darauf sehen), Zeitraffer und Videos mit Bokeh-Effekt – alles ist dabei. Die Kamerafunktionen sind beeindruckend und funktionieren grundsätzlich, es gibt aber deutliche Grenzen des Machbaren. So erreichten wir mit der Slow-Motion-Funktion bei maximaler Verlangsamung beispielsweise befriedigende Bilder, die beeindruckend aussehen, von Perfektion darf jedoch nicht die Rede sein. Zu viele Artefakte und Unschärfen sind vorhanden, nur mit aussergewöhnlich gutem Licht und längerem Probieren waren unsere Ergebnisse hier akzeptabel.


Im Grossen und Ganzen ist die Kamera aber beeindruckend. Die Bedienung ist einfach, die Ergebnisse sind toll. Hobby-Knipsern erlaubt das Mate 30 das Erstellen von beeindruckenden Bildern, Fortgeschrittene Fotografen werden an den Leica-Linsen und zahlreichen Optionen im Pro-Modus ihre Freude finden.

Der Gipfel der Gestensteuerung

Huawei hat aber nicht nur an der Technik- sondern auch an der Usability-Front aufgerüstet. Das eigene, Android-basierte OS namens Emui10 sieht aufgeräumt auf und lässt sich intuitiv bedienen. Etwas gewöhnungsbedürftiger ist hingegen die Button-Situation: Das Mate 30 Pro hat nur einen Knopf auf der Aussenseite, der für das An- und Ausschalten des Displays reserviert ist. Die Lautstärke-Buttons hat Huawei Software-seitig gelöst und so muss der Benutzer (bei angeschaltetem Display) am Display-Rand doppeltippen, um den gewohnten Laustärkeregler zu erhalten. Das funktioniert zwar grundsätzlich, aber eben nicht so zuverlässig wie die guten alten Hardware-Buttons. Das blinde Regeln der Lautstärke in der Hosentasche ist damit natürlich Vergangenheit.


Auch setzt man vermehrt auf Gestensteuerung, etwa erkennbar durch den gänzlich fernbleibenden Back-Button in Emui10, der mit einer Swipe-Bewegung von rechten Rand zur Mitte hin ersetzt wurde. Der Gipfel der Gestensteuerung sind aber die Air Gestures genannten Freihand-Gesten, die zur Steuerung verwendet werden können. Konkret sind das die Scroll- sowie die Screenshot-Funktion, die man durch eine Wink- respektive Greifbewegung auslösen kann. Dies erfolgt etwa 20 Zentimeter vor dem Screen, was dazu führt, dass man im Prinzip in seinen Bildschirm hineinwinkt, was eigenartig aussieht und sich noch eigenartiger anfühlt. Die Air Gestures sind daher nichts, was irgendjemand jemals im ÖV machen würde und damit eher eine Tech-Demo als ein Feature.

Kann ich Whatsapp benutzen?

Jein. Kommen wir zum Elefanten im Raum: Ist das Gerät denn überhaupt brauchbar, wenn keine Google-Apps drauf sind?

Wer dachte, dass man die Google-Dienste einfach woanders herunterladen und auf das Android-System aufspielen kann, liegt leider falsch. Das Problem sind nicht das Fehlen der Apps selbst, sondern eben die fehlenden Google Mobile Services (GMS), welche die zahlreichen Schnittstellen für die Google-Anwendungen bieten und die Lebensader vieler Apps sind. Im Internet finden sich eine Vielzahl von Lösungen für das Problem, jedoch keine, die wir aus Security-Sicht mit gutem Gewissen empfehlen können. Bastler werden sich wohl irgendwie zu helfen wissen, müssen sich aber klar den Risiken bewusst sein, wenn sie ungeprüften Code (Apps von ausserhalb des Play Store) auf ihrem Gerät ausführen.


Für alle anderen Apps bietet Huawei selbst die Huawei Mobile Services an – ein eigenes App-Ökosystem, mit dem man als Benutzer vor allem in der Huawei App Gallery in Kontakt kommt. Hier finden sich sicher Alternativen zur gewohnten Wecker- oder gar Karten-App, die grossen Player (wie Whatsapp, Instagram, Microsoft Office), sucht man jedoch vergebens. Diese lassen sich teilweise auf Drittanbieter-Plattformen herunterladen, dies ist aber bekanntermassen nicht komplett risikofrei und daher klar keine Empfehlung von uns.

Wir haben uns dem Risiko ausgesetzt, einige dieser Apps über die Hintertüre heruntergeladen und mussten leider feststellen, dass selbst dann nicht alles gut ist. Als Beispiel: Die SBB-App etwa gab es auf der genutzten Plattform nur auf Englisch, die Registrierung für Swisspass ist darin aber wieder abhängig von einer GMS-Schnittstelle und damit nicht verfügbar. Selbst wenn man die App findet und eine saubere Version hat, lässt sich also doch nicht der ganze Umfang nutzen. Schade.

GMS – um sie alle zu knechten

Es schmerzt, aber es ist Fakt – ein Android-Gerät ohne Google-Dienste ist hierzulande nur etwas für Bastler, Fans oder echte Google-Hasser, die so oder so nichts mit dem Suchriesen zu tun haben wollen. Die genannten Zielgruppen dürften Freude am Gerät finden, dem Rest empfehlen wir aber, die Finger vom Mate 30 zu lassen und zu hoffen, dass die Streithähne im Westen und Osten irgendwann wieder Frieden finden. (win)


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Kommentare
Natürlich weiss ich das, in bin ja nicht erst jetzt auf die Welt gekommen so wie Sie vielleicht, und denken vor Google gab es keine Smartphones. Ich verwende den Opnesoure-Teil von Android, den Google auch nicht selbst entwickelt hat, sondern von Linux ect. zusammengetragen hat. Ausserdem habe ich unterwegs schon im 1999 meine e-mails mit Nokia und Palm abgerufen, da haben Larry Page und Sergey Brin gerade mal ihre suchmaschine zum laufen bekommen und waren noch nicht weltgrösste Datenramscher. Also, ein bisschen kritische Objektivität würde gut tun.
Donnerstag, 20. August 2020, Hans Dubler

Sie wissen aber schon, dass Android von Google entwickelt wird?
Donnerstag, 20. August 2020, Sam

Ich benutze seit 8 Jahren Android ohne google und bin damit glücklich und vermisse nichts. Wenn sich Firmen, oder auch die SBB, oder die Corona App sich voll Google ausliefern, sind die selber Schuld. Vielleicht gibt es irgendwann mal wieder ein Umdenken und man merkt, es geht auch ohne Ami-Firmen. SBB hatte zu Palm Zeiten ja auch eine App auf ihrer Webseite, die funktionierte. Alles ohne Ami-Firmen Assistenz. Waren das noch Zeiten.
Montag, 17. August 2020, Hans Dubler



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