Simultan-Visualisierung zur Gesprächsführung

In Projektsitzungen treffen oft verschiedene Meinungen und Charaktere aufeinander. Auch Emotionen spielen eine wichtige Rolle. Hilfreich ist es, den Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess durch ein Visualisieren zu strukturieren.
Von Detlef Messerschmidt und Britta Mutzke

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2020/06

     

Das Simultan-Visualisieren ist eine Methode der Gesprächsführung, bei der während des Dialogs unterstützende Visualisierungen entstehen – zum Beispiel am Flipchart. Dabei sind den visuellen Ausdrucksmöglichkeiten wenig Grenzen gesetzt. Man kann Worte (zum Beispiel Schlüsselbegriffe und Ziele) visualisieren, Farben und geometrische Formen zum Strukturieren nutzen und spontan Bilder zu Papier bringen. Dabei sollte jedoch stets der Bezug zum Gesprächsthema deutlich bleiben.


Wirkungsvoll lässt sich diese Methode in Meetings und Workshops, aber auch beim Coachen nutzen. Denn hierdurch werden ansonsten flüchtige Gesprächsbeiträge festgehalten und für alle Beteiligten transparent gemacht. Dies kann erhellend, problematisierend und konsensbildend, aber auch provozierend wirken. Und der Person, die das Gespräch leitet, also moderiert und eventuell visualisiert, dient das Simultan-Visualisieren unter anderem als Werkzeug zum Klären von Positionen, Beziehungen sowie komplexer Sachverhalte.

Ein wirkungsvolles Tool der Gesprächsführung

Gute Simultan-Visualisierungen vermitteln Struktur. Sie beleben die Atmosphäre und fördern die Kreativität, das Verständnis und die Akzeptanz. Und der Dialogprozess? Er gewinnt an Tiefe und die Ergebnisse werden verbindlicher. Damit erhalten speziell informelle Führungskräfte wie Projektmanager, die Prozesse ohne institutionelle Macht gestalten wollen und müssen, eine leistungs­fähige Methode der Gesprächsführung an die Hand. Zudem erledigt sich das Thema Protokollführung. Denn wirken die Teilnehmer am Entstehen der Visualisierungen mit, akzeptieren sie auch eine Fotodokumentation der Ergebnisse als Protokoll. Für die Visualisierungen benötigt man ein Medium – zum Beispiel einen ­Flipchart oder ein digitales Collaboration Board.

Manche Personen scheuen sich, Visualisierungen vorzunehmen, weil sie überzeugt sind, dass sie nicht malen können. Doch beim Visualisieren geht es primär darum, zu strukturieren, die Aufmerksamkeit zu lenken und zu fokussieren. Das gelingt auch mit einfachen Mitteln – zum Beispiel den Formen. Neben den geometrischen Grundformen bieten freiere Formen wie abgerundete Rechtecke, Pfeile, Sprechblasen und bildhafte Formen wie eine stilisierte Waage zahlreiche Möglichkeiten der Visualisierung. Und für das ­Visualisieren von Menschen gilt: Aus wenigen Grundformen lassen sich plakative Darstellungen von Personen ­ableiten, denen man zum Beispiel mittels Schraffuren sogar Bewegung einhauchen kann. Auch Emotionen und Interaktionen können einfach und schnell dargestellt werden.


Vier Farben von Stiften genügen zum Simultan-Visualisieren, wenn man deren Symbolkraft nutzt. So können verbindende Linien, die Zusammenhänge aufzeigen, geschwungen und grün dargestellt werden, so dass sie an Zweige erinnern. Rot eignet sich zum Transportieren emotionaler Botschaften und als Strukturfarbe für Tabellen. Dabei sollte der Gesprächsleiter oder -moderator jedoch einen «Style Guide» verinnerlicht haben: Er setzt also die Farben und Formen systematisch und nicht willkürlich ein. Auch Überschriften und Strukturelemente positioniert er nach Regeln. Das erleichtert den Meeting-Teilnehmern die Orientierung.

Gespräche spontan visualisierend führen

Wer ein Gespräch führen und zugleich visualisieren möchte, dem stellen sich die Fragen: Was, wann und wie visualisiere ich? Ausserdem: Was mache ich mit der Gruppe, während ich visualisiere? Denn ein Gesprächsleiter, der zugleich visualisiert, muss seine Aufmerksamkeit zwischen Visualisierung und Gruppe teilen. Zudem gibt er beim Visualisieren den Blickkontakt mit seinen Gesprächspartnern auf. Erfahrungsgemäss schadet das dem Gesprächsprozess nicht, sofern die Visualisierung zügig erfolgt und diese das Gesagte treffend wiedergibt – auch weil dies der Gruppe eine Pause zum Verarbeiten des Besprochenen gewährt. Entscheidend ist, wie wertschätzend der Leiter mit der Gruppe umgeht. Würdigt er die Beiträge der Teilnehmer und zeigt der Leiter Einfühlungsvermögen in deren unterschiedliche Meinungen, bewahrt er seine Autorität.

Sinnvoll ist es, die Gesprächsebene und die visuelle Ebene abwechselnd zu bedienen: Ein Ergebnisbeitrag wird zunächst erarbeitet; dann bringt der Gesprächsleiter ihn im Gespräch mit der Gruppe so auf den Punkt, dass er sich visualisieren lässt. Danach visualisiert er, ohne zu reden. Und anschliessend lädt er die Gruppe dazu ein, das Visualisierte auf seine Stimmigkeit und Vollständigkeit zu prüfen.

Anforderungen an den Moderator

Um zur Visualisierung essenzieller Ergebnisbeiträge zu gelangen, braucht der Leiter zwei Fähigkeiten: Er muss wirksam fragen können und benötigt zudem Techniken, um Gesprächsbeiträge für die Visualisierung auf den Punkt zu bringen – zum Beispiel, indem er umfängliche Redebeiträge umformuliert und zusammenfasst. So trägt er wesentlich zu einem gelingenden Gruppenprozess bei.

Einige exemplarische Einsatzfelder

Für das Simultan-Visualisieren gibt es viele Einsatzmöglichkeiten. Ihr volles Potenzial entfaltet die Methode in Lern- und Veränderungsprozessen, bei denen sich die Struktur des Prozesses erst aus dem Prozessverlauf ergibt. Zu den Struktur liefernden Visualisierungen zählen Prozessmodelle, die horizontal einen Prozess in Schritte zerlegt visualisieren, und die vertikal die mit dem Prozessschritt verbundenen Tätigkeiten zeigen. Bei unbekannten Themen, oder wenn ein Thema erforscht werden soll, bietet sich eine Mind Map als Struktur an. In Workshop- und Gruppensituationen eignet sich die Methode auch zum Arbeiten auf der Prozess­ebene. Wird es inhaltlich schwierig, liegt oft eine Störung vor. Über eine treffende Visualisierung kann der Leiter die Diskussion auf diese Ebene heben und das Bearbeiten der Störung einleiten.

Bei Konflikten kann der Leiter im Dialog mit der Gruppe zunächst die beteiligten Konfliktparteien herausarbeiten, die er dann anonymisiert (zum Beispiel als grosse Kreise mit unverfänglichen Namen wie A, B, C) simultan visualisiert. Danach fordert er die Parteien auf, Aspekte ihrer Positionen zu nennen, die er den Kreisen zugeordnet visualisiert. Die Visualisierung bildet die Basis für die wei­tere Konfliktbearbeitung.
Recht anspruchsvoll ist das Erstellen von Verlaufsprotokollen von Diskussionen. Das heisst: Während die Gruppe über ein Thema diskutiert, dokumentiert der Leiter die Argumente und gegebenenfalls Emotionen in der Diskussion auf einer Pinnwand. Soweit möglich, strukturiert er die Beiträge, indem er Abhängigkeiten und Schlussfolgerungen visualisiert.


Diese Anwendung setzt eine gewisse Routine des Gesprächsleiters mit dem Simultan-Visualisieren voraus, da er allein für das Verkürzen der Beiträge und das Visualisieren der Zusammenhänge zuständig ist. Während er einen Beitrag notiert, hört er den nächsten, um diesen danach zu visualisieren. Und am Ende enthält das Verlaufsprotokoll alle wesentlichen Argumente der Diskussion – zum Beispiel im Vorfeld einer Entscheidung.

Wirkung

Die Wirkung des Simultan-Visualisierens in Veranstaltungen wie Projekt-Meetings beruht auf einer Art Stereo-Effekt: Hör- und Sehsinn werden zugleich bedient. Dadurch wird das Lernen und Behalten gefördert und der emotionale Bezug zu den Inhalten unterstützt. Zudem erzeugen die Visualisierungen Transparenz. Dies kann verbindlichkeits- und akzeptanzfördernd, aber auch polarisierend wirken, denn bildhafte Darstellungen zeigen Zusammenhänge auf und in Worten visualisierte Beiträge haben eine höhere Bedeutung. Zudem adressieren eine gekonnte Strichführung, ein geschickter Einsatz der Farben und Formen sowie eine ansprechende, bildhafte Darstellung die rechte Hirnhälfte, die unsere künstlerisch-emotionalen Fähigkeiten repräsentiert. Das stimuliert die Kreativität.

Checkliste: Gespräche auf den Punkt bringen

- Geschlossene Fragen stellen, um das Okay für die Visualisierung einzuholen
- Redebeiträge zusammenfassen; paraphrasieren
- Präzisieren: knapp, klar, konkret
- Zu persönlichen Aussagen («ich») auffordern; Konjunktive («könnte») und Verallgemeinerungen («man») vermeiden
- Beiträge entpersonifiziert auf dem Flipchart festhalten
- Bei Bedarf: polarisieren, simulieren, provozieren
- Handlungsorientiert formulieren
1. Kontakt machen und halten
2. Den anderen dort abholen, wo er ist:
- zuhören und einfühlen
- die eigene Meinung für eine Weile zurückhalten
3. Mit offenen Fragen nachfragen; zukunfts- und lösungs­orientiert fragen
4. Gesprächsbeiträge auf den Punkt bringen
5. Zügig und ansprechend die «Essenz» visualisieren
6. Den Kontext beachten; wenn etwas geklärt oder transparent gemacht werden soll, nachfragen
7. Auf Rollenklarheit achten

Die Autoren

Detlef Messerschmidt<7b> ist Inhaber des Beratungsunternehmens Messerschmidt Training, Darmstadt, das sich auf das Aus- und Weiterbilden sowie Zertifizieren von Fachtrainern spezialisiert hat.

Britta Mutzke arbeitet als Trainerin und Beraterin für Messerschmidt Training.


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