Neuerungen im schweizerischen Kartellrecht
Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2005/18
Der Gesetzgeber hat mit dem revidierten KG den Wettbewerbsbehörden ein griffiges Instrument zur Ahndung wettbewerbswidrigen Verhaltens in
die Hand gegeben. Der nachfolgende Artikel stellt die wichtigsten Neuerungen des KG vor und zeigt auf, welche Massnahmen von den Unternehmen zu ergreifen sind,
damit Sanktionen vermieden werden können.
1. Ein zahnloser Papiertiger
Mit der letzten Reform von 1995 wurden die Bestimmungen des KG zwar verschärft, indem ihr Geltungsbereich ausgeweitet und strengere (dem EG-Wettbewerbsrecht angepasste) Beurteilungsregeln eingeführt wurden. Dennoch erwies sich das Gesetz als zahnloser Papiertiger. Ein Unternehmen, dessen Verhalten von der Wettbewerbskommission (WEKO) als wettbewerbswidrig beurteilt wurde, hatte – mit Ausnahme von negativer Publizität – wenig zu befürchten. Die Verhängung von Bussen war gemäss dem bisherigen Recht nur dann möglich, wenn das Unternehmen trotz einer formellen Unzulässigkeitsverfügung der WEKO mit seiner wettbewerbswidrigen Praxis fortfuhr, was während der Geltungsdauer des bisherigen KG nur ein einziges Mal vorkam.
2. Unzulässigkeitsvermutung nur bei gewissen horizontalen Abreden
Das bisherige KG stellte eine gesetzliche Unzulässigkeitsvermutung nur für Abreden zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen der gleichen Marktstufe (sog. horizontale Abreden) auf. Als vermutungsweise unzulässig galten demnach ausschliesslich horizontale Abreden betreffend Preise, Mengen sowie Gebiets- oder Kundenaufteilungen, sog. harte Horizontalabreden.
Beispiel einer horizontalen Preisabrede: Die X AG und
die Y GmbH, welche beide Business-Software-Lösungen anbieten, einigen sich, an Dritte keine Preisofferten ohne vorherige Konsultation des anderen zu machen.
3.Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Bereits das bisherige KG hat Unternehmen, welche in einem bestimmten Markt(bereich) über eine sog. marktbeherrschende Stellung verfügten, Verhaltensgebote bzw. -verbote auferlegt. Marktbeherrschung wird laut KG dann angenommen, wenn sich ein Unternehmen (als Anbieter oder Nachfrager) in einem Markt (auch in einem engen Nischenmarkt) von anderen Marktteilnehmern in wesentlichem Umfang unabhängig verhalten kann. Je nach Marktstruktur reicht bereits ein Marktanteil von 25 – 30% aus, um diese Unabhängigkeit zu begründen. Die verbotenen Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden Unternehmens werden im KG beispielhaft, aber nicht abschliessend aufgelistet. Unzulässig sind etwa die Verweigerung von Geschäftsbeziehungen
(sog. Boykott), die Diskriminierung bei Preisen und sonstigen Geschäftsbedingungen sowie Koppelungsgeschäfte.
Berühmtes Beispiel des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Koppelungsgeschäft): Microsoft missbrauchte seine marktbeherrschende Stellung bei PC-Betriebssystemen, indem es sein Windows-Betriebssystem mit dem – keineswegs konkurrenzlosen – Medienabspielplayer Windows Media Player koppelte.
1. Neuer Unzulässigkeitsvermutungstatbestand bei vertikalen Preis- und Gebietsabreden
Neu eingeführt wurde die gesetzliche Vermutung, wonach auch gewisse Abreden zwischen Unternehmen unterschiedlicher Marktstufen, also beispielsweise zwischen Lieferant und Vertriebshändler, als unzulässig gelten (sog. harte Vertikalabreden). Die Beseitigung dieser Vermutung ist zwar grundsätzlich möglich, dürfte jedoch in der Praxis schwierig sein.
Vermutungsweise unzulässig sind einerseits Absprachen über Mindestverkaufs- oder Festpreise bzw. Preisbestandteile (bspw. Rabatte). Weiterhin zulässig ist lediglich die Regelung der Höchstpreise. Um eine unzulässige Preisabrede zu begründen, bedarf es keiner ausdrücklichen vertraglichen Verpflichtung. Vielmehr genügen bereits Preisempfehlungen, sofern sie von der Gegenseite aufgrund von Druck oder besonderen Anreizen befolgt werden.
Vermutungsweise unzulässig sind andererseits auch harte Abreden über die Zuteilung von Vertragsgebieten. Dies ist der Fall, wenn ein Lieferant seinem Vertriebshändler verbietet, auf Anfrage hin an einen Abnehmer ausserhalb seines Vertragsgebiets zu liefern. Zulässig hingegen ist die Beschränkung der sog. aktiven Verkäufe. So kann der Lieferant seinem Vertriebshändler nach wie vor vorschreiben, außerhalb seines Vertragsgebiets keine Werbung zu machen, keine Niederlassungen zu eröffnen und keine Auslieferungslager zu unterhalten.
Beispiel einer vertikalen Gebietsabrede: Die Q AG, welche die von ihr hergestellten IT-Produkte über Vertriebshändler mit fest zugeteilten Vertragsgebieten vertreibt, verbietet ihrem Vertriebshändler X, ihre Produkte in das Vertragsgebiet des Vertriebshändlers Y zu verkaufen.
2. Neue Sanktionsordnung
Mit der Revision wurden erstmals direkte Sanktionen in Form von Bussen eingeführt. Sie werden bei harten Horizontalabreden, bei harten Vertikalabreden sowie beim Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ausgesprochen. Ausgangspunkt für die Bemessung einer Busse ist der sog. Basisbetrag. Er entspricht je nach Schwere und Art des Verstosses bis zu 10% des in den letzten drei Geschäftsjahren auf dem (die Wettbewerbsverletzung) betreffenden Markt in der Schweiz erzielten Umsatzes. Eine spezielle KG-Sanktionsverordnung regelt sodann, ob dieser Basisbetrag aufgrund langer Dauer des Verstosses oder erschwerender Umstände erhöht oder aufgrund mildernder Umstände gesenkt werden kann. Die maximale Sanktion beträgt jedoch in keinem Fall mehr als 10 % des in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz gesamthaft erzielten Umsatzes des Unternehmens. Eine solche Sanktion dürfte für manches Unternehmen jedoch bereits hart an der Grenze zur Existenzgefährdung sein.
3. Melde- und Widerspruchsverfahren
Ist unsicher, ob eine Verhaltensweise eine unzulässige und damit sanktionierbare Wettbewerbsbeschränkung darstellt, so besteht für das involvierte Unternehmen die Möglichkeit, der WEKO seine Verhaltensweise zu melden, diese aber bis auf weiteres fortzusetzen. Wird dem meldenden Unternehmen diesfalls innerhalb von fünf Monaten die Eröffnung eines Verfahrens zur Untersuchung von Wettbewerbsverletzungen mitgeteilt, so hat das Unternehmen die gemeldete und evtl. bereits vollzogene Verhaltensweise sofort einzustellen, will es keine Busse riskieren. Erfolgt keine Mitteilung der WEKO, so entfällt die Sanktionsmöglichkeit für die gemeldete Verhaltensweise.
4. Neue Bonusordnung/Kronzeugenregelung
Um die Entdeckungswahrscheinlichkeit von unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen zu erhöhen, wurden mit der Revision spezielle Anreize zum Bruch der „Kartellsolidarität“ geschaffen. So besteht je nach Ausmass der Kooperationswilligkeit einer Unternehmung bzw. je nach Erfolg, den diese Kooperation für die WEKO bei der Aufdeckung solcher Wettbewerbsbeschränkungen zeitigt, die Möglichkeit des vollständigen oder teilweisen Sanktionserlasses.
Während der einjährigen Dauer der Übergangsfrist wurde den Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt, ihr Marktverhalten und ihre Verträge den revidierten KG-Bestimmungen anzupassen, ohne dabei sofort mit Sanktionen, insbesondere Bussen, rechnen zu müssen. Zudem bestand während der Übergangsfrist für die Unternehmen die Möglichkeit, bei Inkrafttreten des revidierten KG bereits bestehende Wettbewerbsbeschränkungen der WEKO zu melden, um Sanktionen zu vermeiden. Gemäss ihren eigenen Angaben erhielt die WEKO allein in der letzten Woche vor Ablauf der Übergangsfrist über 1000 solcher Meldungen. Aufgrund der relativ kurzen Periode seit Ablauf der Übergangsfrist am 31. März 2005 sind bis jetzt noch keine Sanktionen nach dem revidierten KG ausgesprochen, bzw. publik gemacht worden. Dies könnte sich jedoch schon bald ändern.
1. Vermeidung von Sanktionen infolge bestehender
KG-Verletzungen
Um Sanktionen infolge bestehender KG-Verletzungen
zu vermeiden, empfiehlt es sich, folgende Schritte zu
unternehmen:
Analyse der Marktstruktur und der eigenen Marktstellung
Prüfung eigener Vertriebssysteme und des sonstigen Marktverhaltens (Verträge, Absprachen und Aussenkontakte mit Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern)
Sofortige Eliminierung harter Abreden (Überarbeitung
der Verträge)
Evtl. Melde- und Widerspruchsverfahren
2. Vermeidung von zukünftigen KG-Verletzungen
durch ein Compliance-System
Um das Risiko von zukünftigen KG-Verletzungen und daraus entstehender Sanktionen zu vermeiden, empfiehlt sich die
Implementierung eines Kartellrechts-Compliance-Systems. Ein solches könnte folgende Schritte beinhalten:
Durchführung einer Informationsveranstaltung zur Sensibilisierung der Mitarbeiter
Aufbau eines systematischen Vertragsmanagements und Sicherstellung der Risikoerkennung
Schaffung einer unternehmensinternen Meldestelle und Erarbeitung eines Pflichtenheftes
Vorbereitung des Krisenmanagements (Verhaltensregeln für den Ernstfall)
Mit den neuen Bestimmungen hat der Gesetzgeber einerseits das Feld der vermutungsweise unzulässigen Wettbewerbsabreden entscheidend erweitert, indem nun auch harte Vertikalabreden dazugehören. Durch den auch im europäischen Vergleich hohen Bussenrahmen, verbunden mit einer grossen Entdeckungswahrscheinlichkeit infolge der neuen Bonusregelung sowie verschärfter Ermittlungsmethoden, ist zudem die Wirkung, insbesondere die präventive, des KG massiv erhöht worden. Der ehemals zahnlose Papiertiger hat Zähne bekommen, die er nicht nur furchteinflössend fletschen, sondern mit denen er auch kräftig zubeissen kann. Unternehmen, welche sich kartellrechtlich unzulässig verhalten, sei es im Verhältnis zu ihren Konkurrenten, sei es in der Beziehung zu ihren Lieferanten oder Vertriebshändlern, tun gut daran, sich darauf einzustellen und die nötigen Vorkehrungen zur Risikominimierung zu treffen.