CIO-Interview: «Im Spital sieht man die IT als Businesspartner»
Quelle: Schweizer Paraplegiker-Gruppe

CIO-Interview: «Im Spital sieht man die IT als Businesspartner»

Spital, Seminarhotel, Forschung: Das Team um Martin Kunz kümmert sich um die gesamte IT der Paraplegiker-Gruppe und ihre verschiedenen Anliegen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2015/12

     

Swiss IT Magazine: Wie ist es, als Leiter Informatik des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) zu arbeiten?
Martin Kunz:
Es ist eine persönliche Bereicherung. Und es erfüllt mich mit Genugtuung, den Menschen einen indirekten Beitrag zu leisten, welche einen solch schweren Schicksalsschlag erlitten haben.

Im Paraplegiker-Zentrum wurden prominente Patienten wie Samuel Koch oder Silvano Beltrametti behandelt. Welche Grenzen ziehen Sie Mitarbeitenden, damit Patientendaten nicht an die Öffentlichkeit gelangen?
Nebst den aktuellsten technischen Möglichkeiten, welche wir einsetzen, legen wir grossen Wert darauf, die Mitarbeiter auf dieses Thema laufend zu sensibilisieren. Wir bewegen uns immer zwischen dem Spannungsfeld Komfort und Sicherheit.



Wie lösen Sie dieses Spannungsfeld?
Neue Mitarbeiter erhalten bei uns einen Einführungskurs zu den von uns betriebenen Informatiksystemen. Dabei zeigen wir an praktischen Beispielen, wie sich die Mitarbeitenden beim Empfang von Malware oder Spam-E-Mails zu verhalten haben.

Sie haben auch schon in der Informatik bei einem Energiedienstleister gearbeitet. Was ist der grösste Unterschied zwischen der Informatik im SPZ und der IT dort?
Die Durchdringung der Informatik in den Spitälern ist aus meiner Sicht nicht so weit fortgeschritten wie in anderen Branchen. Wobei die Wichtigkeit der Informatik durchaus erkannt ist. Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum war eines der ersten Spitäler, welches ein klinisches Informationssystem (KIS) eingeführt hat. Genau diesen Bereich optimieren wir nochmals.

Wie genau?
Im Schweizer Paraplegiker-Zentrum arbeiten wir prozessorientiert nach den definierten klinischen Patientenpfaden. Wir bilden nun die Patientenpfade im klinischen Informatiksystem ab, mit dem Ziel, die Prozesse zu automatisieren. Wir wollen, dass die Mitarbeiter im Alltag bestmöglich durch die Informatiksysteme unterstützt werden, indem sie zur richtigen Zeit am richtigen Ort auf die richtigen Informationen zugreifen können. Dies veranlasste uns, die Applikationslandschaft neu zu überdenken, mit dem Resultat, dass wir zurzeit zwei grosse Ausschreibungen durchführen. Ein neues Klinikinformationssystem und für die administrativen Belange ein neues ERP-System sollen das Rückgrat der neuen Applikationslandschaft im SPZ bilden. Die Systeme werden miteinander verknüpft, um die Patientenpfade durchgängig abbilden zu können. Die Projekte wollen wir bis zum Neu- und Umbau im Jahr 2019 umsetzen.


Wie läuft es denn bisher?
Im Moment haben wir schon viele Daten elektronisch erfasst. Dazu stehen den unterschiedlichen Berufsgruppen vier unterschiedliche klinische Informationssysteme zur Verfügung. Durch diese Vielfalt ist es schwierig, die Patientenpfade durchgängig abzubilden.

Hat die Informatik den Lead im Projekt?
Entscheidungen rund um grössere Projekte trifft bei uns der Lenkungsausschuss, welcher sich aus der Geschäftsleitung zusammensetzt. In diesem Projekt kommt die Leitung zwar tatsächlich aus der Informatik. Viele aus dem Projektteam sind aber Fachspezialisten aus dem Business – es wird schliesslich ihr Werkzeug, mit dem sie zukünftig arbeiten werden. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine Bereicherung. Und wir machen Betroffene zu Beteiligten.


Wie weit sind Sie schon gekommen?
Das Projektteam hat 2500 Anforderungen in einem Pflichtenheft mit Anforderungskatalog zusammengestellt. Ein Klinikinformationssystem besteht wie ein Baukasten aus unterschiedlichen Modulen, zum Beispiel die Medikationen, die Verläufe, die Verordnungen. Jedes Modul hat unterschiedlichste Anforderungen. Der Lenkungsausschuss hat das Pflichtenheft sowie den Anforderungskatalog genehmigt, anschliessend wurden die beiden Dokumente an verschiedene Anbieter versendet. Interessierte Anbieter hatten die Möglichkeit, einen Tag unsere bestehende Applikationslandschaft mit deren Funktionen kennen zu lernen und zu sehen, was das künftige Klinikinformationssystem abdecken muss.

Ihre IT ist im Schweizer Paraplegiker-Zentrum angesiedelt, betreut aber auch alle Tochtergesellschaften und Partnerorganisationen der Schweizer Paraplegiker-Gruppe, welche ein ganzes Leistungsnetz für Menschen mit Querschnittslähmung bietet. Wofür ist die Informatik hier neben Projekten zuständig?
Wir betreiben die gesamte ICT-Infrastruktur für die gesamte Schweizer Paraplegiker-Gruppe. Dafür bieten wir unseren Kunden diverse ICT-Services an. Zu unseren Kunden gehören unter anderem das Seminarhotel Sempachersee, die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung sowie die Schweizer Paraplegiker-Stiftung.


Jeder Kunde hat wahrscheinlich seine ganz eigenen Anforderungen?
Ja, es ist eine besondere Herausforderung, die Anliegen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen zu vereinen. Jeder Kunde arbeitet in einer anderen Branche und benötigt individuelle ICT-Services. In einem Hotelbetrieb wird die Informatik tendenziell als Kostenfaktor angesehen. Hier ist unsere Anforderung, einen sehr guten Service kostengünstig anzubieten. Im Spital sieht man die Informatik hingegen als Businesspartner, mit dem man Effektivität und Effizienz steigern kann. In der Forschung ist das sehr ähnlich. Bei den übrigen Firmen wird die Informatik als Vermögenswert angeschaut und Ziel ist es, mit der Informatik eine hohe Effizienz in den Prozessabläufen zu erreichen.
Inwieweit hat die Einführung Ihrer neuen Service-Management-Lösung Helpline das Verhältnis zwischen der Informatik und ihren Kunden verändert?
Vorher haben wir mit einem Ticketsystem gearbeitet. Heute weisen wir alle bezogenen Dienstleistungen und ICT-Services transparent aus. Dazu haben wir eine verursachergerechte Kostenabrechnung eingeführt. Durch die neue Transparenz haben die Kunden nun die Möglichkeit, die bezogenen ICT-Services direkt zu beeinflussen und so indirekt die Kosten zu steuern. Wir entscheiden mit unseren Kunden gemeinsam, wie ein neuer ICT-Service aufgebaut wird, zum Beispiel was Verfügbarkeiten und Verantwortlichkeiten angeht. Somit stellen wir sicher, dass der Service nach den Kundenbedürfnissen aufgebaut wird und wir die Kosten für den Service optimieren können.


Ist in dem Bereich noch etwas geplant?
Als letztes Teilprojekt werden wir den Webshop von Helpline einführen. Unsere Kunden können die gewünschten Services einfach elektronisch bestellen und die Abwicklung nachverfolgen. Damit sind dann auch keine Papierformulare mehr nötig. Ein weiterer Schritt wäre der Ausbau des Webshops zu einem Self- serviceportal, über das Mitarbeitende eine Berechtigung oder eine Applikation nicht mehr über die Informatik einholen müssen, sondern über einen Vorgesetzten genehmigen lassen können.

Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen: Wie ist Ihr Team eigentlich aufgestellt?
Wir sind in drei Abteilungen aufgeteilt. Der Support hat fünf Festangestellte, welche für den Servicedesk sowie den On- site-Support verantwortlich sind. Die Abteilung Systeme mit neun Personen ist für die gesamte Infrastruktur inklusive Telefonie verantwortlich. Ein elfköpfiges Team betreut die Applikationen und Projekte. Insgesamt besteht die Informatik aus 27 Vollzeitstellen, sowie fünf Lernenden und zwei Zivildienstleistenden.


Wie ist Ihre Infrastruktur aufgebaut?
Wir betreiben bis auf kleine Ausnahmen alles selbst. Auf dem Campus in Nottwil haben wir zwei Rechenzentren und ein Sicherheitszentrum. Die Daten werden je nach Systemverfügbarkeit dem Kunden zur Verfügung gestellt. Bei den Applikationen setzen wir auf Microsoft-Produkte sowie Citrix und Vmware.

Wie sieht es mit Tablets aus?
Die Tendenz ist zwar zunehmend, viele unserer Applikationsanbieter bieten aber noch keine Lösungen für Tablets an. Erste Erfahrungen sammeln wir mit der Lösung von Parahelp, die auf Tablets basiert. Im Januar 2016 werden wir ein Menübestellsystem einführen, welches auf Tablets sowie virtuellen Clients zum Einsatz kommt.

Ist die Virtualisierung ein Thema?
Im Server-Bereich arbeiten wir seit längerer Zeit mit Virtualisierung. Im Client-Bereich haben wir vor anderthalb Jahren damit begonnen. Heute haben wir rund 100 Thin Clients und 150 mobile Thin Clients im Einsatz. Mobile Thin Clients kommen hauptsächlich auf den Pflegestationen sowie im Therapiebereich des Schweizer Paraplegiker-Zentrums zum Einsatz.

Noch eine ganz andere Frage: Geht es bei Ihrer Arbeit für das Zentrum um Leben und Tod?
So dramatisch würde ich das nicht ausdrücken. Die klinischen Informationssysteme sind hochverfügbar aufgebaut und für den Notfall gibt es spezielle Business-Continuity-Massnahmen.

Ist es trotzdem schon einmal zu einem Ausfall gekommen?
Nein, ein Ausfall hat noch nie stattgefunden. Wir überprüfen die Business-
Continuity-Massnahmen in regelmässigen Abständen auf ihre Wirksamkeit. (aks)


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