Editorial

E-Mails löschen, aufbewahren oder beides?


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/22

     

Europäische Unternehmen unterscheiden sich in mancherlei Beziehungen von US-Firmen. Die Aufbewahrung von E-Mails ist so ein Beispiel. In den USA ist es nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen elektronische Post nach einigen Monaten automatisch löschen. Die E-Mails könnten ansonsten in einem Rechtsstreit oder einer Untersuchung der Gegenpartei oder den Behörden in die Hände fallen. Denn wenn ein Streit oder eine Untersuchung erst einmal läuft, darf nichts mehr vernichtet werden und alles muss offengelegt werden.



In der Schweiz ist es mit der Aufbewahrung gerade umgekehrt: Hier ist es nicht ungewöhnlich, dass Unternehmen jede elektronische Post automatisch archivieren, selbst wenn ein Mitarbeiter das nicht will. Hier ist es der Gesetzgeber, der sicherstellen will, dass in einem Rechtsstreit auf die Geschäftskorrespondenz zurückgegriffen werden kann. Er schreibt deren Aufbewahrung für zehn Jahre ausdrücklich vor. Viele Unternehmen gehen noch weiter und archivieren automatisch jede E-Mail, auch irrelevante. Anders als in den USA müssen Firmen in der Schweiz in der Regel nicht damit rechnen, dass ein Zivilrichter die Offenlegung sämtlicher E-Mails und Daten zu einer bestimmten Sache anordnet. In den USA ist eine solche Offenlegung aller potentiell relevanten E-Mails und anderen elektronischen Daten als «E-Discovery» bekannt.
Was aber tun multinationale Unternehmen, die in den USA und in Europa tätig sind und globale IT-Systeme betreiben? Sie können es auf den ersten Blick nur falsch machen. Nichts aufbewahren verstösst vielerorts gegen das Gesetz. Alles aufbewahren kann einer Firma in den USA Kopf und Kragen kosten. Also wird die Frage der E-Mail-Archivierung oft auf das reduziert, was in den einzelnen Ländern das gesetzliche Minimum der Aufbewahrung ist.




Was einleuchtend klingt, ist in der Realität alles andere als befriedigend. Denn in der Diskussion um die Aufbewahrung von E-Mails wird oft übersehen, dass einer der wichtigsten Gründe, E-Mails zu archivieren, nicht die gesetzliche Aufbewahrungspflicht ist. Der Hauptnutzen besteht hierzulande nicht in der Sicherung von Beweismitteln für das Unternehmen selbst und nicht die Gegenpartei. E-Mails, welche etwa die Verhandlung und Abwicklung eines früheren Vertrags oder andere Gegebenheiten dokumentieren, zählen in Rechtsstreitigkeiten der Wirtschaft mittlerweile zu den wichtigsten Beweismitteln. Hat ein Unternehmen keine E-Mails aufbewahrt, kann es seine Sicht der Dinge nicht beweisen oder unter Umständen das Geschehene nicht einmal ermitteln. Das gilt auch für andere elektronische Daten, etwa der Buchhaltung, wie das Bundesgericht jüngst im Streit um eine Gewinnherausgabe befand: Wer eigene Daten löscht, trägt das Risiko, seine Beweislast später nicht mehr erfüllen zu können, selbst wenn keine Aufbewahrungspflicht mehr gegeben sein sollte.



Geholfen ist den globalen Konzernen damit natürlich nicht. Das Beispiel zeigt aber, dass die Lösung nicht im Recht liegen wird. Die Rechtskulturen sind zu verschieden, um mehr als notgedrungene Kompromisse zu erlauben. Es stellt sich die Frage, ob es nicht angezeigt ist, auch in weltweit tätigen Unternehmensgruppen in Sachen Datenhaltung und -vernetzung regionale statt globale Konzepte zu verfolgen, wie es zum Beispiel SWIFT mit ihrem dritten Rechenzentrum in der Schweiz tut. Denn wenn Daten einer Firma physisch nicht mehr im Ausland lagern, ist es in rechtlicher Hinsicht schwieriger, von dort aus an die Daten zu gelangen. Eine solche geographische Auftrennung konzerninterner «Datentöpfe» mag nicht die effizienteste Form der Datenhaltung sein, kann sich aber lohnen und sollte geprüft werden.




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