Szenarien der Zusammenarbeit

Nur mit einer durchdachten, sorgfältig den Bedüfnissen angepassten Strategie bringen Kollaborationslösungen den erwarteten Nutzen.

Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/21

     

Nachdem die grosse Spielwiese Internet per Web 2.0 vom reinen Informations- zum Mitmachmedium wurde, sollen nun auch die Unternehmen in den Genuss des neuen Paradigmas kommen und zu kreativen Werkstätten umgebaut werden. Dies versprechen unzählige Kollaborations-Softwarelösungen, die sich auf dem Markt tummeln – siehe Marktübersicht im Einstiegsartikel.


In einem Unternehmen existieren aber unterschiedlichste Kollaborationsszenarien und damit auch verschiedene Zielsetzungen, für die spezifische Anforderungen und Restriktionen gelten. So ist es ein Unterschied, ob eine Kollaborations-Software mehr den informellen Informationsaustausch fördern soll («virtuelle Kaffeepause»), oder ob mit Hilfe der Lösung zielgerichtet ein bestimmtes Artefakt geschaffen werden soll, das womöglich auch noch Compliance Anforderungen unterliegt. Eine gute Kollaborationsstrategie identifiziert diese Szenarien, erkennt das jeweilige Potential für eine Toolunterstützung und setzt dieses punktuell um. Eine solche Strategie lässt sich mit einer Mischung aus «Bottom-up-Versuchslabor» und Top-down-Analyse erfolgreich umsetzen.


Wandel folgt auf dem Fuss

Die Einführung von neuen Kollaborationswerkzeugen steht bei vielen CIO’s ganz weit oben auf der Agenda für die kommenden Jahre (IBM: 2010 CIO Outlook v2.0). Dies widerspiegelt das gewaltige Potential dieser Werkzeuge. Konsequent eingeführt ist Collaboration-Software ja nicht nur ein weiteres Tool, das die bestehenden Prozesse noch ein wenig effizienter gestaltet – diese Werkzeuge können einen tiefgreifenden Wandel in der Art und Weise bewirken, wie ein Unternehmen funktioniert. Die innersten Werte, die Kultur und das Selbstverständnis des Unternehmens werden tangiert. Explizite und implizite Hierarchien werden durcheinandergewirbelt und die Aufstellung im Markt wird durch neue Möglichkeiten zur Kooperation neu definiert. Dass dies nicht nur Chancen eröffnet, sondern auch Risiken birgt, versteht sich von selbst. Um diese klein zu halten und die Chancen konsequent zu nutzen, bedarf es einer sorgfältigen Kollaborationsstrategie, welche die gesamten sozialen, rechtlichen, regulativen und technischen Rahmenbedingungen des Unternehmens einbezieht.


Klassifizierung der Lösungen

Bevor man eine Kollaborationsstrategie formuliert, muss klar sein, was genau unter den Begriff Kollaborationswerkzeug fällt – es gibt hier recht unterschiedliche Ansichten. Die vollständigste Definition umfasst die 3 «K-Bereiche» Kommunikation, Kollaboration und Koordination.



- Kommunikation: Kommunikation allein garantiert noch keine Kollaboration, ist aber sicherlich unabdingbare Voraussetzung. Unter Kommunikationslösungen verstehen wir Telefonie, Instant Messaging,
E-Mail, Web-Conferencing und Präsenz-Anzeige. Die Lösungen ermöglichen dem Einzelnen, über verschiedenste Kanäle effizient zu kommunizieren. Basiert dies auf einem gemeinsamen Protokoll, so sprechen wir von Unified Messaging.




- Kollaboration: Die eigentlichen Kollaborationslösungen adressieren ganz konkret die Zusammenarbeit im Team. Gemeinsame Kalender, Planung und Taskzuordnung, gemeinsame Dokumentenbearbeitung und zielgerichteter Informationsaustausch charakterisieren diese Lösungen. Die Möglichkeit des einzelnen Mitarbeiters, in verschiedenen Team-Kontexten mitzuarbeiten – über geografische Grenzen, aber auch über Unternehmensgrenzen hinweg – birgt sicherlich das grösste Veränderungspotential.



- Koordination: Das gemeinsame Erarbeiten von Artefakten ist oft Teil eines übergeordneten, transaktionalen Prozesses. So ist die Vorbereitung, Durchführung und anschliessende Beurteilung eines Kandidaten-Assessments vielleicht ein Teameffort von Unternehmens-HR und externen Assessoren, der in einen definierten Recruitment-Prozess eingebunden ist. Der Einstieg in diese Prozesse erfolgt in der Regel über Portale, in denen die entsprechenden Prozesse implementiert sind (collaborative BPM).


Formulierung der Strategie

Die Ausgestaltung einer Kollaborationsstrategie kann je nach der Vision, Branche und Marktrealität sehr unterschiedlich sein. Wichtig ist es, die strategischen Ziele des Unternehmens, die zugehörigen Rahmenbedingungen sowie die relevante Kenngrössen klar zu identifizieren und zu definieren. Strategische Zielformulierungen könnten in einer ersten Näherung folgendermassen aussehen:



- Wir möchten den Informationsstand des Kundendienstes verbessern – Rahmenbedingungen sind z.B. der gegenwärtige Ausbildungsstand des Servicepersonals oder auch das Haftungsrisiko bei Fehlauskünften. Eine mögliche Kenngrösse ist der Prozentsatz der beim ersten Kontakt abschliessend beantworteten Fragen.




- Wir möchten die Effizienz in der Projektarbeit erhöhen



- Zu den Rahmenbedingungen gehören das bestehende Rollenverständnis, das etablierte Vorgehensmodell oder auch die geografische Verteilung der Projektmitarbeiter. Als Kennzahlen können die Erfolgsquote bei der Projektabwicklung, die Durchlaufzeit von «Benchmark- Projekten» oder die im Projekt anfallende Reisezeit dienen.



- Wir möchten die Zusammenarbeit mit externen Forschungsunternehmen und -instituten verbessern – Zielgerichteter Wissensaustausch und Transparenz, ohne den Schutz der Intellectual Property zu korrumpieren, ist hier unter Beachtung von sicherheitsrelevanten Regeln und Vorgaben zu realisieren. Als Kennzahl kann z.B. der Zeitraum vom Besiegeln der Partnerschaft bis zum wirklichen Start der Zusammenarbeit dienen, oder der Anteil an rein administrativen Tätigkeiten im Verlaufe des Forschungsvorhabens.


Umsetzung

Wie kann nun die Umsetzung dieser strategischen Ziele aussehen? Ein Teil der Antwort ist im Thema selbst enthalten: Kollaboration hat sehr viel mit Input und Feedback zu tun, mit kleinen Schritten und zeitnahen Korrekturen, mit gemeinsamem Lernen und breitem Konsens. Genau so sollte auch der Weg zur Umsetzung aussehen. Mit klaren strategischen Zielen vor Augen heisst es im Verlauf der Umsetzung: Szenarien identifizieren, Piloten fahren, Verhalten einüben, Erfahrungen sammeln, Erfolge messen, Szenarien überdenken. Nur ein solch iterativer Prozess kann die grössten Risiken einer Einführung minimieren, nämlich eine mangelnde Akzeptanz der neuen Möglichkeiten und eine fehlgeleitete Dynamik der Kollaboration – die Aktivitäten sind nicht zielführend im Sinne des Unternehmens.


Iterative Umsetzung
der Kollaborationsstrategie


Technologie

Auch wenn Strategie und Einführung entscheidend sind für den Erfolg von neuen Arbeitsweisen, so sind auch bei der Auswahl der Technologien und Tools einige Punkte zu beachten, die das Leben erheblich erleichtern können. Auch bei Kollaborationswerkzeugen gilt die goldene Regel: Man achte bei der Technologieauswahl auf offene Standards und Systeme. Gerade in einem recht jungen und dynamischen Marktsegment wie der Kollaboration schützt man sich damit einerseits vor der Abhängigkeit von einem einzelnen Anbieter, andererseits hält man sich aber auch explizit die Möglichkeit offen, kleine und innovative Nischenprodukte einzubinden.


Fazit

Die Fähigkeit zur effizienten Kollaboration sollte eine entscheidende Kernkompetenz jedes Unternehmens sein. Dementsprechend ist die Einführung und Unterstützung von neuen Formen der Zusammenarbeit, wie sie die heutige Technologie ermöglicht, nicht dem Zufall beziehungsweise sogenannten «Guerilla-Projekten» zu überlassen. Eine Strategie sollte die Ziele umfassend formulieren und mit Kennzahlen unterlegen. Die Umsetzung dieser Strategie ist dann ein hochiterativer Prozess, der der Tatsache Rechnung trägt, dass die Einführung von neuen Kollaborationsszenarien einen Change-Prozess im Unternehmen auslösen kann, der von allen Mitarbeitenden getragen werden muss.


Der Autor

Martin Fabini ist Mathematiker und Lead Consultant bei der Business Solution Group Technology Innovation (BSG TI).




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