Web 2.0 fürs Business


Artikel erschienen in Swiss IT Magazine 2008/19

     

Das Web lebt. Und zwar, wenn man die Statistiken der meistbesuchten Sites betrachtet, vor allem von Inhalten der Benutzer. Angebote wie Facebook, Youtube oder eBay haben dem vielbeschworenen «Web 2.0» Leben eingehaucht. Doch abseits solcher Freizeitangebote wird «User generated Content» (UGC) immer häufiger auch professionell genutzt, insbesondere als Ergänzung zum bestehenden Geschäftsmodell.



Die augenfälligsten Beispiele stammen aus dem Marketing: Die «Kunden-Community» ist in einigen Branchen längst ein wichtiges Instrument zur Kundenbindung und zur Steigerung der Attraktivität der Marke. Intern eingesetzt, können Web-2.0-Methoden nicht nur die Identifikation mit dem Unternehmen verstärken, sondern auch als Stimmungsbarometer dienen und Abläufe verbessern helfen. Im Support kommt schon länger ein Urahn des Web 2.0 zum Tragen: Diskussionsforen bieten Hilfeleistung bei Problemen und stärken quasi nebenbei die Identifikation mit dem Produkt.


Planung überbrückt Stolperfallen

Doch so verlockend die Reize des Web 2.0 sein mögen, so trügerisch sind sie auch. Stolperfallen bei der Planung, Zielsetzung und Realisierung können die Investition wirkungslos verpuffen lassen. An erster Stelle steht die Planung: Das Benutzerverhalten ist kaum berechenbar. Dadurch ist der «tipping point», also die kritische Masse, ab dem eine Online-Community von selbst läuft, nicht vorab bestimmbar. Deshalb kommt es darauf an, die erwarteten Nutzermotivationen und Kommunikationsmuster (use cases) exakt zu beschreiben und während der Einführung genauestens zu beobachten, ob die Annahmen sich bewahrheiten. Andernfalls muss sofort nachgesteuert werden. Ohne eine flexibel konfigurierbare, professionelle Lösung zur Webanalyse geht das nicht.


Das grösste Risiko für den Start ist jedoch ein internes: Wenn die Unternehmenskultur nicht zu Web 2.0 passt und die Mitarbeiter skeptisch sind, werden sie den neuen Benutzern auch nicht vormachen, wie die Community zu funktionieren hat. Jedes erfolgreiche Web-2.0-Projekt hat «early adopters», die als Vorbilder demonstrierten, wie sich das Angebot nutzen lässt. Solche muss man finden, aufbauen und motivieren. Die eigenen Mitarbeiter sind hier die wichtigsten und auch kompetentesten Partner und ausserdem am leichtesten zu rekrutieren.



Es kommt also darauf an, UGC mit der Organisationsstruktur des Unternehmens zu verzahnen und in die Abläufe zu integrieren. Marketing-Schritte sollten auch im Web 2.0 von der entsprechenden Abteilung ausgehen. Hinzu- kommt, die Massnahmen mit herkömmlichen Aktionen zu kombinieren und in die Gesamtstrategie einzubetten.


Der Aufbau von Support-Foren bedingt dagegen, dass die Support-Mitarbeiter einbezogen werden, indem die regelmässige Beteiligung zu ihrer Aufgabe gemacht wird. Ansonsten wird der mögliche Erkenntnisgewinn hinsichtlich der Bedürfnisse der Kunden verschenkt. Doch selbst die sorgfältigste Vorbereitung garantiert nicht, das die existierenden und potentiellen Kunden nur wegen der neuen Features den Webauftritt stürmen. Der Aufbau einer Community braucht Zeit – und ohne Lockmittel sind wohl die wenigsten Menschen bereit, sich aktiv zu beteiligen. Gutscheine, Rabatte und Wettbewerbe haben sich bewährt, um Kunden zur Beteiligung oder zur Herausgabe persönlicher Daten zu bewegen. Und wenn aktive Teilnehmer in Support-Foren mit einem besonderen Status belohnt werden, als «Premium Members», «Community Captains» oder dergleichen, ist dies oftmals Motivation genug für ein fortgesetztes Engagement. Menschen haben das Bedürfnis, sich mitzuteilen und zu helfen, und Lob motiviert noch mehr als materielle Benefits.


Bei techniklastigen Produkten findet man oft das Phänomen, dass die «Bastler» mit ihren Beiträgen in den Foren einen Support bieten, den der Hersteller aus eigenen Ressourcen niemals in ähnlichem Umfang und vergleichbarer Qualität offerieren könnte – schon gar nicht kostenlos. Das senkt natürlich den First-Level-Aufwand beim Support, weil viele Problemfälle übers Web gelöst werden, bevor die entsprechende Abteilung davon mitbekommt.


Aber: Die Aktivität einer solchen Plattform steht und fällt mit dem Nutzen, den der Benutzer bei seinem ersten Besuch vorfindet. Nur wenn ihm direkt geholfen wird, wird er später auch anderen helfen. Also müssen bereits Inhalte vorhanden sein, sonst kommen keine neuen dazu.


Die Wahl der passenden Mittel

Das Web 2.0 bietet unterschiedliche Formen, um Kunden und Mitarbeiter einzubinden. Die folgenden Beispiele geben einen Eindruck davon, wie sich Wikis, Blogs, Kommentare, Bewertungen und dergleichen für ein Unternehmen nutzen lassen. Einige dieser Mittel dienen der internen Kommunikation, während andere den Kundenkontakt verstärken.


Als internes Werkzeug zur Wissensvermittlung und -aufbereitung eignet sich ein Wiki. Es enthält an einem zentralen Ort sämtliche relevanten Informa­tionen für den Geschäftsalltag. Jeder darf jeden Artikel ändern und erweitern. Seinen wahren Nutzen entfaltet ein Wiki aber erst, wenn die Mitarbeiter motiviert sind, ihr spezifisches Wissen einzubringen und auch Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Nicht jede kleine Regel muss von oben herab vorgeschrieben, nicht jedes Wissen nach Plan transferiert werden. Menschen neigen schon von sich aus zu beidem, sowohl zur Schaffung von Strukturen als auch zur Weitergabe von relevanten Informationen.



Voraussetzung für ein funktionierendes Unternehmens-Wiki ist eine offene Unternehmenskultur, welche die freie Meinungsäusserung der Mitarbeiter unterstützt, und eine entsprechend kritikfähige Geschäftsleitung. Dann wird sich der erhoffte Nutzen einer evolutionären Prozessgestaltung einstellen. Offen bleibt allerdings, wie schnell – das hängt entscheidend von der Neugier und dem Gestaltungswillen der Belegschaft ab. Ein Unternehmens-Wiki ist also sicherlich kein schnelles IT-Projekt, sondern eine langfristige, ganzheitliche, strategische Massnahme.


Die Mittel nach aussen dienen meist der Kundenbindung. Ein beinahe schon klassisches Beispiel besteht darin, bestehende und potentielle Kunden über die Neugestaltung eines Produkts abstimmen zu lassen. Als Anreiz zum Mitmachen dient ein Wettbewerb. Aufs Web 2.0 umgesetzt bedeutet dies, dass die Besucher der Site verschiedene Designs bewerten können. Eine Kommentarfunktion erlaubt es, zusätzliche Anmerkungen zu deponieren. Dank des mit der Abstimmung verbundenen Wettbewerbs öffnet sich dem Hersteller des Produkts ein zusätzlicher Kanal, um potentielle Kunden praktisch ohne Streuverlust zu kontaktieren. Wichtig ist ausserdem eine regelmässige Informationen über den Stand der Abstimmung, welche die Teilnehmer dort erreicht, wo sie sind (zu Hause), und zwar auf einem Kanal, den sie täglich nutzen: Per E-Mail, als Newsletter. So erhöht man die Rate der «return visits», was gerade in der mitgliederarmen Startphase unverzichtbar ist.


Diese Form des Online-Marketing wird in eine konventionelle Kampagne eingebunden, wodurch die Kundschaft auf den neuen Web-auftritt aufmerksam wird. Das gilt genauso für Blogs. Unternehmen nutzen sie als Mittel, um Informationen einen persönlichen Charakter zu verleihen und gleichzeitig, kombiniert mit einer Kommentarfunktion, als Stimmungsbarometer. Die Reaktionen der Besucher geben Aufschluss darüber, ob ein neues Produkt oder eine getroffene Massnahme die Gunst des Publikums erobert oder durchfällt. So mancher Mitarbeiter wird so durch seine Blog-Beiträge zum kostengünstigen Botschafter des Unternehmens.


Firmeninterne Blogs sind ein Mittel zur Meinungsäusserung unter den Mitarbeitern. Aus Perspektive der Geschäftsleitung dienen sie vor allem als Feedback-Kanal für Entscheidungen, welche die Mitarbeiter betreffen – und als Frühwarnsystem für eine etwaige Missstimmung. Blogs unterstützen ausserdem den freien Fluss von Ideen, die nicht notwendigerweise immer direkt das Tagesgeschäft betreffen müssen. Sie können auch das Betriebsklima erheblich verbessern: Aus Mitarbeitersicht ist das Unternehmen immer auch ein sozialer Raum. Jede Möglichkeit, sich dort zu präsentieren, bindet den Mitarbeiter zusätzlich. Denn dadurch, dass sein Blog gelesen wird, vergrössert sich automatisch auch sein kommunikatives Netz im Unternehmen. Mehr noch als Wikis verlangen solche Blogs aber eine offene Unternehmenskultur, die ermutigt, anstatt zu zensieren. Denn kein Arbeitnehmer wird sich exponieren, wenn er damit seine Stelle gefährdet.


Ein gut gemachter öffentlicher Blog hebt gleichzeitig ein Produkt oder einen Anbieter von Konkurrenten ab und stärkt damit die eigene Marke. Das gilt nicht nur für trendige Produkte, sondern auch für recht emo­tionslose Angebote wie etwa tiefgekühlte Lebensmittel, wie es etwa die deutsche Firma Frosta auf www.frostablog.de vormacht.


Community-Aufbau wichtiger als Technik

Zu den anspruchsvollsten Aufgaben von Web-2.0-Diensten gehört es, eine komplette Community auf die grüne Wiese zu bauen. Die Definition des richtigen Feature-Sets ist von vielen internen und externen Variablen abhängig, und der Erfolg zeichnet sich proportional zum Marketing ausserhalb der Plattform ab. Ein Medienunternehmen besitzt hier sicher die besten Karten, weil es mit den Abonnenten respektive Zuschauern oder Hörern bereits einen stabilen Kanal besitzt, auf dem es über das neue Angebot informieren kann. Das Schweizer Fernsehen demonstriert dies erfolgreich mit http://tagesschau.sf.tv und weiteren UGC-Angeboten.



Die Technik spielt beim Schritt ins Web-2.0-Zeitalter nur insofern eine Rolle, als sie für die Umsetzung der gewünschten Elemente sorgen muss. Diese dienen als Grundlage für den Kriterienkatalog zur Evaluation eines geeigneten Content-Management- oder Foren-Systems. Doch auch ein perfektes System garantiert noch lange keinen Erfolg. Zur Mitarbeit motivierte Angestellte, qualitativ gute Inhalte, klare, langfristige Zielsetzungen und deren ständige Überwachung per Webanalyse sind die wichtigsten Zutaten.


Der Autor

Kai Krämer ist Partner bei YMC (www.ymc.ch). Das Unternehmen ist auf die Beratung im Web-2.0-Umfeld spezialisiert.




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